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Kreuzberg: Umbau am Urban

Anwohner des Kreuzberger Krankenhauses wollen aus den alten Gebäuden ein neues Wohnviertel machen.

„Wir müssen die Bude noch vollkriegen“, sagt Don Mac Coitir. Die „Bude“ – das sind 19 alte, denkmalgeschützte Bauten des Kreuzberger Urban-Krankenhauses. Der Klinikkonzern Vivantes hat sie kürzlich verkauft, an die private Baugruppen-Initiative Am Urban. Der Journalist Don Mac Coitir, gebürtiger Ire, ist einer von 60 Leuten, die optimistisch ein Wagnis eingehen: aus einer alten Klinik, die nicht mehr gebraucht wird, bis zu 120 Wohnungen zu machen. Mit den 60 Mitstreitern der Anwohner-Initiative allein ist das nicht zu stemmen, sie müssten mindestens 100 sein, um das Projekt finanzieren zu können.

Oft sitzen sie von der Bietergemeinschaft abends im Büro des Architektenpaares Mary-France und Georg Graetz an der Grimmstraße. Nicht nur Geld, auch viel Freizeit muss investiert werden. Gerade erst wurde der Kaufvertrag beurkundet, es wird ernst. Sie begutachten mit dem Ingenieur Mario Rehberg die Planungen, kalkulieren, rechnen.

Einige Partner sind recht gut mit Eigenkapital ausgestattet, anderen, vor allem jungen Familien, fehlt noch etliches Geld. Alle können es fast noch nicht glauben, dass sie bei der Ausschreibung das Rennen um das 26 000 Quadratmeter große Gelände gemacht haben – vor 20 professionellen Mitbewerbern, darunter Großinvestoren. Vivantes fand das von Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) „ideell“ unterstützte Nachnutzungskonzept überzeugend.

Der Preis ist für Privatleute happig: 13,5 Millionen Euro, eine Million ist angezahlt. Einschließlich der Umbauten müssen 35 bis 40 Millionen Euro investiert werden. Der durchschnittliche Kaufpreis für Wohnungsflächen beträgt rund 2000 Euro pro Quadratmeter, bis zu 2600 Euro bei neuen Dachgeschossen.

Die Wohnungen in den meist zweigeschossigen Bauten des späten 19. Jahrhunderts sollen zwischen 60 und 250 Quadratmeter groß und möglichst auf den persönlichen Geschmack zugeschnitten sein. Gut 60 Prozent der Flächen sind nach Auskunft der Initiative schon vergeben, noch wirkt das Gelände zwischen Urban-, Grimm- und Dieffenbachstraße wie ein zu groß geschnittener Anzug, in den noch viele hineinpassen. Rund 120 Wohnungen sollen hier entstehen, etwa 300 Menschen aller Altersgruppen hier einmal heimisch werden.

Die bisherige Gemeinschaft steckt noch „mitten in der Finanzierung“, ist gerade mit mehreren Banken im Gespräch. Die Bankenkrise hatte viele in der Baugruppen-Initiative verunsichert, es gab schon ein Stimmungstief. Etliche Partner haben Geld in Aktien angelegt. „Aber keiner ist abgesprungen“, sagt der Kaufmann Erwin Meyer, der nicht nur im Graefekiez für das Projekt wirbt und den Kontakt mit der Nachbarschaft und den Behörden hält: „Die Gemeinschaft hat sich als stabil erwiesen.“ Sie wohnt größtenteils in der Gegend, aber auch in der weiteren Nachbarschaft und selbst im fernen Bundesgebiet, wie ein Arztehepaar im Ruhestand aus Westfalen, das es zurück nach Berlin zieht. In den Baugruppen haben sich zahlreiche Freiberufler, unter anderem Designer, Film- und Medienleute, Künstler engagiert, auch Kaufleute oder Sozialpädagogen. Das Durchschnittsalter der Initiatoren liegt bei 50 Jahren.

Mit ihrem Projekt, das Wohnen, Gewerbe und soziale und kulturelle Nutzung vereinen, generationsübergreifend und ökologisch vorbildlich sein soll, will sich die Initiative nicht abkapseln. „Wir haben hier unsere Wurzeln, wollen dazu beitragen, dass sich der Kiez stabilisiert“, sagt Meyer. Das Gelände mit seiner Parklandschaft wird offen sein. Der Umbau beginnt vermutlich im Sommer nächsten Jahres. Ein Bunker wird abgerissen, um einen Spielplatz anzulegen. Aber noch muss der Bebauungsplan vom Bezirk geändert werden, noch müssen letzte Teile des Klinikbetriebes in andere Bereiche des Neubautraktes Am Urban umziehen. Der Betrieb bleibt während der gesamten Zeit aufrechterhalten, betont Vivantes.

Aber schon im ersten Quartal 2010 sollen auf dem Gelände der alten Klinik die ersten Wohnungen bezogen werden.

Zufällig war das Architektenpaar Graetz vor einem Jahr im Internet auf den geplanten Verkauf der Klinik aufmerksam geworden. Damals begann sich das alte Krankenhaus zu leeren, Anwohner wurden stutzig, misstrauisch, neugierig. Vielleicht, so sagten sich die Architekten, ließe sich eines der Gebäude kaufen und zu Wohnungen machen? Sie beratschlagten mit fünf anderen Interessenten aus der Nachbarschaft, ob sie nicht als Baugruppe das Haus kaufen wollten.

Vivantes reagierte skeptisch. Ein Haus herauslösen aus dem gesamten Gebäudekomplex? Dann aber fanden sich schon 20 Personen bereit, drei Häuser zu kaufen. Wieder Skepsis. Bis Mary-France Jallard-Graetz auf die „wahnwitzige Idee“ kam: Warum nicht alle Gebäude kaufen?

Nähere Informationen im Internet: www.am-urban.de

Christian van Lessen

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