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Berlin: Kommt ein Reisekoffer geschwommen

Berlin ist eine Wasserstadt – das haben auch Kriminelle erkannt. Gestohlen wird alles, sogar Luxusyachten. Leichen sind der Schrecken der Wasserschutzpolizei

Weit ist er nicht gekommen, der große Reisekoffer mit den Hawaii-Aufklebern, den die Besatzung der „Havel-Harke“ am 28. April 1993 in Havel entdeckt. An der Oberfläche treibend, zwischen Scharfer Lanke und Pichelsdorfer Gemünd. Die „Havel-Harke“ heißt amtlich „Klara Bella“. Sie gehört der Senatsverwaltung und sorgt für die Sauberkeit der Berliner Gewässer und ist gerade mit Uferreinigungsarbeiten beschäftigt. Wenn von der „Havel-Harke“ ein Anruf eingeht, geht bei Wasserschutzpolizisten die Magensäure hoch. „Wir saßen gerade beim Frühstück in der Wache 3 auf Schwanenwerder“, erinnert sich Peter Rieck noch heute mit leisem Unbehagen, „der Anruf kam direkt von Bord: Da treibt ein Reisekoffer, und aus dem dringen blutähnliche Substanzen.“

Alle wissen, was jetzt kommt. Die Havel hoch bis fast zur Heerstraße in einem Boot „mit Eile“, Blaulicht und Sirene, das heißt: so schnell es geht, ohne andere Leute durch Sog und Wellenschlag von Surfbrettern, Segelbooten oder Ausflugsdampfern zu holen. Die „Havel-Harke“ wird solange den Koffer an Bord holen. Die Schute hat einen Arbeitsbereich für solche Fälle, und der Kapitän weiß, dass er außer bergen nichts tun darf, bevor die Polizisten da sind. Peter Rieck ist damals erst ein knappes Jahr bei der Wasserschutzpolizei und dankbar, dass der Käpt’n auch sonst cool ist und anbietet, den Koffer zu öffnen. Auf schnelle Erlösung spekulieren er und seine Kollegen trotzdem nicht. Erstmal sind da Stricke um den Koffer herum, mit fachgerechten Knoten versehen. Sie müssen einzeln fotografiert werden, „weil sie ja ein Hinweis sein könnten“. Auf Täter und Arbeitsweisen. Als die Knoten endlich gelöst sind, kommt der große Moment des coolen Käpt’ns: Er klappt den Koffer auf, und alle starren auf – Steine. Auch die werden fotografiert. „Dann wurden die weggenommen, darunter war ein Leinentuch, auch das wurde weggenommen, dann kamen noch mal Steine und noch ein Leintuch“, erzählt Rieck. Als jede einzelne Schicht sorgfältig dokumentiert und das letzte Leintuch gelüftet ist, „da kamen dann Ansätze eines Körpers in Sicht, also einer Leiche.“

Gerochen hatten sie sie längst. Als sie sie sehen können, alarmieren sie die Sofortbearbeitung der Direktion 2, denn ab jetzt ist das Kripo-Arbeit, und bringen den gesamten Fund zur Marina Lanke-Werft gegenüber. Die Kripo-Kollegen holen den Leichnam aus dem Koffer. Er ist männlich, unbekleidet und in einem Zustand, über den wir hier eine magenfreundliche Abblende legen wollen. Der Tote war, wie die Rechtsmediziner feststellen werden, voll mit Heroin und Kokain. Ein Junkie, wie die Kripo ermitteln wird, der sich den goldenen Schuss gesetzt hatte. Seine Spandauer WG-Genossen hatten ihn einfach „entsorgt“ – in einen alten Koffer gepackt, mit Steinen beschwert, auf der Heerstraße von der Freybrücke geworfen und gehofft, dass er nie wieder auftaucht. Er treibt Richtung offene Havel, aber er kommt nur etwa einen Kilometer weit.

Die Gase, die sich im Körper durch den Fäulnisprozess bilden, treiben sogar die schweren Steine mit hoch an die Oberfläche. Vermutlich verhakt sich der Koffer an Wurzeln oder wird durch Untiefen gebremst, bis ihn die „Klara Bella“ an der kleinen Landzunge aus der Havel harkt. „Man ist einiges zu heben imstande als Leiche“, grinst Rieck, der inzwischen Hauptkommissar und Sachbearbeiter Einsatz ist und sich um Öffentlichkeitsarbeit und Prävention kümmert. Er rekapituliert die Geschichte auf Deck des Wasserschutzbootes „Sturmmöwe“ während einer Streifenfahrt in der relativ kühlen Luft des Dezembers 2006 auf der Spree zwischen den Treptowers und dem abgetakelten Spreepark Plänterwald.

