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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Mein Berlin": Politischer Idiotentest

Hatice Akyün schreibt über Lügen und "sachzwangreduzierte Ehrlichkeit". Sie selbst hatte zu keiner Zeit die Absicht, mit ihrer Kolumne sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen.

In meinem Osterurlaub in der Schweiz, wo Minarette nur bis zur Grasnarbe wachsen, fiel mir der Satz meiner Mutter ein: Eliyle is yaparken, kiciyla dag devirir.

Ich spanne Sie ein wenig auf die Folter, zumindest diejenigen, die der türkischen Sprache nicht mächtig sind. Gestatten Sie mir, ein wenig weiter auszuholen. Erinnern Sie sich noch an die Schulzeit? Da gab es immer einen in der Klasse, den uncoolen, langweiligen, den alle blöd fanden. Aber die Lehrerin befahl, die Spaßbremse und den Besserwisser in die Gruppe zu integrieren.

Am Gründonnerstag hörte ich vom Ergebnis der Schiedskommission der SPD im Parteiordnungsverfahren. Frei nach Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ schoss mir folgender Gedanke durch den Kopf: Durch diese hohle Phrase kann er entkommen. Wenn es führt kein andrer Weg, dann Gutnacht.

Wie muss man sich gerade in der SPD fühlen? Gerade dann, wenn sie deutlich machen könnte, dass in den viel gepriesenen Grundwerten der Sozialdemokratie auch Saft und Kraft steckt und nicht nur der nächste Kompromiss, um sich über die Runden zu retten, leidet sie an Entscheidungsschwäche.

Selbst unser Bundesguido kann im Weltsicherheitsrat nicht so schnell kneifen, wie die SPD in diesem Parteiordnungsverfahren. Oder steckt gar ein großer Plan dahinter, den ich nicht durchschaue? Nimmt die SPD die Integration nun so ernst, dass sie niemanden mehr gehen lassen will? Feind, Todfeind, Parteifreund heißt es im Volksmund. Wen ich nicht bekehren kann, den erdrücke ich mit meiner Zuneigung. Kurt Tucholsky schrieb einmal über die Genossen: „Die sind richtig, die wähle ich, man weiß, die tun was für die Revolution, aber man hat das sichere Gefühl, mit denen kommt sie nie.“

Heinrich der IV. ging nach Canossa, in der Bundesliga hätte der spuckende Spieler 20.000 Euro an einen Islamischen Kulturverein zahlen müssen, Kurt Beck kam bis zum Schwielowsee, bis er sein Amt als Parteivorsitzender los war. Aber der nörgelnde Genosse, der Pullovertragen in der kalten Bude als aktiven Klimaschutz für Erwerbslose empfahl und sich als Hobbykoch für die Armen einen Namen machte, musste nur für fünf Stunden ins Bezirksrathaus Wilmersdorf, wo die Anklägerin Andrea Nahles das Wort führte. Jene Sozialdemokratin, die so linkslastig tut, wie mein fettarmer Biojoghurt rechtsdrehend wirkt.

Mein Bruder Mustafa machte vor einiger Zeit den Idiotentest, um seinen Führerschein wiederzubekommen. Er schwor, nie wieder in geschlossenen Ortschaften 120 zu fahren und vor roten Ampeln anzuhalten. Am Ende des Tests wussten der Psychologe und mein Bruder, dass beide lügen, aber die Ordnung war wieder hergestellt. Mein Bruder durfte sich wieder in den Straßenverkehr integrieren. Beim Wissen um die Lüge, ist die Qualität entscheidend. Oder wie Dieter Hildebrandt sagte: „Das ist keine Lüge, sondern eine sachzwangreduzierte Ehrlichkeit.“

Nachdem sich nun die Schiedskommission darauf verständigt hat, worauf sie sich verständigt hat, bleibt mir nur selbst zu erklären: Ich habe in meiner Kolumne nicht die Auffassung vertreten oder zum Ausdruck bringen wollen, etwas zu erreichen. Es entspricht insbesondere nicht meiner Überzeugung, eine Meinung zu haben. Mir lag es fern, in meiner Kolumne Kritik an der SPD, insbesondere an Führungspersonen zu üben. Ich habe zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meiner Kolumne sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen. Wilhelm Tell hatte übrigens einen zweiten Pfeil dabei, für den Fall, dass die Nummer mit dem Apfel schiefgeht.

Zum Schluss aber noch die Übersetzung des türkischen Sprichwortes: „Was er mit den Händen aufbaut, schmeißt er mit dem Hintern wieder um.“

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint normalerweise jeden Montag

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