zum Hauptinhalt

Kolumne "Meine Heimat": Wo bleibt die deutsche Vielfalt?

Deutschland feiert den Fall der Mauer und seine deutsch-deutsche Einheit. Und Hatice Akyün fragt sich, wann auch die Türken endlich dazugehören.

Eigentlich wollte ich Berlin zu den Feierlichkeiten zum 25. Mauerfall-Jubiläum verlassen. Was könnte ich, ein Ruhrgebietskind, schon damit anfangen? Ich bin noch nicht mal von hier. Berlin war für eine aus dem Ruhrpott so weit weg wie New York. Und für uns Türkenkinder noch weiter als Anatolien. Aber dann hat es mich doch gepackt. Auslöser war eine E-Mail von André. Er war der erste Ostdeutsche, den ich kurz nach der Maueröffnung kennengelernt habe, und der erste ostdeutsche Mann, mit dem ich eine Beziehung hatte. Und ich war für ihn die erste Türkin. Irgendwie verband uns das – und die Lust auf Abenteuer. Als erste Beziehungstat fuhren wir von Duisburg nach Magdeburg, um meinen roten Fiesta dort zu verkaufen. Bis ins Ruhrgebiet hörte man die Geschichten, dass man im Osten sein altes Westauto für das Zehnfache verkaufen könne. Den Fiesta wollte zwar niemand haben, aber meine erste Reise in den Osten hat mich für immer geprägt.

Mein Land feiert also zum 25. Mal den Fall der Mauer. Niemand, der Teil dieser Geschichte war, bleibt von den Bildern unberührt. Doch in mir drin stecken auch ein paar Momente des Innehaltens und des Hinterfragens, die mir helfen sollen, die Dinge klar benennen zu können. Da gab es ein zweites Deutschland, dessen Bürger zur gleichen Nation gehörten wie die des anderen Teils. Einfach so, wegen der Sprache, der Herkunft und der Kultur.

Als ich am Wochenende mit meinem Rad die Lichtgrenze entlangfuhr, ging mir ein Gedanke durch den Kopf. Warum haben wir Türken es eigentlich nicht geschafft, so richtig dazuzugehören? Warum sind unsere Eltern und ihre Nachkommen bis heute nicht Teil dieses Deutschlands? Liegt es daran, dass sie aus einer anderen Kultur kamen, mit einer anderen Sprache? Konnten sie deshalb viele Jahrzehnte eben nur fast dazu gehören, aber nie ganz? Und noch etwas ging mir durch den Kopf. Wann verliert man eigentlich dieses Etikett „Migrationshintergrund“? Oder bleibt es immer ans uns kleben?

Die Freiheit des anderen aushalten

Dabei erträgt sich dieses Deutschland in seiner Vielfalt auch nur begrenzt. Bayern, Franken, Schwaben, Friesen, Westfalen und Rheinländer, das sind Identitäten, die sich voneinander abgrenzen. Süddeutsche, Westdeutsche und Norddeutsche sind unterschiedlich sozialisiert. Einmal war ich beruflich in Schwerin. Der Kulturschock war heftig. Ostdeutscher Pragmatismus, gepaart mit norddeutscher Spracharmut, traf auf Ruhrpott-Frohnatur, neugierig und mit Lust am verbalen Austausch. Herbert Grönemeyer sang schon über uns „von klarer offner Natur, urverlässlich, sonnig stur, leichter Schwur, komm zur Ruhr“.

Ich bin froh, dass ich an diesem besonderen Wochenende doch hier geblieben bin und die Stadt erkundet habe, den Menschen begegnet bin. Ich glaube fest daran, dass das, was die Bundesrepublik bei allem Knirschen zusammenhält, ein Staatsgefäß ist, das dem Einzelnen die Spielräume lässt, so sein zu dürfen, wie er will. Diese Individualität wird geschützt. Dafür muss aber jeder für sein Recht auf Freiheit auch ganz schön die Freiheit des anderen aushalten. Oder wie mein Vater sagen würde: „Ayni dili konusanlar degil, ayni duygulari paylasanlar anlasabilir.“ Nicht, wer die gleiche Sprache spricht, sondern die gleichen Gefühle teilt, versteht sich.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false