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Enthaarte Beine im Sommer sind für viele ein Muss - der Termin im Waxing-Studio dagegen schwer zu bekommen.

© dpa

Kolumne "Meine Heimat": Eine haarige Angelegenheit

Als Hatice Akyün nach Berlin kam, war Waxing unter den Deutschen noch wenig populär. Heute wäre es ihr lieber, wenn sich alle wieder Achsel- und Beinhaare wachsen lassen würden - denn auf Termine im Waxing-Studio muss sie lange warten.

Als ich vor knapp 15 Jahren in Berlin ankam, bekam ich von der Frau meines Moabiter Gemüsetürken eine der wichtigsten Telefonnummern. Tülin wohnte in Neukölln und machte etwas in ihrer Zweizimmerwohnung, das für uns Türkinnen seit der Pubertät zum Leben gehörte wie das Atmen: agda. Sie rührte das Warmwachs noch selbst an, dann nahm sie ein wenig davon, knetete es butterweich, zog es auseinander, klebte es auf die entsprechende Stelle und entfernte in einer ewig langen Prozedur Beinhaare, Achselhaare und nach Wunsch alles andere an Haarwuchs. Mittlerweile gibt es in Berlin an allen Ecken Waxing-Studios. Doch da sich auch die deutsche Frau von ihren Körperhaaren verabschiedet hat, dauert es Wochen, bis man einen Termin bekommt.

"Wir müssen über deine Achselhaare reden"

Ich war etwa 14, als ich von der Schule nach Hause kam und meine Mutter am Herd vorfand, wo sie in einem Topf rührte. Nach einer Weile klopfte sie an die Tür und sagte: „Tochter, ich muss mit dir über deine Achselhaare reden.“ Das war der schmerzhafteste Tag meines Lebens. Zumindest bis zu jenem Tag, an dem meine Mutter wieder klopfte und mit mir über meine Bikinizone reden wollte. Meine Mutter schnaubte meinem Schmerzgeheul entgegen: „Wie willst du es jemals schaffen, ein ganzes Kind zu gebären? Ich bin fest davon überzeugt, dass deutsche Frauen ohne uns Türkinnen immer noch an ihrer Körperbehaarung festhalten würden. Ich bin froh, dass wir den Deutschen neben dem Döner noch etwas anderes hinterlassen werden.“

Madonna zeigt wieder Haar

So verlor auch Nena ihre Achselhaare und Romy Schneider den Flaum an den Beinen. Und dank Internet und dem fleißigen Konsum an inszenierter Zweisamkeit sind mittlerweile auch viele Männer ihre Körperhaare los. Was mit David Beckham begann, haben nun auch Meier, Müller und Schulze übernommen. Glücklicherweise hat Madonna gerade zur Gegenbewegung aufgerufen und zeigt wieder Achselhaar. Und ich denke mir, bitte, macht doch alle mit. Von mir aus könnt ihr eure Achselhaare färben, flechten, Perlen einknüpfen oder kunstvoll knoten. Mich stört das nicht. Denn dann bekäme ich vor dem Herbst noch einen Termin in meinem Waxing-Studio. Oder wie meine Mutter sagen würde: „Cirkin kadin yok, bakimsiz kadin var.“ Es gibt keine hässlichen, nur ungepflegte Frauen.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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