zum Hauptinhalt
Im Krankenhaus des Maßregelvollzugs hat sich die Klientel in den vergangenen Jahren verändert.

© Foto: imago/Christian Ditsch

Krankenhaus statt Gefängnis: Die Probleme des Maßregelvollzugs – und warum Experten Reformen fordern

Der Maßregelvollzug ist überfüllt. Darin sitzen zunehmend Abhängige, die keine Therapie wollen. Die Fachleute sind überfordert – und fordern Reformen.

Von Fatina Keilani

Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs platzt nicht nur aus allen Nähten, es hat auch mit einer immer schwierigeren Klientel zu tun. Der Fall von Anfang Juni, bei dem ein 28-Jähriger einen 66-Jährigen totprügelte, scheint ein Schlaglicht darauf zu werfen.

Fachleute fordern schon länger eine grundlegende Reform des Zugangs zum Maßregelvollzug. In Berlin wurden im vergangenen Jahr durchschnittlich 682 Patienten versorgt – bei 523 ordnungsbehördlich genehmigten Betten. Der Staat ließ es sich 58,9 Millionen Euro kosten, die dort behandelten, psychisch kranken Straftäter zu therapieren. Längst nicht alle sind dazu jedoch bereit, in der Lage oder geeignet.

Im Krankenhaus des Maßregelvollzugs (KMV) sind mehrere Rechtsinstitute zu vollziehen. Ist ein Straftäter schuldunfähig, so wird er statt in der Haftanstalt im Maßregelvollzug untergebracht, ebenso, wenn er einen „Hang“ zur Sucht hat – an dem Begriff des „Hangtäters“ stören sich Fachleute heutzutage aus verschiedenen Gründen.

Geregelt ist dies im Strafgesetzbuch, Paragraphen 63 und 64. Straftäter mit Suchtproblem werden vom Gericht zum Zweck einer Entziehungskur im Krankenhaus des Maßregelvollzuges untergebracht. Das Grundkonzept ist: Strafe für Tatschuld, Sicherung und Besserung für Schuldunfähigkeit.

Hat ein Straftäter das Strafverfahren mit Anklage und Verhandlung erst noch vor sich, so wird er nach der Strafprozessordnung, Paragraph 126a, im Maßregelvollzug untergebracht; das Krankenhaus des Maßregelvollzugs ist dann eine Art Untersuchungshaftanstalt für psychisch Kranke.

[Sicherheit vor der eigenen Haustür: In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken geht es auch oft um die Polizei. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Der Tatverdächtige von Anfang Juni erhielt nach der Tat einen solchen Unterbringungsbefehl. Er war aber auch schon vorher in der Anstalt untergebracht, nach Verurteilung – und scheint typisch die Entwicklung zu verkörpern, die Fachleute beklagen.

Patienten halten sozial akzeptierte Regeln nicht ein

„Die größte Schwierigkeit im Alltag ist für uns die zunehmende Dissozialität der Patienten, die bei uns untergebracht werden“, sagt ein Mitglied der Führungsetage des Krankenhauses des Maßregelvollzugs. „Das bedeutet, diese Menschen halten sozial akzeptierte Regeln nicht ein und sind schnell gewaltbereit.“ Es mangele ihnen an Dialogfähigkeit. „Unser Personal ist aber nicht für körperliche Konflikte ausgerüstet.“

Auch Fachleute der Senatsverwaltung für Gesundheit sehen eine Veränderung. „Die klassische Klientel für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist schwerst alkoholabhängig, das hat sich verändert. Alkoholabhängige Patienten sind jetzt eine deutliche Minderheit“, berichtet ein leitender Mitarbeiter.

Heute gebe es mehr Patienten mit Drogenmissbrauch, bei denen keine Abhängigkeit im klassischen Sinne bestehe und die auch nicht so bereit seien, sich auf eine Therapie einzulassen.

