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Das Kopftuch-Tragen gehört für viele gläubige Muslime zur freien Ausübung ihrer Religion dazu. Berliner Pädagogen sehen das teilweise anders, sie wollen es lieber hinauszögern.

© dpa

Kopftuch-Streit an Grundschulen: Muslimischer Verband in Berlin pocht auf Religionsfreiheit

Sollen muslimische Mädchen auch im Unterricht Kopftuch tragen? An Grundschulen in Berlin wird darum gerungen. Der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg fordert jetzt ein Eingreifen der Bildungssenatorin Sandra Scheeres - für die freie Religionsausübung und gegen Verbote.

Drittklässlerinnen, die aus religiösen Gründen nicht schwimmen können, Sechstklässlerinnen, die sich wegen der Kopftuchfrage mobben, und Rektoren, die versuchen, das umkämpfte Kleidungsstück aus ihren Schulen fernzuhalten: Der Konflikt um die Verhüllung von Mädchen bereits im Grundschulalter hat viele Facetten. Jetzt hat der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) gefordert, dass sich Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) dazu positionieren soll.

„Wir erwarten von der Senatsverwaltung für Bildung, dass sie dem Hinweis auf rechtswidrige Kopfbedeckungsverbote nachgeht und alle Schulen anweist, die Religionsfreiheit zu gewährleisten“, lautet die Forderung des TBB. Anlass war der Versuch einer Wilmersdorfer Grundschule, das Tragen von Kopftüchern zu verbieten. Scheeres will der Forderung nicht entsprechen – und stößt mit dieser Weigerung teilweise auf Zustimmung.
„Wenn Frau Scheeres einen derartigen Brief verfassen würde, entzöge sie jenen Schulleitern die Rückendeckung, die versuchen darauf hinzuwirken, dass die Grundschulmädchen kein Kopftuch tragen“, warnte Neuköllns designierte zukünftige Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag. Sie sei mit jenen Schulleitern einer Meinung, „die wollen, dass Grundschulkinder sich frei bewegen können“.

Die Hälfte der Drittklässer in Neukölln kann nicht schwimmen

Nicht zuletzt für den Schwimmunterricht hat es Konsequenzen, wenn schon die kleinen Kinder aufgrund der Bekleidungsvorschriften eingeschränkt werden. „In Neukölln lernen 50 Prozent der Drittklässler nicht schwimmen“, bedauert Giffey. Das hat zum einen damit zu tun, dass viele Mütter aufgrund ihrer eigenen traditionellen Erziehung nicht schwimmen können: Die Wassergewöhnung der Kleinkinder entfällt dadurch. Wenn dann in der dritten Klasse der Schwimmunterricht auf dem Rahmenplan steht, sind die Erfolge gering. Zudem versuchen strenggläubige Eltern mit Hilfe von Attesten, ihre Töchter vom Schwimmunterricht fernzuhalten, obwohl es Ganzkörperbadeanzüge, die sogenannten Burkini, gibt.

Die Pädagogen, die so denken wie Giffey, versuchen auf vielfältige Weise, das Kopftuchtragen hinauszuzögern. Eine Variante besteht darin, dass man die Familien eine Art Schulvereinbarung unterschreiben lässt, in der das Tragen jeglicher Kopfbedeckungen verboten wird. Ein solcher Fall war 2013 in Neukölln durch Elternbeschwerden ans Licht gekommen, woraufhin die Schulleiterin von der Bildungsverwaltung gemahnt wurde, die freie Religionsausübung nicht zu gefährden. Ebenso klar hatte sich die Verwaltung im jüngsten Fall der Wilmersdorfer Grundschule geäußert.

Muslime fühlen sich durch ein Kopftuch-Verbot diskriminiert

Leider würden sich viele Familien aus „Unsicherheit, Angst und Misstrauen“ nicht gegen Diskriminierungen durch die Schulleiter wehren, bedauert Aliyeh Yegane vom Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit des Vereins Inssan, der mit vielen Formen der Benachteiligung konfrontiert wird. Sie fordert daher ebenso wie der TBB, dass Scheeres durch eine Art Rundschreiben allen Schulen die rechtliche Lage vor Augen führen soll, damit die Familien nicht länger unter Druck gesetzt würden.

Scheeres hält ein solches Schreiben nicht für notwendig. Die Rechtslage sei eindeutig und lasse „keinen Interpretationsspielraum“ zu, reagierte Scheeres’ Sprecher Ilja Koschembar auf die Forderung. Gleichwohl werde ihr Haus „das Thema auf Arbeitsebene im Rahmen der kommenden Schulleitersitzungen aufrufen, um ggf. in einzelnen Schulen vorliegende Informationsdefizite abzubauen“. Die Piraten sind der Ansicht, dass Scheeres der Forderung von Inssan und TBB nachkommen sollte: „Da ist ein klares Statement der politischen Spitze notwendig“, findet Bildungspolitiker Martin Delius. „Die Glaubensausübung einzuschränken geht gar nicht“, lehnt er die Kopftuchverbote ab.

Schulleiterin schlägt Mittelweg über Gespräche vor

Die Leiterin der Neuköllner Hermann-Sander-Schule, Rita Schlegel, beschreibt einen Mittelweg, den Schulen gehen können. „Wir suchen das Gespräch, aber ohne Druck“, betont sie. An ihrer Schule gebe es „nur 15 bis 20 Mädchen mit Kopftuch“, obwohl fast alle Schüler muslimischen Glaubens seien. Bei ihren Mitarbeitern kennt sie aber kein Pardon: Praktikantinnen dürfen kein Kopftuch tragen, stellt Schlegel klar. Bei Lehrerinnen sind Kopftücher ohnehin verboten. Dies gilt in Berlin, Baden- Württemberg, Niedersachsen, Saarland, Hessen, Bayern, Bremen und Nordrhein- Westfalen. Brandenburg hat auf ein gesetzliches Verbot verzichtet, da es dafür bislang keinen Anlass gab. Das gilt auch für die übrigen Bundesländer ohne Kopftuchverbot.

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