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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Mein Berlin": Thilo Sarrazin: Wie vom Hafer gestochen

Unsere Kolumnistin Hatice Akyün wundert sich über die humangenetischen Thesen eines vergaloppierten Ex-Berliner Finanzsenators. Sinngemäß sagt dieser: Wenn man mich mit einem Blödmann kreuzt, könnte das zulasten der Denkfähigkeit gehen.

Wäre die Katze ein Pferd, könnte sie den Baum hinaufreiten. Keine Sorge, mir sind nicht die Ziegen entlaufen, ich habe also noch alle Tassen im Schrank. Ich will damit nur sagen, dass der Katze gänzlich die Voraussetzung fehlt, ein Pferd zu sein. Wie ich darauf komme? Pferde mussten neulich wieder einmal für etwas herhalten, wofür sie nichts können. Nur weil sich einer wie vom Hafer gestochen vergaloppiert hat.

In einer Dokumentation des RBB sagte unser Berliner Ex-Senator und heutiger Neu-Statistiker sinngemäß: Wenn man einen belgischen Ackergaul mit einem Lipizzaner kreuze, ginge das zulasten der Lauffähigkeit. Und das sei bei Menschen nicht anders. Mit anderen Worten: Wenn man mich mit einem Blödmann kreuzt, könnte das zulasten der Denkfähigkeit gehen. Die belegt nämlich, dass Eugenik außer dumpfem Rassismus nichts Verwertbares hervorgebracht hat, und dass Prägung und Umgebung den Menschen zum eigenständigen, sozialen Wesen machen.

Das Einzige, was ich mit Pferden in Verbindung bringe, sind die Reitstunden meiner Tochter, die ein großes Loch in meinen Haushaltsplan reißen. Ich kenne Pferde als Nutztiere von den Besuchen in Anatolien. Da gehören sie im Übrigen zur Familie, weil man sie dafür achtet und schätzt, dass sie den Karren aus dem Dreck ziehen. Davon abgesehen, fließt beim Lipizzaner spanisches, neapolitanisches und arabisches Blut durch die Adern. Also wieder nix mit der überlegenen Monokultur. Und was lernen wir daraus? Das Kleid macht keinen Mann, der Sattel macht kein Pferd.

Versuchen Sie sich für einen Moment in einen Lipizzaner hineinzuversetzen. Wenn er ein Mensch wäre, wofür würde er sich entscheiden? Für die Zweisamkeit mit der Ackergauldame oder das perfekte Ziehen von Kreisen und das rückwärts Einparken an der Spanischen Hofreitschule? Als die Lipizzaner-Pferdezucht im 16. Jahrhundert begann, waren Vertreibungen von Andersdenkenden übrigens gerade an der Tagesordnung. Mit der Konfessionalisierung mussten viele Protestanten ihre Heimat aus Glaubensgründen verlassen. Ihre Vertreibung entvölkerte ganze Landstriche und speiste über die Jahre die Bevölkerung des wachsenden Berlins.

Gustav Hartmann, auch „Eiserner Gustav“ genannt, zog mit seiner Pferdedroschke 1928 von Berlin nach Paris, um gegen den Niedergang des Droschkengewerbes durch Autos zu protestieren. Hans Günter Winkler konnte auf seine Wunderstute Halla setzen, die ihn schwer verletzt 1956 zur ersten Goldmedaille im Springreiten führte. Pferde sind also oft positiv besetzte Synonyme für Erfolg. Man sagt: das beste Pferd im Stall, das höchste Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde, mit dem kann man Pferde stehlen oder der Prinz auf dem weißen Pferd, auf den ich übrigens immer noch warte. Mir fällt noch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor ein. Ein Reitlehrer hat mir erklärt, dass im alten Rom das langsamste Pferd immer rechts, das schnellste links gespannt wurde, um in der Rennbahn besser um die Kurve zu kommen.

Aber bevor ich auf meinem kleinen Ponyhof auf das falsche Pferd setze, die Gäule mit mir durchgehen, und Sie mir endgültig vorwerfen, dass ich Ihnen doch nur etwas vom Pferd erzähle, möchte ich bezüglich des Neu-Statistikers noch Ross und Reiter nennen: Nicht alles, auf dem herumgeritten wird, ist ein Pferd, aber wer auf einem toten Pferd reitet, sollte absteigen. Auch wenn es im Deutschen heißt, aus einem Esel macht man kein Rennpferd, würde mein Vater sagen: „Aptal ata binmis bey oldum sanmis, süpürge uzanmis orman oldum sanmis“ – der Idiot steigt auf ein Pferd und denkt, er sei ein Ehrenmann, der Besen legt sich hin und denkt, er sei ein Wald.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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