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Sie haben bei Köglers alle schon ganz schön was auf dem Buckel. Neue Mitarbeiter kommen nicht hinzu. Wer will schon tonnenweise Heizbriketts und Kohle durch Berliner Treppenhäuser schleppen?

© Kitty Kleist-Heinrich

Kohlenhändler in Berlin: Der Ofen geht aus

Den Job kann nicht jeder. Man muss hart sein und darf sich keine Sorgen um die Zukunft machen. Unterwegs mit Berlins letzten Kohlenhändlern.

Von Andreas Austilat

Die Kälte ist über die Fingerspitzen längst hinaus, hat die ganze Hand erreicht. Schon kriecht sie auch von unten brennend durch die Sohlen. Soll ein schöner Tag werden, hieß es im Radio. Morgens um sieben, bei minus drei Grad, ist davon an der Mohriner Allee in Berlin-Britz noch nichts zu spüren. „Kommt vom Rumstehen“, sagt Dirk Kögler, er hat es eilig. Drei Lkws sollen beladen werden. Und überhaupt, was heißt das schon, schön?

Für Kögler könnten kalte Morgen wie diese ewig währen. Auf die Frage, was denn sein größter Wunsch wäre, jetzt und hier, da sagt er nicht etwa sechs Richtige im Lotto, oder ein neuer Laster, oder wenigstens ein paar neue Handschuhe, denn die alten sind an den Fingern aufgerissen und nun wirklich hinüber. Nein, er sagt: „Dass es bei uns immer Arbeit gibt. Auch im Sommer.“

Schwarzer Staub legt sich über die Klamotten

Dirk Kögler, 49 Jahre alt, steigt aus dem Gabelstapler, richtet sich zu seinen mindestens 1,85 auf. Der Schriftzug „Rekord“ steht schmutzig grau vorne quer auf der Mütze. Rekord, so heißen auch die Briketts, die sie gerade aufladen. Hinter ihm werden wieder zwei 25-Kilo-Bündel auf die Ladefläche geschoben. Staub steigt auf, schwarzer Staub, der sich schon über alles hier gelegt hat, über die leeren Holzpaletten, die sich zu Türmen stapeln, über die Lastwagen, den unebenen Boden, die Männer, ihre abgeschabten Klamotten.

Früher, da mussten sie nicht auf kalte Tage hoffen. Da haben sie auch im Sommer Kohlen ausgetragen. Nur im Mai war es ein bisschen ruhiger. Wenn keiner mehr Lust auf Heizen hatte, niemand mehr an Kohlen dachte. Aber schon im Juni ging es doch wieder los, haben die Leute angerufen, wurde eingekellert. Weil es dann billiger war.

Keiner kellert mehr ein

Lange vorbei. Keiner kellert mehr im Sommer ein. Jetzt warten die Kunden ab, warten bis Oktober. Vielleicht brauchen sie dann gar keine Kohlen mehr. Weil ihnen der alte Ofen wegsaniert wurde. „Das“, sagt Dirk Kögler, „ist immer ein trauriger Moment.“ Wenn alte Kunden sich mit den Worten verabschieden, dass man sich leider nicht wiedersehe, weil sie eine neue Heizung kriegen. Mancher habe nicht einmal Zeit, sich zu verabschieden. Oft ist es doch so: Stirbt in den Altbaubezirken eine Frau mit einem 60 Jahre alten Mietvertrag, dann stirbt auch ihr Kachelofen.

„Ich muss mich heute ein bisschen schonen“, sagt Herr Emmermann – und lacht über seinen Scherz. Dann nimmt er zwei 25-Kilo-Bündel, eins links, eins rechts, ein nicht besonders großer Mann mit ziemlich krummen Beinen, und wuchtet sie auf den Laster. Mit 62 ist er der Älteste hier. Vielleicht nennen sie ihn deshalb immer „Herr Emmermann“. Wie er so lange fit geblieben ist? Ach das, das sei Gewöhnung, immerhin mache er den Job jetzt seit 36 Jahren. „Wir sind doch alle nicht mehr die Jüngsten“, fügt Kögler hinzu. Und was sich anhört wie der Beginn eines Dialogs im Wartezimmer beim Orthopäden, endet mit der Feststellung: „Das ist ganz gut so.“

Schlepper-Business. Die Männer der Firma Kögler vor der Ladenfront in der Kreuzberger Körtestraße.
Schlepper-Business. Die Männer der Firma Kögler vor der Ladenfront in der Kreuzberger Körtestraße.

