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Feststimmung. Berlins Schulen gehen nach jetzigem Stand nicht vorzeitig in die Ferien. 

© Daniel Karmann/dpa

Update

Kritik aus der eigenen Partei: Scheeres nennt Schulen und Kitas „sicherste Orte“

Bildungssenatorin verteidigt ihren Kurs der offenen Schulen, die SPD-Fraktion geht auf Distanz. SPD-Geschäftsführer Torsten Schneider sorgt für einen Eklat. 

Die Entwicklung der Corona-Zahlen führt in Berlin nicht zu einem vorgezogenen Beginn der Weihnachtsferien. Das teilte der Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung am Donnerstag mit. Das Infektionsgeschehen werde aber beobachtet“ und die Verwaltung bereite sich „auf alle Eventualitäten vor“. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) betonte am Donnerstag nach einer Beratung mit Fachleuten im Hinblick auf die Schulschließungsdebatte, dass Schulen und Kitas „die sichersten Orte“ seien.

Die Diskussion über einen vorgezogenen Ferienbeginn war von Nordrhein-Westfalen ausgelöst worden: Es gehört zu den sieben Bundesländern, deren erster Ferientag planmäßig der 23. Dezember wäre. In Berlin und den anderen neun Bundesländern ist es der 21. Dezember. NRW will sich dem nun anschließen.

Die Befürworter eines früheren Ferienbeginns argumentieren damit, dass die Familien und Lehrkräfte sich dann vor Weihnachten vom Corona-Stress erholen könnten. Zudem vergrößere sich so der zeitliche Abstand zwischen möglichen Ansteckungsgefahren im Schulalltag und dem Zusammentreffen mit den Großeltern an den Feiertagen. Angesichts der vielen Quarantänefälle und steigenden Zahlen an infizierten Schülern und Lehrern wird deshalb auch in Berlin die Frage diskutiert, ob die Ferien nicht mehrere Tage oder eine ganze Woche vorverlegt werden sollte.

Im politischen Raum sowie beim Landeselternsprecher Norman Heise gibt es dafür aber keine klare Unterstützung. Ein früherer Ferienbeginn habe „Vor- und Nachteile“, meinte Heise. Bei den einen werde dergleichen auf Zustimmung treffen und bei den anderen „die Planung durcheinander bringen“.

Stadtrat: Das familiäre Umfeld ist eher das Problem

Der Pankower Gesundheits- und Bildungsstadtrat Torsten Kühne (CDU) sagte dem Tagesspiegel-Checkpoint, er sei in der Frage „zwiegespalten“. Dafür könne sprechen, dass Infektionen nicht direkt aus den Schulen in die Familienfeiern zu Weihnachten getragen würden. Das würde aber voraussetzen, dass die vorgezogenen Ferien zur häuslichen Absonderungen genutzt werden, gibt Kühne zu bedenken.

Kühne hielte es für „wahrscheinlich noch sinnvoller, die Ferien zu verlängern, um umgekehrt Infektionen aus dem familiären Umfeld zu Weihnachten nicht nach den Ferien in die Schulen zu tragen“. Die Gefahr schätze er größer ein. Gegen verlängerte Ferien spreche aber, dass es in diesem Jahr schon so viel Unterrichtsausfall gegeben habe. Hinzu kämen Problem wie Bewegungsmangel, Gewichtszunahme und psychische Belastungen, wie man sie während der Schulschließungen beobachtet habe.

Die Verlängerung der Ferien sei nur dann „notgedrungen“ eine Option, wenn die jetzigen Maßnahmen bis Ende November keine Wirkung zeigen sollten.

"Die Großeltern schützt das nicht"

"Ich bin dafür, das zu prüfen und möchte wissen, was die Charité dazu sagt", lautete dazu die Erwartung der linken Bildungsexpertin Regina Kittler.

