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In letzter Minute wurde eine Zwangsräumung in Reinickendorf durch einen Beschluss des Amtsgerichts abgebrochen. Rund 100 Beamte waren im Einsatz.

© dpa

Krisenreport zur Verdrängung in Berlin: Kinder von Zwangsräumungen besonders betroffen

Opfer der 10.000 Zwangsräumungen im Jahr sind zunehmend Alleinerziehende mit ihrem Nachwuchs. Das ergab eine Studie der Humboldt-Universität.

Ein bisschen Klassenkampf muss schon sein: Eine „staatliche Koproduktion der Verdrängung“ von Berlinern aus ihren angestammten Quartieren stellt der Stadtsoziologe Andrej Holm fest. Und seine Kollegin gibt der „Ökonomisierung des Hilfesystem“ die Schuld an dessen „umfassenden Scheitern“. Das „System“ diene eben der „Sicherung wohnungswirtschaftlicher Erträge“, statt sich in den Dienst der in Not geratenen Berliner zu stellen, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Miete nicht mehr bezahlen können.

Das Hilfssystem steckt in der Krise

Sei’s drum: Die Studie der Soziologen an der Humboldt-Universität zu den „Zwangsräumungen in Berlin und der Krise des Hilfssystems“ trifft einen wunden Punkt: Nicht mal die genaue Zahl der Zwangsräumungen wird in Berlin erfasst. Es fehlt im Lande außerdem eine Armuts- und Sozialberichterstattung. Dabei ist jeder Fünfte von Armut bedroht. Nichts Genaues weiß man nicht – und die Politik will es auch gar nicht. So jedenfalls die Mutmaßung unter Vertretern von Sozial-Initiativen und -Einrichtungen, die zur Vorstellung der Studie zu deren Bestätigung und Verstärkung gleichsam mit aufs Podium gestiegen waren.

Rund 10.000 Zwangsräumungen jährlich

10.000 Berliner verlieren ihre Wohnung jedes Jahr, ungefähr, wie vorab berichtet – und die Zahl der Betroffenen wächst. Dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die laut Satzung eigentlich auch der Wohnraumversorgung breiter Bevölkerungsschichten dienen sollen, dabei ordentlich mitwirken, liest Holm aus den Statistiken heraus: Mehr als 4800 Klagen gegen Mieter erhoben die sechs staatlichen Firmen im Jahr 2013 – rund ein Viertel mehr als vor drei Jahren. 26 Interviews haben die Forscher geführt mit von Räumung Betroffenen (neun Personen) sowie Vertretern von Sozialen Wohnhilfen (vier Personen), von Job-Centern (zwei Personen) und jeweils von einem Vertreter freier Träger in den vier näher untersuchten Bezirken (Mitte, Lichtenberg, Neukölln, Tempelhof-Schöneberg).

Die Hilfe läuft dabei oft ins Leere, so das Ergebnis der Umfragen. Weil die wachsende Wohnungsnot in der Stadt immer mehr Mieter in finanzielle Notlagen drängt, die Jobcenter und Hilfeeinrichtungen trotzdem keine zusätzlichen Stellen schaffen, sondern sogar noch abbauen. Klagen über hohen Krankenstand (bis zu 50 Prozent) und Überlastung seien dort zu hören. Eine Logik, nach der in Notfällen die Ämter die Mietschulden übernehmen, wollen die Forscher nicht herausgefunden haben.

Vielmehr werde nach Art des „Gatekeepers“ (Türsteher) Zugang zu den Töpfen gewährt, den allermeisten aber verwehrt. Profiteure der zunehmenden Zwangsräumungen seien Betreiber von Wohnheimen: Bei 24 Euro je Übernachtung seien einträgliche Geschäfte möglich. Aber auch Hostels und sogar Ferienwohnungen würden immer öfter gebucht, um Obdachlosigkeit vorzubeugen.

Allein Erziehende Frauen immer öfter betroffen

Die aber vielleicht traurigste Folge dieser Entwicklung betrifft eine wachsende Minderheit: allein Erziehende Frauen. Birgit Münchow, Referentin für Wohnungslosenhilfe von der Allgemeinen Wohlfahrt schätzt, dass bis zu 30 Prozent der infolge einer Räumung in „Obdächern“ untergebrachten Betroffenen Frauen sind und mit ihnen geschätzt „2500 Kinder“ in den Heimen untergebracht sind. Und darauf sei fast keine Unterkunft eingestellt, „es gibt kein Fachpersonal“. Hinzu kommt, dass die Kinder meistens aus ihrem Kiez und ihrer Kita herausgerissen werden, weil bei der Verteilung der Geräumten auf die Heime keine Rücksicht auf deren früheren Wohnsitz genommen wird. Deshalb verlieren fast alle Kinder bald darauf den Anschluss in der Schule. „Besonders bei Haushalten mit Kindern müssen Zwangsräumungen verhindert werden“, fordert Münchow.

Die Initiatoren des Mietenvolksentscheids sehen sich bestätigt

Die Vertreterin des „Mietenvolksentscheids“ sieht die Initiative durch die Forschungsergebnisse bestätigt: Das Gesetz, das bei einem erfolgreichen Volksentscheid in Kraft treten würde, sehe unter anderem eine „Umstrukturierung“ kommunaler Wohnungsunternehmen vor – „damit das Profitstreben nicht mehr im Vordergrund steht“, so Susanne Raab. Der Sprecher des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen David Eberhart sagte auf Anfrage: „Räumungsverfahren sind das allerletzte Mittel und liegen keinesfalls im Interesse der Wohnungsunternehmen.“ Die Verfahren seien teuer, deshalb böten viele Firmen eigene Schuldnerberatungen an. Diese böten Zahlungspläne an und Unterstützung bei Beantragung von öffentlichen Hilfen.

Lesen Sie mehr zum Thema Verdrängung auf dem Mietmarkt in unserer dreiteiligen Serie "Häuserkampf".

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