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Zum ersten Mal seit zehn Jahren drohen im Haushalt wieder rote Zahlen.

© Britta Pedersen/dpa

Kollatz' kreativer Umgang mit 700 Millionen: Mit einem Trick stopft Berlins Finanzsenator das Haushaltsloch

Weil im Wahljahr 2021 rote Zahlen drohen, schaufelt der Finanzsenator Hunderte Millionen um. Das Geld kommt vom aktuellen Überschuss des Senats.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Berliner Finanzen werden im Wahljahr 2021 zum ersten Mal seit zehn Jahren in die roten Zahlen rutschen. Der entsprechende Landeshaushalt weist ein Finanzierungsdefizit von 605 Millionen Euro auf. Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) musste zu einem Trick greifen, um das Haushaltsloch zu stopfen. Er schaufelt 700 Millionen Euro, die in diesem Jahr wahrscheinlich nicht benötigt werden, in das übernächste Jahr.

Das geht aus den Unterlagen hervor, die dem Abgeordnetenhaus für die Beratung des Doppeletats 2020/21 zugeschickt wurden. Der Einnahmetitel, der für die finanzielle Kosmetik neu eingerichtet wurde, heißt „Haushaltsentlastungsrücklage“ und ist bei den „übrigen allgemeinen Finanzangelegenheiten“ zu finden. Ein vorerst noch virtuelles Finanzpolster.

Denn das Geld, das 2021 helfen soll, die Ausgaben trotz des Defizits aus eigener Kraft zu finanzieren, ist Teil des voraussichtlichen Überschusses im Haushaltsjahr 2019. Normalerweise wird erst im Dezember abgerechnet, aber die Finanzverwaltung vertraut auf eine interne Prognose. Demnach werden am Jahresende rund 1,7 Milliarden Euro übrigbleiben. Mehr als drei Mal so viel, wie ursprünglich eingeplant.

Für den großen Überschuss gibt es Gründe, die eher kritisch zu sehen sind. Schon seit Jahren gelingt es dem Senat nicht mehr, die eingeplanten Mittel komplett auszugeben. Das gilt 2019 beispielsweise für Bauvorhaben, Kapitalzuschüsse an die Messe Berlin oder für Grundstücksankäufe am künftigen Wissenschaftsstandort Tegel. Auch die bezirklichen Sozialausgaben werden nicht ausgeschöpft, und die Zinsausgaben für Berlins Schulden fallen geringer aus als geplant.

„Es besteht deshalb die Chance, diese Potenziale umzuschichten und für die Finanzierung zukünftiger Ausgaben nutzbar zu machen“, heißt es im zweiten Nachtragshaushalt für 2019, der jetzt vorliegt. Dazu gehören der Ausgleich des defizitären Haushalts 2021, die Gründung eines Schulbaufinanzierungsfonds, die Aufstockung des Investitionsfonds Siwana und die Schuldentilgung.

Eingeplante Mittel werden nicht komplett ausgegeben

Die Rücklagen für Investitionen, die der Senat anlegt, sind auch sinnvoll. Die angesparten Mittel in Milliardenhöhe können in den kommenden Jahren je nach Bedarf ausgegeben werden. Problematisch sind aber stark steigende Personalausgaben und zusätzliche Kosten in dreistelliger Millionenhöhe für viele rot-rot-grüne Sonderprojekte. In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen war das finanzierbar. Aber die Konjunktur hat nachgelassen, und der neue Berliner Haushalt ist knapp kalkuliert.

Die nächste Landesregierung, die im Herbst 2021 gewählt wird, muss sich wohl mit dem Gedanken vertraut machen, dass in der Wahlperiode bis 2026 das Geld nicht mehr reicht, um alle von Rot-Rot-Grün beschlossenen Vorhaben seriös zu finanzieren. Die Aufnahme von Krediten wird nicht möglich sein, denn ab nächstem Jahr greift bundesweit die Schuldenbremse.

