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1. Mai

© Wolff

Kreuzberg: Kiez in Katerstimmung

Die Scherben der Randale sind fort, die Festmeile ist sauber. Doch der Schein trügt. Die Mainacht hat eines hinterlassen: schlechte Laune.

Auf den ersten Blick ist alles wie immer am Kottbusser Tor, das ganz normale Chaos in der Vormittagssonne. Doch dann fallen die Krater ins Auge – Löcher im Kopfsteinpflaster, da ist nur noch Sand zu sehen. Steine liegen um einen mickrigen Straßenbaum. Der Mülleimer an der Bushaltestelle ist schwarz, angekokelt. In den Ecken liegen wesentlich mehr zertrümmerte Flaschen als sonst an einem Sonnabend. Schon in der Nacht hat die BSR Tonnen von Müll und Scherben weggeräumt.

Es ist der Tag danach – der Tag nach den Krawallen des 1. Mai 2009, die das friedliche Myfest sprengten, das Anwohner und Besucher feierten. „Sie hätten mal heute morgen um halb sechs kommen sollen“, sagt schlecht gelaunt Tofan Gören, Inhaber des Dönergrills Antalia 36 in dem großen Gebäude, das die Adalbertstraße überspannt. „Da habe ich all das weggeräumt, was diese Idioten mir kaputt gemacht haben.“ Kühltruhen, Tische und Stühle. „Die sind da drauf geklettert, direkt vor meinem Tresen.“ Ganz schön ungemütlich, wenn die Steinewerfer so dicht kommen, oder? „Ich hab’s lieber, wenn die Idioten da stehen. Angst hatte ich nur, als die Polizei direkt vor meinem Laden war. Da wird man dann ja auch zur Zielscheibe.“

Auch der 28-Jährige Atilla hat keine gute Laune. „Auf ihre Kosten ist gestern doch nur die ganz kleine Gruppe der Krawallmacher gekommen. Alle anderen sind unzufrieden“, sagt er und hebt gleich drei Kisten mit Cachaça-Flaschen hoch. Gestern Abend hat er direkt dort, wo es besonders brenzlig war, Caipirinha verkauft. Jetzt baut er den Stand ab. Einer der Steine sei etwa fünf Zentimeter neben seinem Kopf vorbeigeflogen. „Was soll’s“, sagt er achselzuckend, „die besoffenen Autonomen merken doch nichts mehr.“ Er ist auf alle Beteiligten nicht gut zu sprechen, auch auf die Polizei nicht. Aber irgendwie kann er trotzdem beide Seiten verstehen. „Wenn die Polizei gezielt Leute aus dem schwarzen Block rausholt, ist es doch klar, dass das provoziert und auch wenn sie, wie gestern, einmal kurz auf die Menge einprügeln, erreichen sie damit eher das Gegenteil. Andererseits müssen sie sich ja verteidigen.“ Atilla ist eine Art Erster-Mai-Experte. Seit 20 Jahren sei er jedes Mal dabei gewesen, sagt er und es klingt stolz. Dabeisein – das ist wichtig. Selbst wenn es gefährlich wird – oder gerade deshalb? „Angst? Ich? Natürlich nicht“, sagt der schmale junge Mann mit der dezenten Brille. Ihn störe vor allem, dass die Polizei mit so einem Aufgebot nur am ersten Mai am Kottbusser Tor erscheine. „Sonst sind hier die ganzen Dealer und Junkies und kein Bulle zu sehen.“ Auch gegen die Randalierer hat er etwas: „Viele von denen sind ja gar nicht politisch engagiert.“

Das gilt allerdings nicht für Helma, Lukas und ihre Freunde. Die kleine Gruppe aus einem Ort in der Nähe von Düsseldorf, hängt erschöpft auf dem Fußweg zwischen Dönergrill und Zebrastreifen herum. „Man muss doch was unternehmen gegen all das, was schiefläuft in der Gesellschaft“, sagt Helmas Freundin mit den Afri-Cola-Ohrhängern, die ihren Namen lieber nicht sagen möchte. „Deshalb sind wir gestern im schwarzen Block mitmarschiert“, pflichtet die 20-jährige Helma bei. Sie habe Hiebe und Tritte abbekommen, als die Polizei einen anderen Demonstranten verfolgte. „Da will ich meine Meinung sagen und krieg was auf die Schnauze.“ Auch die anderen sind nicht ohne blaue Flecken davongekommen und wirken doch zufrieden. „Da war ja schon ein bisschen was los“, sagt einer. „Aber dass die Post so abgeht, dass es so eskaliert, hätten wir nicht erwartet.“ Helma sagt, sie würde trotzdem jederzeit wieder mitmarschieren. „Jeder Gang bringt etwas.“ Alle waren in diesem Jahr zum ersten Mal dabei. Jetzt wollen sie sich noch die Stadt angucken. Nur einer aus der Gruppe sieht wirklich nach schwarzem Block aus: Springerstiefel, durchgestrichenes Hakenkreuz auf dem Shirt, roter Iro, der allerdings an diesem Vormittag schlapp herunterhängt.

„So viele Irokesen wie in diesem Jahr habe ich lange nicht gesehen“, sagt belustigt eine Frau, die sich Ada nennt, ein paar Straßen weiter am Heinrichplatz. „Das sind alles Punks aus der Provinz, die sich verkleidet haben.“ Die Mittvierzigerin steht vor einem kleinen Geschäft, in dessen Schaufenster Bikinis, Taschen und Schlafbrillen zu sehen sind, sie raucht und wirkt zufrieden. Sie wohnt schon ewig in Kreuzberg und hat am 1. Mai an einem kleinen Stand Caipirinha verkauft. „Früher habe ich noch selbst Steine geworfen. Aber im Gegensatz zu den Leuten heute mit Grund.“ Beim Myfest hatte sie den Eindruck, alles sei friedlich. Dabei waren die Krawalle gleich um die Ecke. Als der schwarze Block vorbeizog, brachten viele Myfest-Besucher lieber schnell ihre Kinder in Sicherheit. Ada findet trotzdem, dass das Konzept des Myfestes, Krawalle durch Partystimmung zu verhindern, aufgeht. „Die Randalierer wollen doch nur ein Ritual wiederbeleben, dass längst tot ist. Wenn sie wirklich etwas bewegen wollten, würden sie im Regierungsviertel oder vor Banken Steine werfen.“

Andere alteingesessene Kreuzberger sehen das nicht so gelassen. „Seit 1987 der Supermarkt Bolle abgebrannt ist, gehe ich nicht mehr auf die Straße“, sagt eine Frau Mitte 50 mit knallrot gefärbten Haaren, die eben in einem Spätkauf an der Wiener Straße eine Zeitung kauft. Am Vortag erschrak sie zu Tode, als plötzlich ein Mann im rosa Hasenkostüm in ihr Fenster blickte. Er war aufs Dach geklettert.  „Die ersten Flaschen kamen von oben“, sagt der Verkäufer, der sich mit Yavus vorstellt. Denn auch auf der Wiener Straße vor der Feuerwache eskalierte die Situation. „Dieses Jahr war es richtig schlimm“, sagt Yavus. „Man hat gemerkt, dass die Leute wegen der Krise ihren ganzen Frust rauslassen.“ Er meint, es werde in den nächsten Jahren noch schlimmer kommen. Dönergrill-Wirt Tofan Gören sieht das nüchterner: „Wenn der erste Mai auf ein Wochenende fällt, ist immer mehr los. Da kommen immer mehr Idioten von auswärts.“

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