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Smalltalk? Hilfe!

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Kommentar: Deine Meinung zum Wetter interessiert mich nicht

Überall verkrampfter Smalltalk. Wie schön wäre es, wenn man ehrlich sein könnte, meint die Jugendredaktion.

Morgens, mittags oder abends, am Ku'damm, Alex oder Ostkreuz, immer kann es passieren, dass du Opfer wirst und Täter zugleich - Opfer und Täter des Smalltalks. Er wartet nichts ahnend am Bahnsteig, an der Straßenecke oder beim Bäcker, hört Musik, trinkt Kaffee oder liest ein Buch, er wartet in Form einer Person, die du gut genug kennst, um dich mit ihr unterhalten zu müssen, aber zu schlecht, um ein echtes Interesse an dieser Unterhaltung zu hegen. Geschweige denn zu wissen, worum es in dem Gespräch gehen könnte.

„Hey.“ „Hey.“ – es folgt eine kurze Umarmung, die keine Umarmung ist, sondern ein Sich-annähern-mit-Sicherheitsabstand. Dann eine säuerliche Mundverzerrung, die mit etwas Phantasie als Lächeln interpretiert werden kann, sowie ein Interesse heuchelndes „Naaaaa?“, um die vielversprechende Unterhaltung einzuleiten, wobei es dem Adressaten des Naaaaa´s aufgrund solch triefender Tiefsinnigkeit meist die Sprache verschlägt. Es folgen kunstvolles Kopfkratzen und zweistummes Zu-Boden-starren. 

Wären wir ehrlich, würden wir sagen: „Hey, weißt du was? Ich habe keine Ahnung, wer du wirklich bist und habe auch kein gesteigertes Interesse daran, das zu erfahren. Da du mich ebenfalls nicht kennst, scheint unser kleiner Schwatz wohl nicht so spannend zu werden.“ Der Andere würde erleichtert zustimmen und das Problem wäre gelöst. Oder aber wir würden uns um ein ehrliches Gespräch bemühen.

Das Wetter und die Selbstdarstellung

Stattdessen wühlen wir wild in unseren gedanklichen Gesprächsschubladen herum und zerren all die vorgeformten Worthülsen heraus, die dort verstaut sind. Sprechblasen, die zu sagen und zu hören gleichermaßen langweilen, jedoch auch ängstigen. Schließlich schweben wir in der ständigen Gefahr, dass sich keine auf die vorangegangene passende Phrase mehr findet und sich die unangenehme und nervenaufreibende Smalltalkstille auf uns herabsenkt.

Dann ist es günstig, wenn sich unter den Sprechphrasen etwas zum Lästern findet – gemeinsame Feinde fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Ebenso ungefährlich ist das Thema Wetter, welches, oh Wunder, zu den Jahreszeiten überleitet. Hier ist Platz für eine ausführliche und kontroverse Debatte über die Möglichkeiten und Einschränkungen sowie Freizeitmöglichkeiten und Stimmungen, die die verschiedenen Jahreszeiten mit sich bringen. Sind all diese Schubladen leer geräumt, bleibt noch die Selbstdarstellung. Man erzählt von Dingen, die man, angeblich oder tatsächlich, denkt und tut, weil man der Überzeugung ist, bei seinem Gegenüber damit in die Kategorie „cool“, „witzig“ oder „intelligent“ eingeordnet zu werden. Und wenn dann der gezwungen-entspannte Miniplausch beendet ist und man es geschafft hat, im richtigen Moment die richtigen Worte aus den Schubladen zu ziehen, um die Smalltalkstille in Schach zu halten – dann kann man die Nummer des Fundbüros wählen und fragen, ob sie vielleicht morgens, mittags oder abends, am Ku'damm, Alex oder Ostkreuz ein bisschen Authentizität gefunden haben.

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Henriette Teske

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