© Kitty Kleist-Heinrich

Denn mit den Jungen, glaubt Kögler, könne er nichts anfangen. Denen fehle die Bereitschaft, sich zu quälen. Die braucht man aber, wenn man beim Kunden den zweiten Stock erreicht hat, mit 83 Kilo auf dem Rücken, so viel wiegt der hölzerne Tragekasten einschließlich Briketts, wenn man weiß, es kommen noch zwei Etagen, und unten auf dem Laster wartet noch eine Tonne.

Solche Leute zu finden, sei nicht leicht. Er hat sie gefunden. Fünf Mann, beinahe jeder hat eine Kippe im Mundwinkel, als seien sie dort festgewachsen. Männer wie Wolfgang, eher ein schmaler Typ, auch schon 51, die fehlenden Zähne machen sein Gesicht noch hagerer. Er könne jedenfalls nicht klagen, wenn man von den Knien absieht. Gerade öffnet er sich eine Flasche Bier, „denn ohne jutet Frühstück jeht hier jar nüscht.“

Der ideale Kohlenträger ist klein und zäh

Der ideale Kohlenträger, behauptet Kögler ungeachtet seiner eigenen Körpergröße, ist klein und zäh. „Die Bodybuilder-Typen, die reißen das zweimal, dann brauchen sie einen Energydrink.“ Er klingt, als würde er sich bei dem Wort „Energydrink“ gleich schütteln. Oder die Möbelpacker: Die seien es gewohnt, einen Schrank hochzutragen und dann vier Stunden lang aufzubauen, Zeit, in denen sie sich erholen können. Der Kohlenträger hat nur einen Trick, bei dem er sich ein bisschen ausruht: „Auf dem Treppenabsatz immer außen gehen“, dann habe man zwei Schritte mehr geradeaus, eine Pause, bei der man nicht treppauf muss, der Königsdisziplin in dieser Branche.

Schwarzhandel. Der Kohlenstaub ist ständiger Begleiter.
Schwarzhandel. Der Kohlenstaub ist ständiger Begleiter.

© Kitty Kleist-Heinrich

Eigentlich fällt Kögler nur eine Spezies ein, die diesen Job auch machen könne: der Gerüstbauer. Doch selbst bei dem kommt ja heutzutage immer häufiger der Aufzug zum Einsatz. Nach kurzem Überlegen fügt Kögler noch die Gleisbauer hinzu, als sie die Gleise noch selbst getragen und eingehämmert haben. In den 90er Jahren habe er mal solch einen Trupp aus Ost-Berlin gesehen. Da habe er, der wie alle hier West-Berliner ist, gedacht, die Jungs, das sind welche von uns. Kohlenträger sei einer der letzten Jobs, der sich in den vergangenen 100 Jahren nicht verändert habe.

Sie trotzen der Automatisierung

Aber Ost-Berlin ist weg und West-Berlin auch. Mag sein, dass sich die Kohlenträger nicht verändert haben, dass sie sich immer noch schinden, dabei dem Trend zu gesundem Leben unter Verzicht auf Zigaretten und Alkohol ebenso trotzen wie der Automatisierung, der Globalisierung, dem Smartphone (keiner hat dafür hier eine Hand frei) und was die Moderne sonst noch so bereithält. Doch ihr Revier wird immer kleiner.

Die Zeiten, in denen der Berliner Kohlenhändlerverband regelmäßig zum Eisbeinessen in die Festsäle an der Hasenheide lud, sind lange vorbei. Dirk Köglers Opa hat sie noch erlebt, die Familie ist mütterlicherseits seit 1909 im Kohlengeschäft. Der Verband veranstaltet auch keine Dampferfahrten mehr. Es gibt nicht einmal mehr einen Verband.

Früher waren sie so häufig wie Nagelstudios

Die Köglers haben ihren Laden in der Körtestraße, sie kommen aus Kreuzberg, wo Kohlenhändler früher so häufig waren wie heute Nagelstudios oder Wettbüros. Noch in den 70er Jahren, erinnert sich ein Schornsteinfeger, der damals im Karree hinter der Marheineke-Halle seine Lehre machte, hatte die Hälfte der Wohnungen Ofenheizung. Heute sind da vielleicht noch 30 Stück.

