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Der Krähwinkel von Mitte. Abends finden sich tausenden Vögel zum Übernachten zwischen Fernsehturm und Schlossbaustelle ein. Es sind einheimische Nebelkrähen, deren An- und Abflug jedes Mal ein Spektakel ist. 

© imago/blickwinkel

Krähen in Berlin: Schwarm-Alarm unterm Fernsehturm

Tausende Krähen übernachten in der Stadtmitte. Früher kamen auch Tiere aus Russland. Doch die sparen sich die Reise heutzutage.

Auf die Krähen ist immer Verlass. Pünktlich mit dem Beginn der Dämmerung nähern sich große Gruppen der schwarzen Rabenvögel der Schlossbaustelle in Berlins Mitte, kreisen über Kräne, Baucontainer und Lagerplätze, um sich dann auf den Rohbauten des künftigen Humboldt-Forums niederzulassen. Touristen und Berliner bleiben stehen oder eilen vom Lustgarten herüber, um das Spektakel der mehreren Hundert Krähen aus der Nähe zu betrachten.

Die Tiere selbst lassen sich weder vom lebhaften Straßenverkehr noch vom Geschehen auf der Baustelle stören. Erst im Morgengrauen schwärmen sie wieder zu ihren Futterstellen in Parks, am Stadtrand oder im Umland aus. Inzwischen mischen sich unter die fleißig mit ihren Handys hantierenden Passanten immer öfter auch Profifotografen und Vogelkieker von weither. Denn Bilder von so großen Krähenschlafplätzen sind selbst in einer so großen Stadt rar geworden.

„Uns fehlen die Russen“, sagt der Berliner Krähenexperte Hans-Jürgen Stork. „Ich meine damit die Saatkrähen, die bis vor wenigen Jahren regelmäßig zu dieser Jahreszeit aus den Weiten Russlands bei uns eintrafen und hier überwinterten.“ Bis zu 80.000 Exemplare hätten die Vogelfreunde in Berlin gezählt. Selbst in Wim Wenders „Himmel über Berlin“ spielten die russischen Wintergäste mit. Auf vielen Bildern von der Mauer, vor allem am Potsdamer Platz, sitzen die Vögel in Massen auf der oberen Kante oder in deren Schatten.

Geblieben sind nur die einheimischen Nebelkrähen

Doch mit der Schließung der letzten Mülldeponien 2005 fehlte den Saatkrähen der Anreiz für den Flug über Tausende Kilometer, zumal sich auch in Russland, in Weißrussland oder im Baltikum inzwischen viel Wohlstandsmüll und Essenreste auf den Deponien finden. Außerdem hat die Unruhe auf den früheren Schlafplätzen wie am Potsdamer Platz, am Reichstag, am Alexanderplatz, im Tiergarten oder rund ums Schloss Bellevue die Saatkrähen weitgehend aus dem Stadtbild verschwinden lassen. Geblieben sind daher nur noch die einheimischen Nebelkrähen. Fachleute gehen von 4500 bis 5000 Brutpaaren aus, vor zehn Jahren waren es vier- bis fünfmal so viele.

In den 1950er Jahren zählte man allein am Tegeler See noch 50.000 Krähen. Auch hier spielt das Nahrungsangebot die entscheidende Rolle als Erklärung für den Rückgang. Größere Kolonien der Nebenkrähen gibt es neben dem Schlossplatz noch auf dem Flughafen Tegel sowie am Müggelsee in der Nähe der Ausflugsgaststätte „Rübezahl“, am Wannsee, in den Lübarser Wiesen und in Hellersdorf am östlichen Stadtrand. Dabei kommt den Krähen als „Gesundheitspolizei“ durchaus eine gewichtige Rolle zu. Sie entsorgen so manchen tierischen Kadaver oder die von Park-Picknicks zurückbleibenden Nahrungsresten.

Schlossbaustelle kein neuer Schlafplatz für Krähen

Hans-Jürgen Stork, der jahrlang den Berliner Naturschutzbund leitete, erinnert sich gerade in diesen Tagen an eine Veranstaltung am Potsdamer Platz vor 25 Jahren. „Für den Nachmittag des 10. November 1989 hatte ich eine Exkursion zum Potsdamer Platz angeboten, um die großen Sammelvorgänge auf dem Mauerstreifen und schließlich die Einflüge in den Schlafplatz im östlichen Tiergarten von den Aussichtsplattformen zu beobachten“, erzählt der leidenschaftliche Vogelliebhaber.

„Das Sozialverhalten dieser intelligenten Vögel und die ökologischen Zusammenhänge ihres Aufenthaltes in Berlin sollten studiert werden.“ Doch alle Krähen seien durch den Trubel der Maueröffnung plötzlich verschwunden und selbst alle Exkursionsteilnehmer wären irgendwann alle ausgeschwärmt, um sich der Grenzöffnung zu widmen.

Die Schlossbaustelle ist durchaus kein neuer Schlafplatz für Krähen. Bis zum endgültigen Verschwinden des Palastes der Republik saßen sie hier zu Tausenden auf dem Dach und genossen die angenehmen Temperaturen in der Stadtmitte.

Immer wieder sind Hacker am Werk

Der Berliner und die Krähe – das ist eine ganz besondere Beziehung. Nicht nur, weil er gern mal den Schnabel aufreißt, sondern neben dem Rabenvogel oft nur noch drei, vier andere Vogelarten kennt: Spatz, Taube und vielleicht noch Meise (Letztere zu haben, ist nicht gerade ungewöhnlich in der Großstadt). Meistens im Frühjahr klagt der Städter zudem häufig über Angriffe aus der Luft. „Das war so wie bei Hitchcock“, ist dann zu hören, wenn Krähen auf Passanten einhacken, die sich unbewusst den Nestern brütender Vögel genähert hatten.

Schließlich sind Krähen keine Rabeneltern. Dass sie sich gern davon anlocken lassen, was nach Grill-Orgien auf Grünflächen liegen bleibt, sei hier nur am Rande erwähnt. Fliegende Hacker waren vor einigen Jahren auch beim Dach des Olympiastadions am Werk. Krähen waren dringend tatverdächtig, sich über die Fugen herzumachen, wodurch so mancher Fußballfan ziemlich bedröppelt aussah, wenn es regnete.

Und an ihrem schicken Hauptbahnhof stand die Bahn vor demselben Problem. Er war plötzlich nicht mehr ganz dicht, weil sich Vögel das Silikon zwischen den Scheiben herauspickten. „Keine Angst, die wollen nur spielen“, erklärten Vogelexperten damals das seltsame Verhalten, wobei es ja auch den einen oder anderen ungefiederten Zweibeiner geben soll, der auf Silikon steht. So gesehen gäbe es genug Anlass, die Tiere in den Krähenwinkel zu wünschen. Der liegt übrigens in einem Karlshorster Neubauviertel und beantwortet die Frage, wer zuerst da war: Der Mensch oder die Krähe? (ling)

Krähen sind keine Rabeneltern.
Krähen sind keine Rabeneltern.

© imago/Raimund Müller

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