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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Mein Berlin": Krippenspiel im Senat - ein Vorweihnachtstraum

Was hat der Berliner Senat mit einem vorweihnachtlichen Krippenspiel zu tun? So Einiges, meint unsere Kolumnistin Hatice Akyün. Und zwar so viel, dass sie sogar davon träumt

Unsere Demokratie bringt ganz wunderbare Konstellationen zustande. Während man sonst in der Politik nach kraftvollen Führungsfiguren mit medialer Ausstrahlung sucht, geht Berlin den umgekehrten Weg. Noch nie waren unsere Senatoren uns so ähnlich, so offen für Neues wie dieses Mal. Diese Unvoreingenommenheit hat mich beeindruckt.

Allerdings erdrückt mich gerade die Last von über 2000 Jahren, als schon einmal eine neue Zeitrechnung begann. Ich, Tochter zweier Muslime, versuche, meiner Tochter, Tochter von Muslimen, den Sinn hinter Weihnachten zu erklären, und das am praktischen Beispiel des vorweihnachtlichen Krippenspiels. Irgendwie habe ich wohl etwas durcheinander gebracht, denn als ich am Abend todmüde in die Kissen sank, träumte ich von der ersten Sitzung des Berliner Senats.

Der neue Leiter der Senatskanzlei Björn Böhning ergriff das Wort: „Wir brauchen dringend einen starken Impuls nach draußen, der Einigkeit, Entschlossenheit, Aufbruch und Hoffnung verbindet. Wir inszenieren ein Krippenspiel. Das lassen wir vom RBB übertragen, finanzieren es über Product-Placement und drücken es ins Web 2.0.“, schlug er der verblüfften Runde vor.

„Oh, und ich darf ein weißes Kleid tragen“, sagte die neue Arbeitssenatorin Kolat mit leuchtenden Augen. „Dit ist Weihnachten, nicht Ostern, Dilek“, zischte sie da Klaus Wowereit an.

„Dass Ihr mich richtig versteht, kein Geld aus dem Finanzetat, ich stehe auf der Schuldenbremse“, warf Finanzsenator Ulrich Nußbaum ein. „Solange Du Knauser auf dem Geld sitzt, hat wenigstens keiner 30 Silberlinge, um den Laden hier zu verraten“, raunte Innensenator Frank Henkel zurück.

„Mit so einem Kind in der Krippe, umringt von uns Hirten, wären wir ein gutes Beispiel für frühkindliche Bildung“, frohlockte die Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Das empörte Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz und sie entgegnete: „Deine unbefleckte Jungfräulichkeit im Wissenschaftsbereich wird sich nicht lange halten, Frau Kollegin.“ Das wiederum nahm Stadtentwicklungssenator Michael Müller als Anlass, zum Gegenschlag auszuholen: „Du kannst ja die Flugrouten über Berlin versteigern und Patenschaften für die Startbahnbeleuchtung verhökern, Frau Quereinsteigerin.“

Nun erhob sich Justizsenator Michael Braun aus dem Sessel und rief zu Müller: „Baue Du erst mal ohne Geld Wohnungen, die keine Mieten kosten dürfen.“ Beschwichtigend versuchte sich Gesundheitssenator Mario Czaja dazwischenzuwerfen: „Gesundheit ist vor allem ein immaterielles Gut. Nicht alles, was wichtig ist, muss auch teuer sein“.

In die kurze Stille hinein meldete sich Kolat erneut zu Wort: „Verehrte Kollegen, ich mache einen Vorschlag, wir halten uns alle auf der Bühne an den Händen und sagen im Chor: ‚Wir nehmen den Faden dort auf, wo unsere Vorgänger aufgehört haben und machen da konsequent weiter.’ Das wäre doch eine klare Botschaft.“

Kopfschüttelnd sagte der Regierende Bürgermeister: „Nee Kinders, so wird das nichts. Dit können wir keinem verkaufen. Ich mache hier schon zu lange den Josef, als dass mir jemand was in die Krippe legt, was nicht von mir ist. Und den Frank als meine Maria, das riecht doch nach Zwangsehe. Nee, Björn, wir brauchen was anderes“.

Alle blickten nun gespannt auf den neuen Chef der Senatskanzlei, der gedankenschwer den Kopf hob und sagte: „Okay, dann machen wir was Konventionelles, einen Gesprächsband mit dem Titel ‚Vorerst gestrichen’. Damit können die Berliner was anfangen, das gibt Orientierung und Sicherheit, was meint ihr?“ Die Spannung löste sich, alle nickten und klopften zum Takt meines Weckers auf den Tisch, woraufhin ich aufwachte.

Ich dachte noch kurz darüber nach, was wohl der Stadtrat von Bethlehem vor 2000 Jahren auf der Tagesordnung hatte und hörte meinen Vater sagen: „Akilli herseyi dogru yapmaya, bilgili hicbir sey yanlis yapmamaya calisir.“ – Der Kluge bemüht sich alles richtig, der Weise so wenig wie möglich falsch zu machen.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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