In wie vielen alten Kachelöfen in Berlin überhaupt noch ein Feuer brennt, wie viele Allesbrenner noch geschürt werden, weiß keiner so genau. Die neuesten Zahlen sind auch schon von 2014, es handelt sich um eine Hochrechnung nach dem letzten Mikrozensus des Bundesamtes für Statistik. Danach wurden 12 000 Wohnungen in Berlin ganz oder überwiegend mit Kohlen beheizt. Die letzten gesicherten Angaben sind fünf Jahre alt, da zählte die Schornsteinfegerinnung in Berlin 88 760 Kleinfeuerungsanlagen, gemeint war jede einzelne Feuerstelle, vom Kamin bis zum Kachelofen. Die Zahl der Ofenheizungswohnungen wurde da noch auf 30 000 geschätzt.

Der Letzte seiner Art

Ich muss mich heute ein bisschen schonen“, sagt Herr Emmermann und wuchtet zwei Säcke auf die Ladefläche des alten Lkw.
Ich muss mich heute ein bisschen schonen“, sagt Herr Emmermann und wuchtet zwei Säcke auf die Ladefläche des alten Lkw.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der Tagesspiegel schrieb 2011 nach dem letzten Besuch bei Kohlenhändler Kögler vom Niedergang der Branche in der „Hauptstadt der Briketts“. Damals war noch von 30 Kohlenhandlungen in der Stadt die Rede. Sechs Jahre später sind ein Dutzend übriggeblieben. Dirks Vater, Richard Kögler, ist in Kreuzberg der Letzte seiner Art, seit der Kollege an der Reichenberger Straße aufgegeben hat.

Auch die Köglers sind Getriebene. Den Lagerplatz am Anhalter Güterbahnhof mussten sie schon vor Jahren räumen. Danach bezogen sie ein neues Domizil auf dem Neuköllner Güterbahnhof. Dort war auch bald Schluss, das merkten sie vor drei Jahren, als Bautrupps die Gleise rausrissen. Diesmal war es schwieriger, ein neues Areal zu finden. Die Brachen werden knapp, jene Flächen, auf denen man die typische Berliner Mischung findet, dieses immer ein wenig anarchische Nebeneinander aus Baracken, Werkstätten, Schrottplätzen, Baustoffhändlern und Kohlelagern. Meist sah man solche Flächen hinter den Fenstern der S-Bahn, weil sich diese inzwischen exotische Welt entlang der Bahngleise am längsten hielt.

Es gibt kaum noch Brachen

Plätze außerhalb der Stadt hat man ihnen als Ersatz angeboten, aber da wollten die Köglers nicht hin. Vor drei Jahren fanden sie dann dieses Gelände hier, einen vergessenen Winkel, der einmal Teil des Britzer Güterbahnhofs war. Eigentlich sollte es das auch schon nicht mehr geben, ein Parkplatz war geplant für den Britzer Garten. Er wurde nicht benötigt, die Mittenwalder Eisenbahn betreibt das Gelände, eine Privatbahn, die den Köglers diese Ecke hier überlassen hat.

Lagerplatz. Das Gelände an der Mohriner Allee.
Lagerplatz. Das Gelände an der Mohriner Allee.

© Kitty Kleist-Heinrich

Für einen kurzen Moment, erinnert sich Sohn Dirk, hätten sie geglaubt, jetzt brächen goldene Zeiten an, damals, als die Mauer fiel, als sie plötzlich auch die ofenbeheizten Wohnungen Ost-Berlins beliefern durften. „Wir dachten, jetzt haben wir die nächsten 30 Jahre ausgesorgt.“ Allein am Kollwitzplatz haben sie Kohlen abgeladen ohne Ende. Tatsächlich war der Kohlenhandel in Ost-Berlin vor der Wende anders organisiert: Billige Kohlen waren ein knappes Gut, eine halbe Tonne gab es pro Kopf im Jahr auf die Kohlenkarte, wer mehr wollte, musste teuer zahlen. Der Ost-Berliner Händler lebte gut von seinen Kiez-Kunden, auch ohne dass er ihnen die schwere Ware in die Wohnung trug. Arnd Teiche, heute noch in der Greifswalder Straße tätig und damit einer der letzten Ost-Kohlenhändler, sagt, dass es vielen seiner Kollegen an Flexibilität und Servicedenken gefehlt hätte: „Die waren schnell weg vom Markt.“ Doch auch die anderen, West- wie Ost-Händler, hatten die ungeheure Geschwindigkeit unterschätzt, mit der der Ostteil straßenzugweise saniert wurde.