Wasserleichen sind der Schrecken auch der meisten Profis, die mit Toten zu tun haben. „Ein ekelhaftes, unangenehmes Gefühl“, sagt Rieck. Die meisten tauchen nach drei Tagen auf, „wenn wir sie nicht vorher finden“. Und die meisten Toten sind Leute, die sich beim Baden oder Segeln selbst überschätzen. Oder die allen Warnungen zum Trotz im Winter unbedingt Scherz und Frohsinn auf vereisten Seen und Flüssen treiben müssen.

Berlin ist eine Wasserstadt. Knapp sechzig Quadratkilometer des Stadtgebiets, zweihundert Kilometer schiffbar. Allein die Ufer der Flüsse, Kanäle und vielen Gräben und Nebenläufe, ohne Seen und Teiche, ziehen sich über fünfhundert Kilometer und haben, wie immer stolz betont wird, mehr Brücken als Venedig. All das ist das Revier der gut zweihundert Berliner Wasserschutzpolizisten und -polizistinnen, verteilt auf vier Wachen in Moabit, Zehlendorf, Spandau und Treptow, wo seit 1990 auch die Leitung sitzt. Sechzehn der zwanzig Streifenboote kann jeder leicht erkennen, sie führen die Kennung WSP, eine zweistellige Zahl und den Namen entweder eines Wasservogels, wenn sie vor 1990 getauft wurden, oder einer Wasserstraße, wenn sie neuer sind. Die fünf anderen soll man gar nicht erkennen oder erst, wenn es zu spät ist – die Zivilboote des StrD VB (Streifendienst Verbrechensbekämpfung) sind auch schnell genug für Verfolgungsjagden.

Denn in den letzten Jahren sind nicht nur Sportboot-Raser zur Plage geworden, die vielen neuen teuren Boote und Yachten werden auch immer öfter zum Objekt der Begierde gewisser Kreise, die vor kurzem noch auf den Diebstahl von Luxusautos spezialisiert waren. Bei manchen Dieben reicht allerdings auch das schnellste Polizeirennboot nicht, wie Wolfgang Kamm, Polizeihauptkommissar und seit 1980 dabei, erzählt: „Die haben erst Teile aus ihrem Boot geschmissen, um die Verfolgung zu verhindern, und als sie merkten, sie kommen nicht weg, haben sie ihr Boot Richtung Land gelenkt, so Miami-Vice-mäßig, und kurz vorm Land sind sie abgesprungen, die hatten alle Neopren-Anzüge an.“ Und verschwanden im Wald. Ohne Beute. „Das Boot war auch geklaut, die haben ihr gesamtes Diebesgut zurückgelassen.“

Andere dagegen sind so dämlich wie die drei, die einen ganz schlauen Plan hatten: Zwei klauen ein Boot, der dritte organisiert einen Laster, mit dem sie es an einer verabredeten Stelle an Land ziehen. Dummerweise macht der Lkw schlapp, also fahren wieder zwei los, einen mit mehr PS zu holen, und lassen den dritten Mann da, damit in der Zwischenzeit nicht jemand das halb im Wasser, halb auf dem Trailer an Land hängende frisch geklaute Boot klaut. „Der saß da wie so’n Hühnchen im Gebüsch“, lacht Kamm. Und fiel prompt einem Spaziergänger auf, der die Polizei rief.

Alle, die heute mit auf der „Sturmmöwe“ sind, haben solche Schnurren auf Lager. Sie erzählen sie gern und mit einer eigenartigen Unaufgeregtheit. Vermutlich kriegt die, wer sich viel auf dem Wasser bewegt und gelernt hat, mit diesem respektheischenden Element umzugehen. Wasserwege haben viel gemeinsam mit Straßen. Wenn man an ihnen einmal etwas erlebt hat, fällt es einem beim Vorbeituckern sofort wieder ein. „Da am Plänterwald“, sagt Hauptmeister Helge Hüter, der Steuermann, „hat’s voriges Jahr mehrere Brandstiftereien gegeben. Kinder und Jugendliche haben da Wohnwagen angezündet.“ Wenn es im Spreepark brennt, hat die Feuerwehr Großalarm, es gibt keine Hydranten. „Die müssen gleich mit mehreren Löschzügen und Tankeinheiten anrücken, und wir haben die Aufgabe, die Zufahrtswege frei- und die Schaulustigen wegzuhalten.“ Hüter denkt auch noch mit leicht wohligem Schauer an den ehemaligen Fallschirmjäger der DDR-Volksarmee, der jahrelang im Sumpfgebiet im Gosener Bruch gehaust hat. „Hat da seinen eigenen Krieg gespielt, sein Boot abgedämmt und sich so’n Tauchding gebaut, womit er sich unter Wasser ziehen lassen konnte. Der ist nur mit Neopren-Anzug und geschwärztem Gesicht rumgelaufen. Das war seine Welt – der Rambo von Gosen.“ Er wurde mal festgenommen, weil er in ein Fahrgastschiff eingebrochen war. Das zweite Mal hat er in der Schmöckwitzer Gegend ein paar Yachten in Flammen aufgehen lassen. Sein Dschungelcamp entpuppte sich als halbes Warenlager voll gestohlener Dieselanlagen, Kochgeschirre, Propangasflaschen. Jetzt sitzt er in Haft, auf dem Trockenen.

