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Berlin: Krankenhäuser: Widerständler im Kiez

An der Pforte liegen Unterschriftenlisten aus. "Finger weg von unserem Kiezkrankenhaus.

An der Pforte liegen Unterschriftenlisten aus. "Finger weg von unserem Kiezkrankenhaus." Auf den Stationen reden Ärzte und Schwestern über Widerstandsaktionen: Seit Berlins neugegründete Krankenhaus-GmbH Vivantes Ende Juni ein Konzept vorstellte, mit dem sie ihre viel zu hohen Kosten drastisch verringern will, kämpft vor allem das Tempelhofer Wenckebach-Krankenhaus ums Überleben. Eine Fachklinik für Altersmedizin soll dessen breiter gefächertes Angebot ersetzen. Auch die Unfallhilfe würde in diesem Falle geschlossen. Ein Streit, bei dem es um die Frage geht: Wie viele kieznahe Krankenhäuser braucht Berlin - und wie viele können wir uns überhaupt noch leisten?

Berlins Klinik-Kosten sind emporgeschnellt wie gefährlicher Bluthochdruck. Die Krankenhausgesellschaft "Vivantes", unter deren Dach zehn frühere städtische Kliniken seit November 2000 zusammengeschlossen sind, stand deshalb schon kurz nach ihrer Gründung vor der Pleite. Rund 25 Prozent teurer sind ihre Hospitäler im Vergleich zu ähnlichen Einrichtungen außerhalb Berlins. 200 Millionen Mark muss Vivantes bis 2003 sparen. Grund genug für schmerzhafte Einschnitte.

Doch im "Wenckebach" am Rande von Alt-Tempelhof halten Ärzte und Schwestern sowie der Bezirk und die Arbeiterwohlfahrt den vorgesehenen Schnitt für einen Kunstfehler, zumal ihrer Klinik schon einiges zugemutet wurde. Bereits in den 70er Jahren drohte die Schließung, dann setzte sich aber die Einsicht durch, dass Berlins nördlicher Industriebezirk das Hospital doch brauche. Also wurden die denkmalgeschützten Backsteingebäude Zug um Zug tipptopp saniert und medizintechnisch aufgerüstet.

Als die letzten kostspieligen Arbeiten allerdings im Herbst 2000 kurz vor dem Abschluss standen, darunter der Neubau zweier OP-Säle, waren die längst teilweise nutzlos geworden. Zum einen, weil das "Wenckebach" schon im Rahmen der von 1998 bis 2000 verwirklichten Krankenhaus-Reform knapp die Hälfte seiner Stationen, beispielsweise HNO und Gynälokogie, zwecks Kostendämpfung auflösen musste. Zum anderen durch die bevorstehende völlige Neuorientierung der Vivantes GmbH.

Vivantes will am Standort Wenckebach in den kommenden Jahren eine bundesweit einmalige Klinik für Altersmedizin aufbauen, ein "Kompetenzzentrum für Geriatrie", so vielfältig wie ein Allround-Krankenhaus, aber in allen Fachbereichen jeweils spezialisiert auf die Diagnose- und Therapiebedingungen bei älteren Menschen sowie auf altersbedingte Krankheiten. Alle Geriatrie-Einrichtungen des zu Vivantes gehörenden Max-Bürger-Zentrums in Charlottenburg will man dafür nach Tempelhof verlegen. Die neue Klinik kommt "zum rechten Zeitpunkt", sagt Vivantes-Geschäftsführer Wolfgang Schäfer. Schließlich nimmt der Anteil von Senioren in der Bevölkerung rapide zu.

Ärzte und Pfleger fragen dagegen kritisch: "Braucht Berlin überhaupt ein solches Kompetenzzentrum?" Stattdessen plädieren sie für einen weiteren Ausbau der wohnortnahen geriatrischen Betreuung. Außerdem fühlen sie sich von Schäfer verschaukelt. Er hatte verkündet, kein Vivantes-Krankenhaus werde geschlossen. Das jetzige Vorhaben komme einer Schließung gleich. "Unser Kiez-Krankenhaus hat noch immer ein breites internistisches Angebot für die Bevölkerung, Rettungsstelle und Unfallchirurgie sind stark frequentiert", sagt ein langjähriger Arzt. "Das geht alles verloren."

Deshalb verstoßen die Vivantes-Pläne aus Sicht ihrer Gegner gegen den Berliner Krankenhausplan von 1999, der eine "dezentrale Versorgung" in Kiez-Kliniken anstrebt. Sie gilt als patientenfreundlich und erleichtert die Zusammenarbeit von Klinik und Arztpraxen. Stationäre Aufenthalte lassen sich dadurch verkürzen, was viel Geld spart. So gesehen arbeitet das Wenckebach-Krankenhaus durchaus wirtschaftlich, zumal es eine gute Auslastung vorweist. Die Angestellten sorgen sich angesichts des Kassensturzes in den Kliniken. Auslöser ist die ungünstige Kostenstruktur eines stark regionalisierten Angebotes, bei dem viele kleine Häuser jeweils eine eigene Verwaltung und die eigenen Immobilien bezahlen müssen.

Je größer die Einrichtung, um so geringer ist dagegen der Anteil solcher Basiskosten. Die Grünen schlugen als Kompromiss vor, Berlins Kiez-Kliniken sollten auf der Verwaltungsebene kooperieren. So könne man ihre Vielzahl erhalten. Doch Gesundheitssenatorin Schöttler (SPD) setzt härtere Grenzen. Sie spricht von einer "Überversorgung" - zum Beispiel in Tempelhof. Deshalb hat der Senat das Vivantes-Konzept abgesegnet, und die "AG der Berliner Krankenkassen" spendete Beifall. Eine gute Voraussetzung offenbar für die gerade abgeschlossenen Budgetverhandlungen zwischen Vivantes und den Kassen. Der Krankenhaus-Plan scheint bei alledem kein Hindernis zu sein. "Man kann ihn modifizieren", sagt Schöttlers Staatssekretär Friedrich Dopatka.

Sein Ziel ist der Weg der Mitte. Er will dezentrale Standorte "mit zentralen Einrichtungen verknüpfen, in denen wir Kompetenzen bündeln". Dabei ist er sich mit Vivantes und den Kassen einig - und alle drei sehen auch keinen Verluste für Tempelhof. Es gebe gut erreichbare Nachbarkliniken wie das Krankenhaus Neukölln, das Sankt-Josephs- oder Auguste-Viktoria-Krankenhaus mit genügend Kapazitäten. Die Arbeit der Rettungsstelle und Unfallchirurgie könnten umliegende Häuser übernehmen. Das sieht Landesbranddirektor Albrecht Broemme aber mit Vorbehalt. "Wird das Wenckebach aufgelöst, müssen andere Notfalleinrichtungen zuvor verstärkt werden."

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