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Kommen und Gehen: Wer über Weihnachten nach Berlin reist - und wer die Stadt verlässt

Treppauf, treppab herrscht zwei Tage vor Heiligabend Betrieb am Hauptbahnhof. Wohin reisen sie nur alle? „Nach Hause“, antworten die meisten.

Das liegt in Norddeutschland, im Süden, und manchmal sogar nur noch ein paar S-Bahn-Stationen entfernt. Weihnachten ist traditionell keine Hochsaison für den Tourismus in Berlin, weiß Christian Tänzler von Berlin Tourismus Marketing. Eher seien es Familienbesuche, wegen derer Reisende über die Feiertage in die Stadt kommen. Wer reist an, wer ab – und wohin überhaupt? Wir haben uns am Bahnhof umgehört.

Vor einer der großen Drehtüren am Eingang raucht Julia „BitteohneNachnamen“ noch eine Zigarette. Gleich geht ihr Zug heim nach München, fünf Stunden und vierzig Minuten dauert die Reise. Auf dem Rücken trägt sie einen vollgepackten Rucksack, neben ihr steht eine große braune Papiertüte, aus der Geschenkpapierrollen und Schachteln ragen. „Ich habe jede Menge Fotos mit dabei“, erklärt sie. Die Motive: Bayern im Sommer, die Familie beim Wandern, grüne Wiesen, blühende Blumen. Die sollen noch in ein Geschenk für die Eltern verwandelt werden. Nur nicht so etwas Langweiliges wie ein schnödes Fotoalbum. „Entweder ich bastle ein Mobile, oder vielleicht ein paar schöne Rahmen“, sagt Julia, die 25 Jahre alt ist und in Berlin Kunstgeschichte studiert. Nun, auf knapp sechs Stunden Zugfahrt nach Hause, wird ihr schon etwas einfallen. Geschenke sind eh nicht so wichtig, wenn man sich viel mehr darauf freut, Eltern und Schwester mal wiederzusehen.

Gerade von einem Teil ihrer Familie verabschiedet hat sich Annemarie Schweer, 74, die schwungvoll in einem hellen Wintermantel aus einem Taxi steigt. „Verwandtenbesuche erledigt“, sagt sie mit einem Lächeln. In ihrem großen Rollkoffer stecken jetzt Geschenke von sechs Enkelkindern im Alter von 7 bis 16 Jahren, die sie über die Adventszeit in Berlin und Stahnsdorf besucht hat. Ein Päckchen ragt sogar aus der großen Tasche heraus. „Dieser Koffer ist eine Zumutung“, sagt Frau Schweer. „Als ich kam, war er fast leer!“ Und nun muss sie ihn auch noch bis ins Rheinland transportieren, in die Kleinstadt in der sie wohnt, zwischen Köln und Düsseldorf, wo die andere Hälfte der Familie zu Heiligabend dann sie besuchen wird. Was es wohl zu essen gibt? „Ach Gott, muss ich das schon wissen?“, fragt sie. „Ente wahrscheinlich.“ Und jetzt auf zum Zug.

Das weihnachtliche Menü fällt bei Michel Picke, 26, und seiner Familie ganz bodenständig aus: „Würstchen und Kartoffelsalat“, sagt er und freut sich schon: „Ich will gar nichts anderes.“ Der Student der Politikwissenschaft zieht einen Rollkoffer hinter sich her, trägt neben der Laptop- auch noch eine Umhängetasche und eine große Sporttasche. „Alles Geschenke“, die er nach Passau schleppen wird. Sieben Stunden Zugfahrt, zweimal umsteigen, Sitzplatz reserviert. Die Schwester bekommt eine Handtasche, jemand aus der Familie hat sich einen Pullover gewünscht. Essen und lesen wird er auf der Zugfahrt – und entspannen. Eigentlich müsste Picke während der drei Wochen zu Hause auch noch eine Hausarbeit schreiben. Das Thema „Die EU und die Kaukasuskrise“. Naja, hat alles noch Zeit. Zur Gewissensberuhigung stecken in einer seiner vielen Taschen immerhin zwei Bücher zum Thema. „Aber machen werd ich nix“, sagt er und grinst.

Mit viel Disziplin hingegen hat sich Sven Huirne, 24, schon während der Zugfahrt aus dem niederländischen Nimwegen über seine Politikbücher gebeugt. Im nächsten Jahr steht die Masterarbeit in „International Business“ an. Vorher aber feiert er mit seiner Freundin Steffi Purbst, die auch 24 ist und ebenfalls in Nimwegen wohnt, bei ihrer Familie in Berlin Weihnachten. Ein erstes Treffen mit den Eltern der Freundin, und das an Weihnachten? Nein, alles ganz entspannt, die beiden sind schon seit drei Jahren ein Paar. Eigentlich kennen sie sich sogar schon seit zehn Jahren, von einem Schüleraustausch. Am Dienstag sind sie furchtbar früh aufgestanden und schon seit sechs Uhr morgens unterwegs. „In Holland herrscht Schneechaos“, sagen sie. Zum Glück fuhr ihr Zug überhaupt. Wie es in den Niederlanden Brauch ist, haben sich die beiden schon zum Nikolaustag etwas geschenkt. Trotzdem haben sie noch etwas füreinander eingepackt. Steffi hat sich ein Portemonnaie gewünscht, Sven grinst.

Christoph Sklarski hat seine Verbindung just verpasst. Zwei Stunden dauert es, bis der nächste Zug in seine Heimatstadt Rostock fährt. „Wachbataillon“ steht auf seiner Mütze. Der 19-Jährige – ab dem 1. Januar 2010, das verrät er, ist er Gefreiter bei der Marine – wohnt in der Julius-Leber-Kaserne und hat „bis zum 4. Januar Landgang“. Ob die schicke Uniform, die er trägt, auch warm ist? Verfroren sieht er ja aus, wie er vor dem Bahnhofseingang herumsteht. Aber „Nein“, sagt er, ihm sei nicht kalt. Sein größter Weihnachtswunsch hat sich schon erfüllt: Urlaub. Die Mutter bekommt Parfüm, der kleine Bruder eine DVD – „Ice Age III“ – und als Lektüre für die Reise hat Sklarski ein Buch in seine olivgrüne Tasche eingepackt. Sechzig Seiten hat er noch zu lesen – auf drei Stunden Zugfahrt ist das locker zu schaffen.

Ines Mateyka wollte auf der fünfstündigen Zugfahrt von Mannheim nach Berlin lieber schlafen. Gar nicht so einfach, wenn eine junge Frau im Abteil zeitgleich die Klingeltöne ihres Handys durchprobiert. „Ganz ausgiebig essen“ wird die gebürtige Berlinerin während der Feiertage. Jedes Jahr gibt es etwas anderes, einer kümmert sich um die Suppe, der nächste bereitet den Nachtisch zu. Besonders beliebt: das Ingwerparfait einer Bekannten, die seit Jahren mit der Familie in Lichterfelde feiert. Acht Leute werden sie an Heiligabend sein. Die meisten Geschenke hat Mateyka in einem italienischen Feinkostgeschäft in München besorgt. Exquisite Pasta zum Beispiel. „Da hat dann die ganze Familie etwas davon“, sagt sie und lacht. Zu Silvester fährt die 35-Jährige schon wieder nach Süddeutschland, der Freunde wegen. Katja Reimann

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