An der Mohriner Allee liegt eine aufgeschüttete Kohlenhalde unbeachtet am Rand des Geländes. Es sind Kohlen, die die Köglers selbst wieder aus Kellern zurückgeholt haben, von Mietern, die sie nicht mehr benötigten. Der Anblick ist ungewöhnlich, denn auch Briketts werden heute nicht mehr lose geliefert, sondern ordentlich gebündelt, meist aus der Lausitz oder aus dem Braunkohlentagebau bei Köln.

Eine längere Anreise hat die Eierkohle für die seltener werdenden Allesbrenner hinter sich, sie stammt aus England. Es gibt in Deutschland nur noch zwei Zechen für Steinkohle, aus der die schwarzen Eier gefertigt werden, eine in Ibbenbüren, eine in Bottrop, beide werden 2018 geschlossen.

In Britz hält kein Güterzug mehr auf den vorbeiführenden Gleisen. Wozu auch? Die Kohle wird nur noch per Lkw transportiert, schon seit drei Jahren.

Oldtimer. Köglers Lastwagen auch schon mehr als 50 Jahre auf dem Buckel.
Oldtimer. Köglers Lastwagen auch schon mehr als 50 Jahre auf dem Buckel.

© Kitty Kleist-Heinrich

„So viel zum Thema Umweltschutz“, sagt Kögler und knurrt, was wohl ein Lachen sein soll. Das mit dem Umweltschutz ist ein heikler Punkt für ihn. Bis zum Jahr 2000 sollte der innere S-Bahnring eigentlich kohlefrei werden. Die Schlote, das schien ausgemacht, waren schuld am Smog im Berlin der 80er Jahre, als der Qualm aus tausenden Schornsteinen noch den Berliner Himmel verdunkelte und die Straßen Moabits, Neuköllns und Kreuzbergs im Winter nach Braunkohle rochen. „Wenn die Luft heute so dreckig ist, wie behauptet wird“, dann sei ja nun wohl klar: „An der Kohle kann es nicht liegen.“

Kögler sagt das, als stecke eine Verschwörung dahinter. Denn natürlich sei doch die Autolobby viel stärker als der nicht mehr existierende Verband der Kohlenhändler.

Als früher noch die Bahnwaggons entladen wurden, musste das schnell gehen. Denn Standzeit ist teuer, Hilfskräfte waren dementsprechend gern gesehen. Viele Kohlenträger von heute haben so angefangen, „als kleine Piepels“, wie Dirks Vater Richard Kögler sagt, 15, 16, 17 Jahre alt. Mit der losen Kohle wurden die 75-Kilo-Kästen befüllt. Es gibt sie also kaum noch, die ganz großen Gewichte, Kohlenträger müssen heute maximal 50 Kilo schultern, dafür aber häufiger laufen.

So ein Laster wird nicht mehr gebaut

Inzwischen sind zwei Transporter beladen, machen sich vom Hof. Als letzter ist Dirk Köglers Lastwagen abfahrbereit, ein Mercedes L 1113, Baujahr 1965. Keiner weiß, wie weit das Ding schon gerollt ist, der Tacho ist nicht mehr der erste, die Maschine auch nicht. 750 000 Kilometer stehen auf der Uhr, 900 000 werden es wohl sein. Und man ahnt bereits, was Kögler von seinem Wagen hält: So einen Laster, älter als er selbst, so etwas wird doch gar nicht mehr gebaut.

Zurück bleiben eine Katze, ein schwarzer Hund, der eine Art Pullover trägt, wahrscheinlich ist auch er schon ein wenig älter, und Herr Emmermann, der Holz hacken wird für die zweite Fuhre am Nachmittag. Im Laster ist es auch kalt, Kögler entschuldigt sich, leider sei die Heizung ausgefallen, wenn so etwas nach 52 Jahren passiere, da könne man sich wirklich nicht beschweren. Nein, auf den alten LKW lässt er nichts kommen, der hat sie gerettet, als die Umweltplakette eingeführt wurde. Weil er damals schon ein „H“ für History auf dem Kennzeichen hatte. Oldtimer sind von der Plakettenregelung ausgenommen.