Die grüne Jugend- und Bildungspolitikerin Marianne Burkert-Eulitz hingegen nannte es einen „Trugschluss“ zu glauben, dass das Infektionsgeschehen durch einen früheren Ferienbeginn günstig beeinflusst werde, „denn die Kids wären ja tatsächlich nicht in Quarantäne. Sie wären in der Stadt und im Land unterwegs – die Großeltern schützt das nicht.“

Scheeres betonte am Donnerstag im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses nach einem Treffen mit dem Charité-Experten Frank Mockenhaupt sowie je einem Vertreter der Berliner Amts- und Kinderärzte, dass „Schulen und Kitas die sichersten Orte sind, um Infektionsketten zu durchbrechen“. Die Herbstferien hätten das Infektionsgeschehen eher nachteilig beeinflusst.

SPD-Gesundheitsexperte beruft sich auf Saskia Esken

Aus der SPD-Fraktion wird wegen der Offenhaltung der Schulen zunehmend Druck auf Scheeres ausgeübt. Dies zeigte sich auch im Bildungsausschuss, wo ausnahmsweise der SPD-Gesundheitspolitiker Thomas Isenberg zugegen war. Er wollte von der Senatorin wissen, "wann das Wechselschichtmodell kommt", also halbierte Klassen. 

Dabei berief er sich auf die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken, die erst jüngst wieder die Abkehr vom Regelunterricht gefordert hatte: Dann würde jeweils tage- oder wochenweise die Hälfte einer Lerngruppe zu Hause lernen oder Hausaufgaben erledigen.

Isenberg hatte schon am Mittwoch im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses erkennen lassen, dass er in der zentralen Corona-Frage auf Abstand zur Senatorin geht. Damit liegt er auf einer Linie mit dem Parlamentarischen SPD-Geschäftsführer Torsten Schneider.

Eine Anhörung - zwei Botschaften

Schneider - einer der einflussreichsten SPD-Politiker in der Fraktion - hatte sich im Hauptausschuss demonstrativ ungehalten über Scheeres' Corona-Politik geäußert. Um seine Kritik platzieren zu können, hatte er - höchst ungewöhnlich - den Präsidenten des Robert Koch-Instituts, einen Amtsarzt sowie Vertreter der Schulen und Lehrer-Gewerkschafter zu einer Anhörung in den Ausschuss geladen, der sich in der Regel mit Haushaltsfragen beschäftigt.

Daniel Wesener (Grüne) , Torsten Schneider (SPD) und Stefan Zillich (Linke) (v.l.).
SPD-Geschäftsführer Torsten Schneider (Mitte) mit seinen Amtskollegen Wesener (Grüne) und Zillich (Linke, r.). (Archivbild)

© Lino Mirgeler/dpa

Dabei stellte sich heraus, dass Schneider die Anhörung vor allem nutzen wollte, um zwei Botschaften zu platzieren. Das war zum einen die Kritik daran, dass seine Parteifreundin Scheeres - ebenso wie ihre Amtskollegen der anderen Bundesländer - am Regelunterricht festhält. Scheeres antwortete mit dem Hinweis auf die schlechten Erfahrungen mit den Schulschließungen im Frühjahr im Hinblick auf soziale Verwerfungen und Lernlücken.

Sorge um mangelnde Beteiligung des Parlaments

Schneiders zweite Botschaft bestand darin, dass die Bildungsverwaltung den Corona-Stufenplan der Schulen nicht rechtssicher aufgesetzt habe: Da der Musterhygieneplan und der Stufenplan noch nicht in eine Rechtsverordnung gegossen seien, und das, obwohl es „zahlreiche grundrechtsrelevante Vorgaben und Regelungen von grundsätzlicher Bedeutung“ beinhalte. Zudem, so forderte der SPD-Politiker, sei es „parlamentarisch auszuleuchten“, ob nicht sogar Landesgesetze notwendig seien statt nur Rechtsverordnungen, wenn der Staat so in das Leben seiner Bürger eingreife wie aktuell mit den Coronabeschlüssen überall in Deutschland.

Dem Vernehmen nach sind diese Verordnungen allerdings längst auf dem Weg.

