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Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.

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Kolumne "Meine Heimat": Schwarzradlerin

Ersatzverkehre, Umbaumaßnahmen, Ausfälle: Die BVG macht es einem nicht immer leicht. Unsere Kolumnistin Hatice Akyün nahm deshalb ihr Fahrrad mit in die Bahn, um die Lücken des Verkehrsnetzes zu überwinden. Jetzt sucht sie immer noch ihr Ticket.

Ignorantia legis non excusat – Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Mich haben sie beim Schwarzfahren erwischt. Genau genommen nicht mich, sondern mein Fahrrad. Ich selbst besitze nämlich eine Monatskarte. Das Schülerticket meiner Tochter, die ein Fahrrad mitnehmen darf, hatte ich bei der Kontrolle auch dabei, nur meine dazugehörige Tochter nicht. Es wäre allerdings auch eine sehr kühne Auslegung der Regelung geworden, meine 1,20 Meter große Tochter neben mein 28-er Damenrad zu stellen. Mal ganz abgesehen davon, dass es fast Mitternacht war, als ich mich mit dem Rad auf dem Nachhauseweg befand.

Ich könnte nun Einspruch gegen das erhöhte Beförderungsentgelt einlegen, indem ich zu meinen Gunsten darlege, dass ich mein Fahrrad nur dabei hatte, weil Ersatzverkehre, temporäre Streckenstilllegungen und kurzfristige Ausfälle es bisweilen unabdingbar machen, meinen Drahtesel mitzuschleppen. Dass ich trotz Monatskarte quasi auf mein Rad angewiesen bin, um das willkürlich ausgedünnte Netz der BVG aus eigener Kraft ersetzen zu können. Und überhaupt: Kaufe ich mir eine Monatskarte für ein funktionierendes Netz oder ein Los der Lotterie, das mich gegebenenfalls zu meinem Zielort bringt, aber für die Vertragserfüllung keinerlei Gewähr übernimmt? Wie wäre es deshalb einmal anders herum? Liebe BVG, bei einer Netzabdeckungsüberprüfung habe ich festgestellt, dass diese lückenhaft ist. Bitte erstatten Sie mir für den nicht funktionierenden Teil Ihres Netzes 40 Euro.

Wenn ich ein Fahrrad mitnehme, für das ich keinen gültigen Fahrausweis besitze, werde ich wegen Erschleichung einer Dienstleistung belangt. Dann ist es nur fair, den Dienstleister für seine nicht erbrachte Fahrleistung zur Verantwortung zu ziehen. Und eine andere Frage wäre auch noch zu klären. Kann ich, wenn ich eine Fahrkarte für mein Fahrrad löse, es unbeaufsichtigt die Stadt erkunden lassen? Also morgens in die S-Bahn stellen und abends wieder abholen? Oder werde ich dann verknackt, weil ich mein Fahrrad unbeaufsichtigt dem Nahverkehr ausgeliefert habe?

Es macht gewiss Sinn, der Mitnahme von Rädern Regeln zu unterlegen. Aber diejenigen, die aus ökologischer Vernunft auf ein Auto verzichten, mit Fahrrad und Nahverkehr große Distanzen überbrücken, werden mit unsinnigen Zusatztickets auch noch bestraft.

Dass ich nun 40 Euro abdrücken muss, weil ich das löchrige Netz der BVG aus eigener Pedalkraft überwinden wollte, nehme ich gezwungenermaßen an. Ansonsten müsste ich ja mein Fahrrad ersatzweise in Haft geben, mit der es bedroht wäre, wenn ich nicht bezahle. Das kann ich dem armen Ding wirklich nicht antun. Mehrfach herumgestoßen, durch kindskopfgroße Schlaglöcher auf Radwegen verunsichert, von Idioten in Baugruben versenkt und dadurch schon hochtraumatisiert, möchte ich meinem Schatz nicht auch noch eine Erzwingungshaft zumuten. Deshalb möchte ich der BVG folgendes Angebot unterbreiten: Wir treffen uns heute um Mitternacht an der Glienicker Brücke, ich bringe das Lösegeld für das Rad mit und Sie übergeben mir den Wert der Minderleistung des Nahverkehrs der letzten Jahre. Mit dem Geld gründe ich dann eine Schwarzfahrer-Stiftung. Oder wie mein Vater sagen würde: „Kulagina küpe olsun“. Es soll dir ein Ohrring an deinem Ohre sein.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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