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Berlin: Kreidestriche auf dem Asphalt

Vor 40 Jahren verblutete Peter Fechter an der Mauer – sein Denkmal findet man nur mit Mühe

Von Andreas Conrad

Auf dem nackten Asphalt Kreidestriche, die Umrisse eines menschlichen Körpers. Eine rote Rosenblüte liegt daneben, winziger Farbtupfer des Gedenkens. So also sieht ein Tatort aus. Doch bald wird der Regen kommen und alles davonspülen. Nur die doppelte Reihe Pflastersteine bleibt noch, die den Mauerverlauf ins Gedächtnis schreibt, die runde Scheibe aus rötlichem Granit, die den genauen Ort markiert, wo Peter Fechter unter den Schüssen der beiden DDR-Grenzer zusammensackte, schließlich die rostfarbene Stahlsäule, das eigentliche Mahnmal.

Die Fechter-Stele in der Zimmerstraße? Der Besitzer des Blumenladens direkt dahinter ist gern zur Auskunft bereit. Das ist er gewohnt. Immer mal wieder kommen Touristen und wollen darüber etwas wissen. Oft fragen sie gar, wo das Mahnmal überhaupt sei. Dann kann er ihnen nur sagen: „Na, Sie stehen davor.“ Auch geführte Reisegruppen schauten oft vorbei, vor ein, zwei Tagen sogar eine Theatergruppe, die den Tod des Peter Fechter sehr eindrucksvoll dargestellt habe und die Kreidespuren samt Rose zurückließ. Eine Zeitlang, erzählt der Händler, kam auch einer, der dann immer schimpfte, dass damals so ein Aufstand um einen Toten gemacht worden sei, während in Vietnam täglich tausendfach getötet wurde. Na, dem hat er was geantwortet .

Schon das Holzkreuz, das kurz nach der Tat errichtet worden war, wurde mit Hilfe des Springer-Verlages erhalten. Es stand einige Meter vom heutigen Mahnmal entfernt, musste nach der Wende den Büroneubauten in der Zimmerstraße weichen und befindet sich jetzt im Haus am Checkpoint Charlie. Die neue Gedenkstätte entstand vor drei Jahren, wiederum mit Hilfe des Springer-Verlages, nach einem Entwurf des Berliner Künstlers Karl Biedermann.

Am 17. August jährt sich der Todestag des Maurerlehrlings Peter Fechter zum 40. Mal, doch noch immer ist er eine „Symbolfigur unter den über 150 Menschen, die bei Fluchtversuchen an der Berliner Mauer ums Leben kamen“. So steht es auf einer Tafel mit Fotos und mehrsprachigen Erläuterungen, die leider nur an der Ecke Zimmer-/Charlottenstraße, etwa 50 Meter vom Tatort entfernt, von den damaligen Ereignissen berichtet. „… er wollte nur die Freiheit“ – nicht ohne Pathos wird des damals 18-Jährigen auch auf der stählernen Säule gedacht, und noch die „Brigade Rosa Luxemburg der Neuen Volksarmee der DDR“, die 1995, kurz vor dem Jahrestag des Mauerbaus, das damals an Fechter erinnernde Holzkreuz abgesägt hatte, erkannte die Symbolkraft seines Todes indirekt doch an.

50 Minuten lang hatten die DDR-Grenzer den angeschossenen Peter Fechter an der Mauer verbluten lassen, bevor er geborgen wurde. Medizinische Gutachter sagten anlässlich des Prozesses gegen die beiden Mauerschützen, dass der Verwundete selbst dann nicht zu retten gewesen wäre, hätte man ihn sofort in ein Krankenhaus gebracht, aber das ändert nichts an dem Bild brutaler Menschenverachtung, das das DDR-Grenzregime damals von sich abgab. Den Plan zur Flucht hatten Fechter und sein Freund Helmut Kulbeik schon Wochen vorher gefasst. Ihre Arbeitsstätte befand sich in der Nähe der Mauer. In der Mittagspause betraten sie eine Schreinerei, wo sie in ihren Arbeitsanzügen nicht auffielen, brachen eine vernagelte Tür auf und rannten los. Den vorgelagerten Stacheldrahtzaun konnten beide noch überwinden, Fechters Freund schaffte auch den Sprung über die Mauer, er selbst wurde unmittelbar davor von mehreren Schüssen aus Maschinenpistolen getroffen und stürzte zu Boden.

50 Minuten musste eine rasch sich versammelnde Menschenmenge in West und Ost das Sterben des jungen Mannes verfolgen, ohne helfen zu können. Fechter schrie vor Schmerz, flehte um Hilfe, verstummte langsam. West-Berliner Polizisten warfen ihm Verbandspäckchen zu, die aber im Stacheldraht hängen blieben oder unerreichbar für den Sterbenden zu Boden fielen. „Mörder, Mörder“ und „Banditen“ skandierte die aufgebrachte Menge. Die DDR-Grenzer antworteten mit Tränengasgranaten, die West-Polizisten warfen ihrerseits welche zurück.

Die amerikanischen Soldaten vom nahen Checkpoint Charlie, die das Recht zum Betreten des Ostsektors hatten, griffen nicht ein, sondern zogen sich in ihr Wachhäuschen zurück. Sie hatten Order, jede Konfrontation mit dem Gegner zu vermeiden – und wurden nun ihrerseits bei den folgenden Demonstrationen in West-Berlin Ziel von Beschimpfungen und Steinwürfen.

„Ich habe immer gedacht: Irgendwie rächt sich das mal. Es ist alles eine Frage der Zeit.“ Das sagte, 29 Jahre später, Peter Fechters Schwester Ruth gegenüber dem Tagesspiegel. Nach dem Tod ihres Bruders hatte eine Art Sippenhaft für die Familie begonnen. Post wurde kontrolliert und abgefangen, und wenn ein Familienmitglied das Grab besuchte, saß gegenüber immer ein Mann und las Zeitung. Blumen verschwanden umgehend.

Die beiden Mauerschützen kamen im März 1997 vor Gericht. Wegen gemeinschaftlich begangenen Totschlags und versuchten Totschlags wurden sie zu 21 Monaten Haft und 20 Monaten Jugendstrafe verurteilt – auf Bewährung.

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