Wie eine Zeitmaschine

Zum Glück. Mal abgesehen davon, dass Kögler die 60 000 Euro für einen neuen Laster kaum aufbringen könnte, das wäre doch auch eine Riesenverschwendung gewesen. Der hier hat bewiesen, wie zuverlässig er ist, ein Arbeiter wie sie selbst. Innen gibt es keine Verkleidung, nur viel blankes Blech, verschlissene Sitzbezüge. Wolfgang dreht sich mit schwarzen Fingern eine Zigarette, er weiß nicht, die wievielte es ist. Von draußen zeigen zwei junge Frauen auf den Laster und lachen. Wahrscheinlich halten sie den Oldtimer, der das Symbol der Bergarbeiter und der Kohlenhändler trägt – Schlägel und Eisen über Kreuz – für eine Art Zeitmaschine, die jetzt auf den Britzer Damm einbiegt.

Die erste Station liegt in der Oppelner Straße, Hinterhaus, zwei Treppen. Die alte Dame wartet schon, anderthalb Zentner hat sie bestellt, das sind genau 132 Briketts. Wie viele meist ältere Kunden lässt sie sich die Kohlen direkt in die Wohnung bringen, nicht in den Keller. Dirk Kögler rechnet vor: Acht bis zehn Kohlen braucht es, um einen Kachelofen 24 Stunden lang warm zu halten. Demnach würde der neue Vorrat rund 14 Tage halten, wenn die Nächte frostig bleiben und die Tage kühl. Ob die Dame vielleicht etwas zu optimistisch gerechnet hat mit ihrer Bestellung? Im März kann es noch kalt werden.

Die alte Dame rechnet anders

Doch die alte Dame rechnet anders. Sie braucht nicht viel: Seit Oktober ist sie mit sechs Zentnern hingekommen. „Das ist das Schöne an einer Ofenheizung“, sagt Dirk Kögler: „Ich bestimme selbst, wie viel Wärme ich mir leisten will.“ Mit sechs Zentnern in fast fünf Wintermonaten wird sie wohl manchmal mit Pudelmütze auf dem Kopf in ihrer Wohnung gesessen haben.

Wieder auf der Straße jongliert Kögler an in der zweiten Reihe parkenden Autos vorbei. Das, schimpft er, habe es früher auch nicht gegeben, jeder steht doch, wie er will, kaum ein Durchkommen auf den Bürgersteig, wo sie ihre Last um bepflanzte Baumringe herumbalancieren müssen. In den Häusern zwängen sie sich an festgeketteten Fahrrädern vorbei ins enge Treppenhaus, das durch allerlei Gerümpel noch enger wird.

Warum sind die beiden eigentlich Kohlenträger geworden? Weil es Arbeit ist, sagt Wolfgang und dreht sich mal wieder eine Zigarette. Alle hätten sie immer gearbeitet in seiner Familie, und das war eben eine Arbeit, die es gab, damals, mit 17, als er auf dem Güterbahnhof nach einem Job fragte. Dirk Kögler dagegen hätte auch zur Versicherung gehen können, wie einer seiner Großväter. Gelernt habe er dann Speditionskaufmann. Aber das sei nichts für ihn gewesen. Ist er also Kohlenhändler geworden, wie der andere Großvater. Nein, selbst hat er keinen Sohn, und wenn er einen hätte, würde er ihm auch nicht zu dieser Arbeit raten. Aber er mag sie. Es gefällt ihm, an der frischen Luft zu sein, und er mag den Kontakt zum Kunden.

Ofensetzer war ein begehrter Job

Das Schulterstück. Dirk Kögler ist in den Kohlenhandel seines Vaters eingestiegen.
Das Schulterstück. Dirk Kögler ist in den Kohlenhandel seines Vaters eingestiegen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die nächste Kundin wartet in der Oranienstraße, Tine, eine Treppe, vier Zimmer, alle mit Kachelofen. Seit 20 Jahren wohnt die 45-Jährige hier, sie kennt es nicht anders, will es auch nicht anders. Natürlich, ein bisschen Staub ist immer, wenn man so einen Ofen befeuert. Aber auch sie will ihre Heizkosten unter Kontrolle halten. Nur noch zwei oder drei Wohnungen in ihrem Haus hätten diese alten Öfen, die anderen würden bestimmt 200 Euro mehr Miete bezahlen.