Berlins Finanzsenatoren und der Haushalt (rotes Plus anklicken zum Vergrößern).
Berlins Finanzsenatoren und der Haushalt (rotes Plus anklicken zum Vergrößern).

© Tsp

Auf die finanziellen Risiken für Berlin, die immer deutlicher werden, weisen folgende Zahlen hin: Von 2017 bis 2021 steigen die Kosten für das Landespersonal um 28 Prozent, die konsumtiven Sachausgaben wachsen um 21 Prozent. Die Steuereinnahmen (einschließlich Länderfinanzausgleich) erhöhen sich im selben Zeitraum aber nur um 19,5 Prozent. Ein ausgeglichener Haushalt ist so auf Dauer nicht realisierbar.

Rot-Rot-Grün macht geltend, dass der harte Sparkurs des vergangenen Jahrzehnts in allen öffentlichen Bereichen einschließlich der Berliner Verwaltung schwere Schäden hinterlassen habe, die repariert werden müssten, damit die Stadt wieder richtig funktioniert. Außerdem müsse die öffentliche Daseinsvorsorge mit dem Wachstum der Bevölkerung mithalten, entsprechend stiegen die Ausgaben im Landeshaushalt.

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Die Landesausgaben steigen aber auch pro Kopf der Bevölkerung, und erreichen bald wieder das Niveau der frühen neunziger Jahren, als die Finanzprobleme Berlins mit Hilfe von Bankkrediten gelöst wurden. Deshalb leidet die Stadt unter einem Schuldenberg von über 57 Milliarden Euro, für den jährlich 1,2 Milliarden Euro Zinsen gezahlt werden müssen.

Die Analyse der Haushaltspolitik seit dem Mauerfall zeigt: Die öffentlichen Ausgaben sind seit Mitte der neunziger Jahre bis 2008 stetig gesunken, nur kurz unterbrochen durch die Bankenkrise. Die strikte Sparpolitik, die Berlin vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt hat, ist eng mit den Finanzsenatoren Annette Fugmann-Heesing und Thilo Sarrazin (beide SPD) verbunden.

Dem parteilosen Nachfolger Ulrich Nußbaum gelang es noch, die Ausgaben einigermaßen stabil zu halten. Doch von Rot-Rot-Grün wurden im Wirtschaftsboom, der nun abflacht, die finanziellen Spielräume voll ausgereizt. Mit einem Finanzsenator Kollatz, der koalitionsintern als sehr kompromissbereit geschätzt wird.

Sachausgaben steigen enorm

Erst im neuen Haushaltsgesetz für 2020/21 räumt der Senat „erhebliche Herausforderungen“ ein. Verursacht durch zusätzliches Verwaltungspersonal, derzeit sind 114.800 Vollzeitstellen zu finanzieren. Hinzu kommen hohe Tarifabschlüsse und die Anpassung der Beamtenbesoldung an das Niveau der anderen Bundesländer, aber auch wachsende Pensionsausgaben. Rund 57.000 Beamte im Ruhestand sind zu versorgen, die Zahl wächst bis 2031 auf 66.000 an.

Auch die Sachausgaben steigen enorm. Allein das unentgeltliche BVG-Schülerticket und das gratis Mittagessen für Grundschüler kosten jährlich 130 Millionen Euro, die neue Ballungsraumzulage für öffentlich Bedienstete schlägt mit 230 Millionen Euro pro Jahr zu Buche, und für das solidarische Grundeinkommen sind jährlich 40 Millionen Euro eingeplant. Die Sozialausgaben der Bezirke steigen bis 2021 um 350 Millionen Euro, die Hochschulverträge werden bis dahin 150 Millionen Euro teurer.

Diese und viele andere neue Vorhaben müssen auch von der nächsten Landesregierung bezahlt werden. Dabei geht es nicht um einmalige Investitionen, die notfalls gestrichen oder verschoben werden können. Es geht um laufende Kosten, die in der Regel rechtlich abgesichert sind. Davon kommt jeder Senat, wenn das Geld fehlen sollte, nur schwer wieder weg.

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