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Krieg in Nahost: Trauer im Berliner „Gazastreifen“

Viele in Berlin lebende Palästinenser sitzen vor ihren Fernsehern und bangen mit ihren Familien im Kriegsgebiet. Einige haben schon Angehörige verloren.

Die Sonnenallee – wegen der vielen arabischen Geschäfte scherzhaft Gazastreifen genannt – ist derzeit wie leer gefegt. Nicht nur wegen der eisigen Kälte, sondern auch, weil die vielen dort ansässigen Palästinenser zu Hause vor ihren Fernsehern sitzen und den arabischen Nachrichtensendern folgen. Wer nicht arbeiten muss, versucht vom Wohnzimmer aus die Vorgänge im abgeriegelten Gazastreifen zu beobachten – etwas, das selbst internationalen Organisationen vor Ort kaum gelingt. Manchmal verlässt eine Familie ihr Haus, um Nachbarn zu besuchen, die eine schreckliche Nachricht ereilt hat. Sie wollen ihr Beileid bekunden.

Solchen Besuch bekam etwa Muhammed Sharafi, 34, ein Palästinenser, der mit seiner Familie in Spandau lebt. Drei Verwandte hat ein israelischer Raketeneinschlag auf ein Haus in Gaza das Leben gekostet, acht weitere wurden verletzt. „Wir können seit Tagen nicht schlafen“, sagt Sharafi. Der studierte Kaufmann ärgert sich über die deutsche Kanzlerin, die im deutschen Fernsehen von der „Verteidigung der Israelis“ spricht. „Das ist keine Selbstverteidigung, das ist Krieg.“

„Wir Muslime sind sauer“, sagt auch Yussef M., der 24-jährige Mitarbeiter eines arabischen Reisebüros in der Sonnenallee. Keiner setze sich dafür ein, dass der „Angriff der Israelis“ ein Ende hat. Yussef muss den Laden hüten und verfolgt die Nachrichten auf einem Fernseher, der an die Wand geschraubt ist. Zurzeit kommen sowieso kaum Kunden.

Auf dem Bildschirm flackert „Al-Jazeera“. Yussef ist davon überzeugt, dass nur dieser Sender „die Wahrheit“ zeigt, „im Gegensatz zu den anderen“. Yussefs Eltern sind vor 22 Jahren aus dem Gazastreifen geflohen, Verwandte haben sie dort keine mehr. „Ich kenne aber Berliner, die auf einen Schlag ihre ganze Familie verloren haben“, sagt er. „Natürlich ist das für beide Seiten schlimm“, schiebt Yussef hinterher, „für die Araber und die anderen“. „Israelis“ will er offenbar nicht aussprechen.

Araber sind in Berlin eine der größten ethnischen Minderheiten. Rund 15 000 Menschen aus dem Irak, Syrien und Libanon leben hier; hinzu kommen über 13 000 Staatenlose, von denen viele als Flüchtlinge aus dem Palästinensergebiet kamen. „Jeder von uns geht demonstrieren“, sagt Yussef stolz, „jeder“.

An den Schaufensterscheiben in der Sonnenallee kleben Plakate, die zu einer Demonstration gegen den Krieg aufrufen, darauf: ein verwundetes kleines Mädchen, blutüberströmt. Gedruckt wurden die Protestappelle im Copy-Tele-Shop eines grauhaarigen Türken, einem der wenigen im „Berliner Gazastreifen“.

Er verfolgt die Nachrichten von seinem Arbeitsplatz aus im Internet. Dabei hat er in den vergangenen Tagen häufiger mitbekommen, wie Palästinenser in den Telefonkabinen seines Laden vergeblich versuchten, ihre Verwandten in Gaza anzurufen. „Die Leitungen sind tot“, sagt der türkische Geschäftsmann. „und die Leute total verzweifelt“. Sie tun ihm leid. Immerhin, das Kopiergeschäft läuft gut.

Das liegt nicht zuletzt an Leuten wie Ahmad Muhaisen, der in diesen Tagen viel zu tun hat mit Flugblättern und Fahnen. Der Vorsitzende der Palästinensischen Gemeinde in Berlin organisiert fast täglich Protestveranstaltungen gegen „das Massaker in Gaza“, wie es heißt.

Am heutigen Mittwoch wollen arabische Vereine vor dem Auswärtigen Amt demonstrieren, außerdem ist für diese Woche eine bundesweite Demonstration und eine Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt geplant. Wie er all die Menschen für die Termine mobilisiert? „Per E-Mail, SMS oder Mundpropaganda“, erklärt Muhaisen zufrieden. „Das geht ganz schnell.“ Die Leute seien so entsetzt darüber, dass die Weltgemeinschaft nur zusieht .

Ferda Ataman

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