Ist das nicht alles furchtbar umständlich? Wenn man morgens aufwacht und der Ofen aus ist? Halbe Stunde, sagt Tine, länger braucht sie nicht, um den Ofen zu schüren. Nur ein bisschen Anmachholz, Kohlen drüber, nach einer halben Stunde seien die durchgeglüht, dann könne man den Ofen schließen.

Das freilich mag Erik Paßow nicht so recht glauben. Paßow ist gelernter Ofensetzer. Gelernt hat er in Großziethen bei Berlin, mit 18 war er fertig, das war 1990. Ofensetzer, das war in der DDR ein begehrter Job, „damals hat man fünf Jahre auf einen neuen Ofen gewartet“. Nach der Wende schwante ihm rasch, das würde sich bald ändern.

Am liebsten hätten die Kunden weiße Handschuhe

Sogar nach einer Umschulung hat er sich umgesehen, auch er hat bemerkt, wie in Ost-Berlin die Altbauten blockweise saniert wurden, wie die Öfen alle rausflogen. Da habe er kurz daran gedacht, Fliesenleger zu werden.

Er wurde es nicht und sitzt heute in seinem Laden in der Kreuzberger Jahnstraße, nur zwei Querstraßen von Köglers Kohlenhandlung entfernt. Masuch heißt die Firma, ein Traditionsbetrieb, in dem er als Geselle anfing und den er 2001 übernommen hat. Er hat es nicht bereut, sagt er in seinem Showroom, der so gar nichts gemein hat mit dem Ruß und dem Staub, der den Kohlenplatz an der Mohriner Allee umgibt. „Ich komme zu Menschen aus allen Gesellschaftsschichten“, sagt Paßow, schwarzer Hoodie und gepflegt gestutzter Bart. Da gibt es das teure Loft, wo der Kamin ab 10 000 Euro aufwärts kostet und der Kunde es am liebsten hätte, dass der Ofensetzer bei der Arbeit weiße Handschuhe trüge.

Aber es gibt eben auch noch die alten Damen mit dem Kachelöfen. Für diese Heizquellen gilt Bestandsschutz. Zwar schreibt die Bundesemissionsschutzverordnung heute vor, dass alte Heizkessel außer Betrieb genommen werden müssen. Aber Wohnungen, die vollständig mit Einzelfeuerstätten beheizt werden, sind davon ausgenommen. Wohl weil ihr Anteil inzwischen so gering ist, dass ihre Emission nicht mehr ins Gewicht fällt. Soziale Aspekte werden wohl auch eine Rolle gespielt haben, denn es sind kaum die Topverdiener, die auf ihren Kachelofen angewiesen sind.

Kaminöfen liegen im Trend

Kaminöfen dagegen liegen im Trend. Seit etwa fünf Jahren ziehen die Verkaufszahlen an. „Die Leute wollen etwas Gemütliches“, sagt Paßow, „und sie wollen das Feuer sehen“. Auch alte Kachelöfen werden von ihm umgerüstet, er optimiert sie so weit, dass kaum mehr Feinstaub anfällt. Dann komme eine schöne Glastür davor.

Für Kaminöfen gilt der Bestandsschutz freilich nicht, selbst vergleichsweise neue Anlagen müssen demnach in den nächsten Jahren aus dem Verkehr gezogen oder modernisiert werden, ein gutes Geschäft für die Ofensetzer. Denn der Trend hat Nebenwirkungen, Holzkaminöfen tragen einiges zur Schadstoffbelastung bei.

Nach einer Studie der Senatsverwaltung für Umwelt sind je nach Messstation 10 bis 16 Prozent der mittleren Feinstaubbelastung auf die Verbrennung von Holz zurückzuführen. Anders ausgedrückt: Von den 13 Tagen, an denen im Februar und März des Jahres 2014 der Grenzwert für Feinstaub überschritten wurde, hätten vier ohne Holzheizung vermieden werden können.

Abschleppdienst. „Es brauche Typen in dieser Branche, die sich quälen können. Wolfgang noch Holzscheite ran. Sie werden immer wichtiger im Heizgeschäft, weil Kaminöfen in Mode gekommen sind.
Abschleppdienst. „Es brauche Typen in dieser Branche, die sich quälen können. Wolfgang noch Holzscheite ran. Sie werden immer wichtiger im Heizgeschäft, weil Kaminöfen in Mode gekommen sind.

