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Berlin: Korbmacher: Auch Kevin gibt dem Vater keinen Korb

Der Duft der Weiden hing in der Luft, als Artur Jacob seinem Sohn die Illusion vom Zirkus nahm. Als er sich in seiner Werkstatt niederließ, um für den Säbelmann einen Korb zu flechten - und genau nach Anweisung einige Schlitze für die Klingen offen ließ.

Der Duft der Weiden hing in der Luft, als Artur Jacob seinem Sohn die Illusion vom Zirkus nahm. Als er sich in seiner Werkstatt niederließ, um für den Säbelmann einen Korb zu flechten - und genau nach Anweisung einige Schlitze für die Klingen offen ließ. Da wusste der Sohn, dass die Frau im Korb bei den Auftritten nie wirklich in Gefahr schwebte. "Die passte genau in den Zwischenraum, durfte aber kein Gramm zunehmen", erinnert sich Werner Jacob, heute 46 Jahre alt.

Doch die Stunden, die Werner Jacob als Kind und Jugendlicher mit seinen sieben Geschwistern in der Werkstatt verbrachte, vergällten ihm nicht nur den Spaß am Zirkus. Spätestens mit 16 Jahren sei ihm klar gewesen: "Korbmacher wollte ich nicht lernen und erst recht nicht beim Vater", sagt Jacob in der Werkstatt zwischen Antiquitäten und Stuhlflechtrohr. Sein Vater konnte die Verweigerung des Jungen damals gelassen hinnehmen, hatte er doch noch vier weitere Söhne, die in der Familie die Tradition weiterführen konnten.

Es war Werners Großvater, der 1918 in Berlin das erste Korbwarengeschäft in der Blumenstraße und damit eine kleine Familiendynastie gründete. Denn von den acht Werkstätten der Stadt befinden sich drei heute in der Hand der Familie: Korb-Jacob in der Habersaathstraße, Jacob Korbwaren in der Winsstraße und die Korbmacherei Jacob. "Mein Neffe Thilo in der Raumerstraße vertritt bereits die vierte Generation", sagt Werner Jacob, der vor zwölf Jahren dann doch die Werkstatt des Vaters in der Habersaathstraße übernahm.

Auf den ersten Blick hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Korbmacherei in Mitte kaum etwas verändert, doch der erste Blick trügt wie gewöhnlich. Sicher, im Schaufenster sind auch heute noch Einkaufskörbe, Papierkörbe, Übertöpfe ausgestellt. Aber aus dem Hause Jacob kommen die schon lange nicht mehr. "Die Produkte werden auf den Philippinen, in Indonesien oder Polen viel billiger hergestellt", sagt Werner Jacob. Nach der Wende habe er sich deshalb wohl oder übel auf die Restaurierung alter Möbel spezialisieren müssen. Wie beispielsweise des rund 150 Jahre alten Zweisitzers, dessen Sitz und Rückenlehne gerade im Acht-Ecken-Wabengeflecht neu geflochten wird. Ein Muster, das laut Jacob vor rund viertausend Jahren zum ersten Mal in Ägypten auftauchte. "Unsere Flecht-Techniken gibt es teilweise schon seit der Steinzeit."

Wenn Werner Jacob über die Entwicklung des Handwerks spricht, unterteilt er die Familiengeschichte gerne in drei Abschnitte. Nummer eins: Die Zeit des Vaters im Sozialismus. Eine sichere Arbeit habe man damals gehabt, sieben Angestellte und Arbeit bis unters Dach. Und da sein Vater in der Zunft als "kleine Koryphäe" galt, hielten sich auch die staatlichen Gängeleien in Grenzen. Artur Jacob erhielt Aufträge auf der ganzen Welt, entwarf Dekorationen fürs Theater, Fernsehen und den Zirkus. Die meisten Arbeiten gingen verloren. "Aber das drei Meter hohe Elsternest ist noch beim Sandmännchen zu sehen", sagt der Sohn.

Werner Jacob war 35 Jahre alt, als er sich entschloss, nun doch den Beruf zu wechseln. Er hatte es in seinem Parteibetrieb als Autoschlosser nicht mehr ausgehalten. "Da war den ganzen Tag rote Suppe löffeln angesagt." Doch dem jungen Jacob blieb kaum Zeit, sich in der Selbstständigkeit behaglich einzurichten. Denn mit der Wende kam der zweite Abschnitt: Von einer Sekunde auf die andere seien die Produkte seiner Zunft "vom Gebrauchsgegenstand zum Luxusartikel aufgestiegen". Vierzehn Korbmacher gab es damals im Ostteil der Stadt, einen im Westteil.

Der Korbflechter hat sich mit seinem Schicksal inzwischen abgefunden. "Wir müssen jeden Tag wühlen, um zu überleben." Wer glaubt, dass Werner Jacob nun seinem Sohn ein Medizinstudium nahe gelegt hätte, irrt. Der 16-jährige Kevin soll die dritte Stufe betreten. Der Junior absolviert gerade eine Lehre im fränkischen Lichtenfels, gewissermaßen das Mekka der Korbmacher.

In seiner Werkstatt gerät der Vater kurz ins Träumen: von den Techniken, die dem Jungen in der Eliteschule beigebracht würden. Von den Kniffen, die in der Familie weitergegeben wurden. "Der kriegt ein Wissen, das im ganzen Großraum Berlin niemand hat." Aber davon, dass sein Sohn die Lehre auch wirklich durchhält, ist Jacob nicht wirklich überzeugt. Gebetsmühlenartig habe er nach dem Schulabschluss auf Kevin einreden müssen, sagt Jacob. "Hoffentlich klappt es trotzdem."

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