Das Problem mit Diebesgut aus Sportbooten, sagt Peter Rieck, ist die Zuordnung. Die Hälfte der Bestohlenen kann das eigene Bootszubehör nicht oder nur ungenau beschreiben, und die besonders beliebten Außenbordmotoren haben, anders als Automotoren, keine Identifizierungsnummern. Deshalb legen er und seine Leute gerade ein Präventionsprogramm auf, das im nächsten Frühjahr anlaufen soll. Unter dem Motto „Gravierend mehr Sicherheit“ wird die Wasserschutzpolizei in wertvolle Bootsteile individuelle Nummern gravieren, die auch in einen Bootspass eingetragen werden. Ein ähnliches Programm hat sich an Land mit Fahrrädern bewährt. Profitabel ist es für alle Seiten – außer der kriminellen. Versicherungen sparen Schadensersatz, Bootsbesitzer kommen eher an ihre Sachen, und die Polizei rechnet „mittelfristig mit merkbarer Senkung der Diebstähle“.

Ein großer Teil der Arbeit der WSP ist Umweltschutz, sowohl präventiv wie repressiv. Auch dabei geht es oft um Kriminalitätsbekämpfung, denn wer zum Beispiel seine Fäkalien oder Ölreste ins Wasser kippt, begeht eine Straftat. Die WSP kontrolliert den Transport gefährlicher Güter auf dem Wasserwege ebenso wie die korrekte Entsorgung von Schleifpartikeln und Farbresten an Land, die tatsächliche oder geschmuggelte Ladung der Kohlezüge wie die Sicherheit an Bord, den Alkoholpegel von Bootsführern wie deren Fahrerlaubnis, sie hält Angler von Fischwilderei ab und sichert Regatten und die nassen Teile der Protokollstrecken von Staatsbesuchen. Alles in freundschaftlich enger Kooperation mit dem Brandenburger Pendant. Denn Wasser kennt keine Landesgrenzen.

Man muss vielleicht nicht gerade ein Seebär sein, aber das Element mögen und eine robuste Konstitution haben. Im Sommer kann es auf Deck ziemlich warm werden und in der engen Kabine erst recht. Dann sitzt die „atmungsaktive“ Uniform wie angegossen, und die Mütze klebt von allein am Kopf. Im Winter gehören Rotznasen und Fieberköpfe zum Inventar, denn erstens herrscht am Wasser immer Nasskälte, und die kriecht durch alle Extra-Unterhosen, und zweitens pendelt man dauernd hin und her zwischen warmer Kabine und Frost draußen, wenn man Eisflächen messen oder Menschen retten muss. Der letzte Winter war lang. Wann der nächste kommt, außer im Kalender, weiß an Bord zwar auch niemand, aber sorglos macht sie das nicht. „Man ist zu jeder Zeit drauf vorbereitet, dass man von einer Woche auf die andere mit Eis zurechtkommen muss“, sagt Hauptmeister Holger Enseleit, auch er ein alter Hase, seit 1985 dabei und die meiste Zeit draußen auf Streifen rund um die Uhr. „Wenn der Frost kommt, ist die Wasserstraße bald zugefroren.“ Dann ruht auch die Berufsschifffahrt. „Und dann machen wir unsern Eiswarn- und Rettungsdienst.“ Sie fahren die Uferwanderwege und Straßen entlang den Gewässern ab auf der Suche nach Leuten, die auf dem Eis herumblödeln. Von der Landseite aus diesmal, in Spezialfahrzeugen mit Rettungsgerät und Schutzanzügen. „Führerscheine haben wir nämlich auch!“

Vor allem aber gehen sie dann auch wieder regelmäßig in Schulen, weil man anscheinend jedes Jahr von Neuem Kindern wie Erwachsenen eintrichtern muss, dass es auf fließenden Gewässern keine garantiert sichere Eisfläche gibt, egal wie lange schon Frost herrscht, und dass deswegen das Betreten nirgends erlaubt ist. „Gewässer bergen immer Gefahren, selbst wenn die Eisfläche fünfzehn Zentimeter dick ist“, sagt Peter Rieck, „es gibt plötzlich irgendwo warme Zuläufe, da ist sie dann plötzlich nur noch ein, zwei Zentimeter dick. Das ist das Tückische, und darauf haben wir keinen Einfluss.“

Vielleicht wird dieser Winter aber auch wieder einer, in dem außer „ein bisschen Grisselwasser“ nichts gewesen sein wird. Wenigstens gibt es dann keine Eisleichen. Denn mindestens so schlimm wie lange liegende Wasserleichen im Sommer sind kleine Menschen, die tot aus dem Eis gezogen werden müssen. Auch wenn sie dem Anschein nach ganz unversehrt sind und aussehen „wie kleine Puppen“.

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