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Die gelben Telefonzellen werden ausrangiert. Heute telefoniert Hatice Akyün über Flatrate und Skype.

© dpa

Kolumne "Mein Berlin": Skype und gelbe Telefonzelle

Hatice Akyün erzählt in ihrer Kolumne von ihrer Telefonhäuschen-Vergangenheit. Heute hat sie eine Flatrate in die Türkei und telefoniert mit ihren Eltern über Skype.

Verwundert schütteln meine Eltern den Kopf, wenn ich ihnen von E–Mail, Skype, Twitter und Facebook erzähle. Ihnen sind diese Kommunikationsmittel so fremd, wie mir die Landschaften Kappadokiens. Früher liefen wir mit der ganzen Familie zu einer gelben Telefonzelle, um eine Verbindung nach Anatolien zu bekommen. Meine Telefonhäuschen-Vergangenheit stand an der Weseler Straße in Duisburg-Marxloh. Die Zelle war kanarienvogelgelb, hatte einen Schlitz für Münzen und eine Glastür, die so robust war, dass wir sie aufstemmen mussten. Meine Geschwister und ich stellten uns gegen die Tür, damit wir alle das Gemurmel der Verwandten im Heimatdorf mithören konnten. Mein Vater wählte sich die Finger wund, um eine Verbindung zum einzigen Telefon in Akpinar Köyü zu bekommen. Wenn am anderen Ende der Dorfälteste abnahm, musste einer von uns unaufhörlich Fünf-, und Zwei-Mark-Stücke in den Schlitz werfen.

Das Häuschen an der Weseler Straße gibt es nicht mehr. Heute steht dort ein türloses Glasgebilde, das nicht einmal vor Regen schützt. Ich bin noch einmal dorthin gegangen, um dieses Gefühl von früher zu bekommen. Lange habe ich es nicht ausgehalten. Das Glas war eingeschlagen, es roch streng, Zigarettenstummel lagen auf dem Boden.

Hatice Akyün.
Hatice Akyün.

© Andre Rival

Zuhause gibt es eine Türkei-Flatrate und Dutzende Telefone

Heute haben wir eine Flatrate in die Türkei. Aus dem einen Telefon in Akpinar Köyü wurden Dutzende. Manchmal schalte ich das Telefon auf Lautsprecher und lasse den Hörer auf dem Esstisch liegen, damit Oma und Opa mithören können, wie ihr Enkelkind schmatzt und schlürft. Niemand muss Münzen nachwerfen, niemand muss eine schwere Tür aufhalten, die kindliche Aufregung, eine Verbindung bekommen zu haben, ist verflogen. Wahrscheinlich muss ich bald mit meiner Tochter in ein Museum gehen, um ihr eine Telefonzelle zu zeigen. Trotz ihrer vier Jahre weiß sie, was ein Telefon ist und spielt mit ihrem Spielzeughandy. Dann sagt sie: „Hallo Omi, ja, ja, ich gehe jetzt auf den Spielplatz, schaukeln, Kuchen backen, hadi tschüss!“

Als ich vor einigen Wochen den Dachboden im alten Zechenhaus meiner Eltern aufräumte, fand ich meinen Kassettenrekorder wieder. In der Kiste lagen auch Musikkassetten. Früher, wenn wir unseren Verwandten in der Türkei mehr mitteilen wollten, saßen wir vor dem Rekorder und jeder erzählte eine Geschichte. Und war die Kassette voll, packten wir sie ein und schickten sie in unser Dorf. Unsere Verwandten freuten sich mehr darüber, die vertrauten Stimmen zu hören, als einen Brief von jemandem vorgelesen zu bekommen.

Heute versammeln sich alle vor dem PC zum skypen

Unser neuestes Kommunikationsbaby heißt Skype und wir können meine Eltern auf dem Bildschirm sehen. Sie müssen zwar die Nachbarstochter holen, damit sie den Computer anstellt und das Programm öffnet, aber sie sind stolz und erzählen es der ganzen Verwandtschaft. Im schlimmsten Fall versammeln sich alle am Computer. Es ist fast wie früher an der gelben Telefonzelle, nur anders herum.

Meine Mutter findet Videotelefonieren allerdings suspekt und spricht demonstrativ an der Kamera vorbei. Mein Vater zeigt ihr die Stelle, in die sie beim Sprechen hineinschauen soll. Aber wie weit sich die Technik auch von der gelben Telefonzelle an der Weseler Straße wegentwickeln mag, meine Mutter murmelt: „Nein, nein, so geht das nicht, ich möchte euch richtig umarmen und küssen. Wann kommt ihr endlich?“

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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