© Kitty Kleist-Heinrich

Paßow ficht das nicht an: Wie gesagt, die Verbrennung bei Öfen neuester Bauart werde immer sauberer. Außerdem gebe es Alternativen. Er steht auf – und greift in den Ofen, der hinter ihm wie ein Aquarium an der Wand hängt, mitten hinein in die lodernde Glut. Die erweist sich als täuschend echte Attrappe. Statt Feuer treibt Wasser diesen Ofen, aufsteigender Dampf, von unten illuminiert, die perfekte Illusion. Der Wasserofen ist der letzte Schrei, „besser als Bioethanol“, sagt Paßow, noch eine schornsteinlose Alternative, die allerdings Sauerstoff verbrauche und beim Entzünden nicht ohne Tücken sei.

Ein Ofen wie die Sonne

Doch nichts gehe über den Kachelofen, versichert Paßow. „Das ist doch wie bei der Sonne.“ Er weiß selbst, dass dies jetzt ziemlich gewaltig klingt. Ein Kachelofen, erklärt er, gebe einen Großteil seiner Energie als Strahlungswärme ab, er heize nicht die Luft, sondern den Körper, wie an einem Frühlingstag, wenn die Sonne noch nicht die Luft erwärmt, aber den Menschen.

So viel zur Theorie, nun zur Praxis. Man kann alles kaputtheizen, bestätigt Paßlow und zeigt das Handyfoto eines Kaminofens mit glühendem Rohr. So etwas passiert zum Beispiel, wenn man glaubt, man könne mit seinem Kamin notfalls das ganze Haus heizen – und deshalb sechs Kilo Holz in eine viel zu kleine Brennkammer steckt. Der Ofen kriegt Risse, dann ist er hin.

Deshalb hier noch ein paar Tipps vom Experten: In Kaminen das Anmachholz immer oben auflegen, das brennt sich nach unten durch. Kachelöfen dagegen von unten anheizen. Die Kohlen nicht in Zeitungen einwickeln, erst recht nicht in nasse, wie man es früher für effektiv hielt. Man produziert damit nur unnötig viel Ruß, der die Leistung mindert. Die Kohlen müssen durchgeglüht sein, bevor man die Luftzufuhr schließt, und das könne bis zu zwei Stunden dauern. Andernfalls kriegt man auch einen Kachelofen kaputt. Was für Paßow allerdings gut wäre. Immerhin ist einer seiner Leute den ganzen Winter über allein damit beschäftigt, Öfen zu reparieren.

Warum sie überlebt haben

In Köglers Kohlenhandlung in der Körtestraße verströmt ein kleiner Allesbrenner ziemlich viel Wärme. Sie liegt im Souterrain. Im Vorraum lagern Holz und Briketts, dahinter die Bürostube mit Ofen. Richard Kögler, 70 Jahre alt, sitzt an einem Schreibtisch, der aussieht wie ein altes Buffet und bedient das Telefon. „Was darf es denn Schönes sein“, spricht er gerade in die Muschel, als ob es um ganz besondere Spezialitäten ginge. „Das war vier Treppen, nicht wahr?“ Offenbar ein Stammkunde. Kögler schreibt die Bestellung auf einen Zettel. Hinter ihm stehen Leitzordner in Reihen, einen Computer scheint es nicht zu geben.

Seit 1972 macht er den Laden, damals war er 26. Was glaubt er, warum haben die Köglers anders als so viele andere überlebt?

„Vielleicht liegt es an unserem Umgang mit dem Kunden.“ Als andere noch sagten, nein, da fahre ich nicht hin, ist mir zu weit, haben sie bereits jede Fuhre übernommen.

Arbeit für den Sommer

Heute liefern sie ins gesamte Stadtgebiet und manchmal sogar ins Umland. Das macht die Wege immer länger und die Sache nicht leichter. Natürlich haben sie auch erkannt, dass Holz immer wichtiger wird, inzwischen macht es bereits 30 Prozent des Geschäfts aus.

Trotzdem wird sich schon bald die Frage stellen, wie sie über den nächsten Sommer kommen. Richard Kögler sucht bereits nach Aufträgen, für Umzüge, Entrümpelungen und Wohnungsauflösungen, schon um die eigenen Leute zu halten.

Dirk Kögler hat dagegen noch ein anderes Betätigungsfeld gefunden. Wenn es endlich Frühling wird, wenn niemand mehr an Heizen denken mag, dann haben die Gärtnereien viel zu tun. Dann wird er wieder Bäume ausfahren. Ist ja auch nicht leicht.

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