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Berlin: "Körperwelten": Pro & Contra

Menschliche Körper, abgehäutet und in Scheiben zerschnitten - "Sodom und Gomorrha"!", klagen die Kirchenmänner.

Menschliche Körper, abgehäutet und in Scheiben zerschnitten - "Sodom und Gomorrha"!", klagen die Kirchenmänner. Leichname, den Augen Tausender preisgegeben - "Zeter und Mordio"!", rufen die Gutmenschen. Ja, Körperwelten klingt fies. Zu sehen ist aber doch nur zutiefst Menschliches. Für Laien verständlich aufgefächert, im wahrsten Sinn des Wortes. Die Kritiker entpuppen sich als Demagogen, wenn sie Horror-Tourismus anprangern. Denn immerhin haben mittlerweile sieben Millionen Besucher diese Ausstellung gesehen. Sollen etwa alle Nekrophile gewesen sein? Manche gehen vielleicht mit einem angenehmen Vorgruseln in die Ausstellung. Na, und? Wichtiger ist doch, was sie hier lernen: Umfragen haben ergeben, dass Besucher die plastinierten Toten zu mehr als 80 Prozent als "anatomisches Wunder" erfahren. Fast 90 Prozent wissen hinterher mehr über ihren Körper. Und rund 40 Prozent werden "nachdenklicher über Leben und Sterben". Nur 12 Prozent stört das dynamische Posieren der Körper, mal am Schachbrett, mal beim Tanz. Doch auch die Provokation ist ein Stilmittel der Kunst und Teil ihrer Freiheit. Die Kritiker bringen hier die Menschenwürde in die Diskussion. Nur wird diesen Toten ihre Würde nicht geraubt. Respektlos wäre die Ausstellung erst, wenn die Körper reißerisch präsentiert würden. Wenn man sie beispielsweise per Motor laufen oder tanzen ließe. Am wichtigsten ist, dass die Verstorbenen sich gewünscht haben, nach ihrem Tod auf genau diese Weise der Kunst zur Verfügung zu stehen. Wäre ihre Würde nicht stärker verletzt, wenn Ausstellungsverhinderer selbstgerecht über ihren Willen hinweggehen dürften?

Christine-Felice Röhrs

Hier liegt eine Geschmacklosigkeit sondergleichen vor. Bereits bei der Suche nach Mitarbeitern für die Berliner Leichnamsschau wurde deutlich, welche Geisteshaltung hinter diesem Vorhaben steckt: Die Veranstalter hatten in Offerten an die Medien "Leichenwächter mit Humor" gesucht und diesen Zynismus mit schalen Witzeleien garniert. Die Geschmacklosigkeit spekuliert auf eine Lüsternheit in dieser versauten Medienwelt, die auch vorm Leichnam keinen Halt macht. Sie werden ihre lüsternen Gaffer bekommen. Und heute werden ein Leichnam und "Plastinate" genannte sterbliche Überreste von Menschen in einem Werbefahrzeug durch die Stadt kutschiert. Die Veranstalter und ihre Besucher werden sich auf ein Erkenntnisinteresse berufen, das aber so verlogen ist wie die elendsten, von Krokodilstränen umspülten Katastrophenbilder in den Massenmedien. Wo eine Sprache unter die Räder gekommen ist, müssen schreiende Bilder her. Es geht ums Geschäft.

Damit mich hier keiner falsch versteht: Im Präpariersaal der Anatomie oder in der Pathologie ist die Arbeit am Leichnam zwingend. Nur dort! Im Präparierkurs wird dem angehenden Mediziner - hoffentlich! - auch der Respekt vorm Tod in dessen Menschengestalt vermittelt. Die "Körperwelten" sind nichts anderes als ein mieses Gruselkabinett.

Mir ist klar, dass ich mit meiner Ansicht über Leben und Tod, über Respekt vor beidem in dieser schreienden Medienwelt auf wenig Verständnis stoßen werde - wie mit meiner Erziehung, die auch darin bestand, vor einem vorbeifahrenden Leichenwagen kurz innezuhalten und die Mütze zu ziehen.

Ekkehard Schwerk

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