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Aussteigerprogramme sollen Clanmitgliedern helfen, bevor es zu spät ist.

© Paul Zinken/picture alliance/dpa

Kriminelle Familienclans in Berlin: Ein Aussteiger-Plan ohne Vorbild

Ein Modellprojekt soll Mitgliedern krimineller Großfamilien in Berlin Hilfe anbieten, um rechtstreu zu werden. Doch keiner weiß, wie das gehen soll.

Von Fatina Keilani

Die Macht der kriminellen arabischen Clans muss gebrochen werden, darin sind sich alle einig. Doch wie? Vor gut einem Monat wurde das Thema im Innenausschuss des Parlaments bei einer Anhörung besprochen, vor wenigen Tagen beschloss die BVV von Neukölln, ein Aussteigerprogramm aufzulegen. Dieses muss nun noch mit Inhalt gefüllt werden.

Wie der aussehen könnte, ist jedoch offen. „Uns ist klar, dass es sehr schwer ist, diese Strukturen aufzubrechen“, sagt Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD). Die Familien seien sehr abgeschottet. „Andererseits klappt es woanders ja auch, etwa in Italien.“ Dort seien im Rahmen eines Anti-Mafia-Programms 50 junge Menschen aus den Familien genommen worden, und man habe ihnen Alternativen aufgezeigt. „Sie sind bis auf einen nicht wieder rückfällig geworden“, so Hikel, der den Tätern das Leben in der Unterwelt so ungemütlich wie möglich machen und zugleich Ausstiegsmöglichkeiten anbieten will. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Leben in ständiger Bedrohung und im Kriegszustand mit einem anderen Clan Spaß macht.“

Ob ein in die Kriminalität verstrickter Erwachsener den Umstieg noch schafft, ist fraglich. Bei den Kindern und Jugendlichen anzusetzen, ist da schon aussichtsreicher. Das sieht jedenfalls Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) so. Er will die Strukturen der Familien analysieren und dem Nachwuchs Alternativen anbieten: Schule, Ausbildung. Neukölln konzentriert sich mit seinen Angeboten vor allem auf die Familie R., deren Patriarch in Rudow wohnt. Die R.s sind der prominenteste und wohl auch gefährlichste Clan. „Wir haben tatsächlich noch keine konkreten Pläne, wie so ein Programm aussehen könnte“, gibt auch Liecke zu.

Kinder krimineller Clans im Blick

Üblicherweise handeln die Ämter nach „individuellem Bedarf“: Man hat etwa einen Jugendlichen aus einer Familie, der schon Straftaten begangen hat. Dann kann dieser Jugendliche zur Vermeidung von Untersuchungshaft in eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe gegeben werden. Dort wird er beschäftigt und beschult. Je nach Lage der Dinge kann es sich anbieten, einen Jugendlichen aus problematischem Umfeld möglichst weit weg von Neukölln unterzubringen, etwa in Bayern. In manchen Fällen wissen die Eltern nicht mal, wo er ist, damit sie ihn nicht holen kommen. Jeder Fall wird einzeln entschieden – viel Arbeit für Ämter und die Kinder- und Jugendhilfe, die aus Hunderten freier Träger besteht, mit ganz unterschiedlichen und zum Teil sehr speziellen Angeboten.

Um präventiv und repressiv zu handeln, werden die Kräfte gebündelt und neben den Senatsverwaltungen für Inneres (Polizei, Verfassungsschutz, Ausländerbehörde) und Justiz (Staatsanwaltschaft, Gerichte) auch die Bildungsverwaltung einbezogen. Dort kümmert man sich ohnehin: „Diese Kinder im Blick zu haben, kriminelle Karrieren zu verhindern beziehungsweise ein Umdenken zu erreichen, gehört zu den Aufgaben des gesamten Regelsystems der Jugendhilfe, Jugendgerichtshilfe und Jugendsozialarbeit sowie der Schulen“, heißt es aus der Bildungsverwaltung. Sind Kinder in der Schule auffällig, springt ein Meldesystem an.

Kriminelle Väter können natürlich nicht bestraft werden, indem man ihre Kinder aus der Familie nimmt. Deswegen will Liecke eher darauf abstellen, die kriminelle Umgebung als kindeswohlgefährdend einzustufen. „Das kann in einem kriminellen Umfeld der Fall sein, muss aber im Einzelfall geprüft werden“, heißt es dazu aus der Bildungsverwaltung. Bei Gefährdung des Kindeswohls tritt das Jugendamt in Aktion. Wenn Jugendliche oder Heranwachsende in die Clankriminalität eingebunden sind und polizeilich auffällig werden, kümmert sich das Jugendamt mit Spezialkräften, bietet Ansprache in den Familien und begleitet das Strafverfahren. Das werde gut angenommen, heißt es aus der Bildungsverwaltung.

"Als Clanmitglied ist man hineingeboren"

„Es ist auf jeden Fall vernünftig, Sachen auszuprobieren“, sagt ein altgedienter Staatsanwalt. „Das Jugendstrafrecht bietet unendlich viele Möglichkeiten - zum Beispiel kann ein Jugendlicher auch dazu verurteilt werden, in ein solches Programm zu gehen, vielleicht weit weg von zu Hause.“ Man habe aber überhaupt keine Erfahrungen damit, Clanmitglieder aus der Kriminalität holen zu wollen.

Aussteigerprogramme gibt es für Rechtsextremisten, für Islamisten - für Verfassungsfeinde also. Sie sind teilweise erfolgreich. Ein Unterschied: „Als Rechter oder Linker oder Islamist ist man da hineingeraten, als Clanmitglied aber ist man hineingeboren – und kennt gar nichts anderes“, sagt ein Strafrechtler. Das erschwere den Zugang, zumal sich die Familien meist völlig abschotten.

Oft lehnen sie das bundesdeutsche, freiheitliche Gesellschaftssystem als Lebensform ab, auch wenn sie von den Freiheiten für sich selbst gerne Gebrauch machen. Zudem leben sie im Luxus und fahren mit teuren Autos herum. Ob diese Zielgruppe auf die „attraktiven Angebote“ anspricht, die der Staat ihnen machen will, ist fraglich. Denn wie sie dazu bewegt werden sollten, rechtstreu nach den von ihnen abgelehnten Werten zu leben und dafür finanzielle Einschnitte in Kauf zu nehmen, das weiß niemand.

Für jene von ihnen, die keinen Beruf gelernt haben, hieße ein rechtstreues Leben Hartz IV. Oder legal Geld verdienen statt illegal erwirtschaftetes Geld waschen. Es hieße in den meisten Fällen auch, sich von der eigenen Familie loszusagen oder zumindest für eine andere Art der Lebensführung zu entscheiden. „Das klappt bestimmt“, ätzt der FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe. „Auf Hartz IV und gejagt von der eigenen Familie – wer kann das wollen?“ Das ist kein Grund, es nicht zu versuchen, davon ist Neuköllns Bürgermeister Hikel überzeugt.

Im Fernsehen befasste sich kürzlich die Sendung „Kontraste“ mit den Gepflogenheiten der Clans. Das Team begleitete einen jungen Mann aus dem Milieu. „Wir wollen auch den Reichtum haben, den andere Menschen haben. Wir wollen auch die Anerkennung haben“, sagt er. Die Familie sei das absolut Wichtigste. „Wir bleiben unter uns und lassen nicht jeden bei uns reinschauen. Wir wollen das einfach nicht. Punkt.“

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