Patienten sind eigentlich schuldfähig

Dem „Ärzteblatt“ sagte der Psychiatriebeauftragte des Landes Berlin, Thomas Götz, es würden dem Maßregelvollzug in „nicht unerheblichem Umfang“ Patienten zugewiesen, bei denen „keine eindeutige Abhängigkeitserkrankung vorliege, sondern eher ein missbräuchlicher Drogenkonsum als Teil des delinquenten Lebenswandels“.

Mit anderen Worten: Sie sind eigentlich schuldfähig, Drogen gehören zu ihrem Lifestyle. Ändern wollen sie daran nichts. Dementsprechend ist die so genannte Erledigerquote in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Damit sind jene gemeint, bei denen die Therapie aufgrund fehlender Erfolgsaussichten abgebrochen werden musste.

Viele Patienten lassen sich nicht auf die Therapie ein

„Bei einem Teil der Klientel ist es vergebliche Liebesmüh, sich damit zu befassen, das muss man einfach sagen“, sagt ein Manager des Krankenhauses des Maßregelvollzugs. „Wir haben eine hohe Erledigerquote, das heißt, wenn sich die Patienten nicht in das Setting eingliedern lassen, müssen sie zurück in die Haft.“

Das führe wiederum zu einem „hohen und im Ergebnis teilweise vergeblichen Einsatz von personellen und finanziellen Ressourcen“, sagte Götz im „Ärzteblatt“. Zum Teil würden sogar Personen ohne deutsche Sprachkenntnisse untergebracht – mit ihnen sei keine Therapie möglich.

Ein weiteres Problem stellen dem Vernehmen nach Islamisten dar, die in der Psychiatrie untergebracht wurden und sich der Behandlung verweigern.

Maßregelvollzug ist kürzer und angenehmer als Gefängnisstrafe

Hinzu kommt, dass es im Maßregelvollzug trotzdem viel angenehmer ist als im Gefängnis. Man ist nicht eingesperrt, viel mehr Personal kümmert sich – und: Im Idealfall ist man schneller wieder in Freiheit. Denn während Gefängnisinsassen nach zwei Dritteln der Haftzeit auf Entlassung hoffen dürfen, gilt im Maßregelvollzug die Halbstrafenverbüßung.

Das Delta kann je nach Haftzeit erheblich sein. Und das macht es auch für Verteidiger attraktiv, ihre Mandanten als suchtkrank auszugeben. Die Zahl der voll Schuldfähigen, die in der Anstalt eigentlich nichts verloren haben, steigt seit Jahren.

Fachleute fordern deshalb schon länger eine Reform des Zugangs zu den Therapien im Maßregelvollzug. Eine Unterarbeitsgruppe „Reform des Paragrafen 64 StGB“ der AG Psychiatrie der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden befasst sich damit; die Federführung liegt beim Land Berlin.

Zugang zu Suchttherapien muss geregelt werden

„Es sollten moderne suchtmedizinische Kriterien eingeführt werden, dieser diffuse Hangbegriff sollte ersetzt werden“, fordert der Psychiatriebeauftragte Götz in Übereinstimmung mit vielen Experten. Man solle Abhängigkeitserkrankungen nehmen, die auch therapiert werden können, damit würde der Zugang zu den Therapien klarer geregelt, damit die Angebote auch auf die richtigen Personen träfen.

„Voll Schuldfähige sind nicht unsere Zielgruppe. Unsere Zielgruppe sind die, die alkoholkrank oder drogenabhängig und somit vermindert schuldfähig sind“, sagt Götz. De facto seien aber bundesweit inzwischen rund 65 Prozent der zum Zweck einer Entziehungskur Untergebrachten voll schuldfähig.

Der Maßregelvollzug verschlingt stetig steigende Summen – und zwar bundesweit. Die Belegungszahlen haben sich in den Jahren 2000 bis 2014 um 115 Prozent auf 3822 Fälle bundesweit gesteigert; aktuell sind laut Senat 4500 Personen untergebracht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false