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Berlin: KPD/RZ-Kandidatin Nanette Fleig will Bürgermeisterin der Herzen sein - nach der Auflösung der Sponti-Gruppe ist sie parteilos

Was für ein Stress. Dauernd klingelt das Telefon, die Presse will Fotos und Interviews, das Fernsehen Bilder und die überraschten Parteigenossen Beistand.

Was für ein Stress. Dauernd klingelt das Telefon, die Presse will Fotos und Interviews, das Fernsehen Bilder und die überraschten Parteigenossen Beistand. Und nebenbei will auch noch die Tournee von zwei kalifornischen Punk-Bands organisiert sein. Nein, es ist nicht leicht, Spitzenkandidatin einer erfolgreichen Partei zu sein. Das gilt auch für die KPD/RZ (Kreuzberger Patriotischen Demokraten/Realistisches Zentrum) und ihre Nummer eins, Nanette Sylvie Fleig, die an diesem diesigen Post-Wahl-Montag in ihrem Büro in der Wrangelstraße sitzt und hoffnungslos überfordert ist.

Und ausgerechnet in dem Moment des Triumphs, da Fleig erstmals für die KPD/RZ mit 4,2 Prozent der Stimmen in die Kreuzbeger BVV einzieht, hat sich die Partei geradezu pulverisiert: Noch am Wahlabend trat der Vorstand geschlossen zurück; die Spaßguerilleros gaben ihre Auflösung bekannt. "Die KPD/RZ war schon länger gespalten", sagt Fleig, "in einen politischen Flügel, dem ich angehöre, und einen Untergrundflügel, der den bewaffneten Kampf aufnehmen will". Man könnte auch sagen: In einen Schröder-Flügel, den es an die Macht zieht, und in einen Lafontaine-Flügel, der subversiv arbeiten will. Wer die jüngsten Gefechte auf der Oberbaumbrücke mit matschigen Melonen und anderem Gemüse gegen die Rivalen aus Friedrichshain beobachtet hat, durfte ahnen, wie diese Form des bewaffneten Kampfes wohl aussehen könnte.

An der Schwelle zum Rathaus hat die Spontis offenbar ihr Humor verlassen. Fleig startete als Kandidatin der KPD/RZ und ging als Parteilose ins Ziel. Das wird den Erfolg dieser Wahl schmälern; eine Fraktionslose hat weniger Rechte, und ohne Rückhalt einer Partei geht auch die wohlmeinendste Initiative unter. Experten bezweifeln deshalb, dass die Fleigsche Forderung nach dem Aufbau einer Kreuzberger Zeppelinindustrie oder einem Nachtflugverbot für Pollen eine Mehrheit finden wird. Viel eher wird es wohl die Legislaturperiode über so sein, wie am Wahlabend im Rathaus: Da monierte die KPD/RZ-Frau, dass die Brötchen nicht knusprig genug seien und wurde prompt von einem BVV-Angestellten beschimpft, die Anarcho-Partei bestehe aus "pseudointellektuellen Schmarotzern".

Da hatte er vermutlich Recht. Denn zu einem erfolgreichem Studium reichte es bei Nanette Fleig trotz diverser Anläufe nie. Die 30-jährige, die aus Saarbrücken stammt und ein klassischer westdeutscher Kreuzberg-Zuzug der 80er Jahre ist, arbeitet heute als europäische Vertreterin für ein kleines kalifornisches Punk-Label. Immerhin, das Unternehmen schreibt schwarze Zahlen. Das lässt hoffen.

Fleig sagt, sie wolle die "Bezirksbürgermeisterin der Herzen" sein; dies sei der Wunsch der Wähler. Noch nicht ganz so sicher ist sie hingegen, ob sie auch an den Ausschuss-Sitzungen teilnehmen wird. Das ist vielleicht doch ein bisschen viel des Parlamentarismus.

Holger Stark

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