zum Hauptinhalt
Ein Aktivist sitzt samt losgelösten Rad, an dem er festgeklebt ist, bei einer Blockade der Letzten Generation auf der Autobahn 100.

© dpa/Paul Zinken

Debatte über „Letzte Generation“: Kriminelle Vereinigung? Es kommt drauf an

Die Klimaaktivisten fühlen sich wie Schwerverbrecher behandelt. Der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung ist umstritten. Ein Überblick zur Debatte.

Nach der Razzia bei sieben Mitgliedern der Klimagruppe „Letzten Generation“ ist eine Debatte über das Vorgehen der Münchner Generalstaatsanwaltschaft entbrannt. Dabei geht es um den Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung gebildet oder unterstützt zu haben. Mitglieder der Gruppe beklagten nun, sie fühlten sich wie „Schwerverbrecher behandelt“.

Die Durchsuchungen von 15 Wohnungen in sieben Bundesländern – auch in Berlin – am Mittwoch hätten „Wunden in das Vertrauen in den Staat“ geschlagen. Denn sonst wird eher gegen Rocker, Waffen- und Menschenhändler, aber auch Neonazi-Gruppen wegen des Verdachts ermittelt. Ein Überblick zur Debatte.

Was ist eine kriminelle Vereinigung?

Laut Paragraf 129 des Strafgesetzbuches muss „der Zweck oder die Tätigkeit“ einer kriminellen Vereinigung auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein. Dazu müssen die Taten erheblich genug sein – also mit einer Höchststrafe von mindestens zwei Jahren bestraft werden. Dazu gehört auch etwa die Nötigung, wegen der Klimaaktivisten in Berlin wegen Klebeblockaden verurteilt werden.

Nicht angewendet werden kann die Vorschrift, „wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“. Dass die Klimaaktivisten Straftaten begehen und es darauf anlegen, ist aber in zahlreichen Fällen gerichtlich festgestellt worden. Eine kriminelle Vereinigung wird definiert als auf Dauer angelegter Zusammenschluss von Personen mit klaren Rollen und mit einem übergeordneten gemeinsamen Ziel. Die Straftaten müssen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten und von einigem Gewicht sein.

Wie sieht die Justiz den Fall?

Unter Juristen ist umstritten, ob die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung eingestuft werden kann. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt bislang nicht wegen des Verdachts, sie sieht bei den Blockaden ein „dauerhaftes Lästigwerden“. In Brandenburg jedoch ermittelt die Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen Mitglieder die Gruppe wegen des Verdachtes der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dabei geht es etwa um Attacken auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt, also auf sogenannte kritische Infrastruktur. Das Landgericht Potsdam hat den Anfangsverdacht bestätigt, als es eine Beschwerde gegen Durchsuchungen abgelehnt hat.

Auch zwei der von der Generalstaatsanwaltschaft München Beschuldigten sollen versucht haben, eine Öl-Pipeline zu sabotieren. Zudem sollen die insgesamt sieben Beschuldigten Spenden in Höhe von mindestens 1,4 Millionen Euro eingenommen und überwiegend eingesetzt haben, um neue Straftaten zu begehen. Dabei geht es laut Generalstaatsanwaltschaft auch um Blockaden und Klebeaktionen.

Was sagen Anwälte?

Der Vorsitzende des Republikanischen Anwältevereins (RAV), der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Das ist politisches Strafrecht in Reinform.“ Die „Letzte Generation“ solle kriminalisiert und in eine fast schon verfassungsfeindliche, kriminelle Ecke gestellt werden. Bei bisherigen Taten „anzunehmen, dass eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegt, geht vollkommen fehl“.

Der Strafrechtsprofessor Thomas Fischer, bis 2017 Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof, kommt beim Rechtsmagazin „Legal Tribune Online“ zum Schluss, die Begehung „möglichst spektakulärer Straftaten“ präge das Erscheinungsbild der Gruppe. Ihre Entscheidungsstruktur und Logistik seien auf strafbare Aktionen ausgerichtet. Wer bei einer kriminellen Vereinigung nur an organisierte Schwerverbrecher denke, liege falsch.

Berlins früherer Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bezeichnete die Ermittlungen als rechtlichen Irrweg. Das Ziel der Gruppe sei nicht die Straftat, die Straftat sei aber ein notwendiges Übel, um Aufmerksamkeit für die Ziele zu erhalten – nämlich mehr Klimaschutz.

Dem widerspricht Gül Pinar, Mitglied des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins: Die Verfassung könne nicht mit Straftaten geschützt werden. Sie sieht den Verdacht der kriminellen Vereinigung bestätigt – jedenfalls für Teile der Gruppe und für die Sabotage an kritischer Infrastruktur. Der Vorwurf sei „ein Dosenöffner für die Staatsanwaltschaft“, um „bessere Telefonüberwachung und weitere Ermittlungsmethoden durchführen zu können“, sagte sie dem „Spiegel“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false