GEW fordert Schutzausrüstung für Lehrkräfte

Bei der Anhörung ließ Schneider die Fachleute berichten, wie sie die aktuelle Lage beurteilen. Vom Präsidenten des Robert Koch-Institus, Lothar H. Wieler, bis zum Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid, vom Landeselternsprecher Norman Heise bis zum Landesschülersprecher Richard Gamp über den Schulleitervertreter Ralf Treptow und die Gewerkschafter Tom Erdmann und Ferdinand Horbat beschrieben alle den Balanceakt zwischen den Sicherheitsinteressen aller und den Bedürfnissen von Schülern, die Förderung und Struktur brauchen. Dabei votierte Erdmann am deutlichsten für halbierte Klassen sowie "Schutzausrüstung für Pädagogen".

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ließ sich im Ausschuss vom Ton des SPD-Geschäftsführers nicht beirren..
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ließ sich im Ausschuss vom Ton des SPD-Geschäftsführers nicht beirren..

© Wolfgang Kumm/dpa

"Keine Studie zur gestiegenen häuslichen Gewalt"

Nachdem alle sieben Anzuhörenden ihre Ansichten ausführlich begründet und die Senatorin vor den Risiken des reduzierten Präsenzunterrichts gewarnt hatte – große Lernlücken, soziale Verwahrlosung und mehr häusliche Gewalt – beanstandete Schneider, es gebe ja gar keine „Studie“, die die vermehrte häusliche Gewalt während der Komplettschließung der Schulen belege. Allerdings hatte die Staatssekretärin für Gleichstellung, Barbara König (SPD) gerader erst die Eröffnung eines weitern Frauenhauses damit begründet, dass "leider die häusliche Gewalt in dieser Pandemie zunimmt".

Demonstrative Unterstützung für den Amtsarzt durch den RKI-Chef

Sodann warf Schneider dem Hygienebeirat der Bildungsverwaltung und Scheeres in deutlich empörter Tonlage vor, sie hätten nicht die Empfehlungen des RKI abgewartet, bevor sie den Stufenplan festlegten. Bevor sich die derart Angegriffenen argumentativ wehren konnten, verließ Schneider allerdings seinen Platz.

So konnte er nicht mehr hören, dass Amtsarzt Larscheid als Mitglied des Hygienebeirats erläuterte, immer im Austausch mit dem RKI gewesen zu sein. Er hörte auch nicht, dass RKI-Chef Wieler Larscheid bescheinigte, „in allen Punkten Recht zu haben“.

"Fremdschämen" über den SPD-Geschäftsführer

Nach dem Auftritt Schneiders herrschte bei Angehörten und Abgeordneten Verwunderung. "Fremdgeschämt", habe sie sich über das "herrische und aufgeblasene" Verhalten, sagte eine Abgeordnete. Andere gaben zu bedenken, dass es nun an Fraktionschef Raed Saleh sei, den Geschäftsführer für sein "respektloses Betragen" zur Rechenschaft zu ziehen. 

„Schneider hat sich nicht mehr im Griff“, lautete eine andere Einschätzung. Er sei bisher bekannt dafür gewesen, „kalkuliert aufzubrausen“, um seine Ziele durchzusetzen, in diesem Fall aber sei er über das Ziel hinausgeschossen.

Amtsarzt Larscheid wunderte sich, dass Schneider „derart gegen seine Parteifreundin Sandra Scheeres gewettert“ habe. Im übrigen sei das Ganze „stillos“ gewesen.

"Jetzt muss sich die SPD-Fraktion überlegen, wie sie damit umgeht“, hieß es aus der Koalition. Es sei möglich, dass Schneider auf seine Fraktion Druck ausüben werde, stärker auf Schulschließungen zu drängen.

"Ich bin mir nicht sicher, ob das Aufbrausen nicht doch kalkuliert war", lautet die Einschätzung der grünen Bildungsexpertin Stefanie Remlinger. Denn Schulen zu schließen, sei "natürlich einfacher als sie mit zusätzlichen Ressourcen auszustatten, um die Krise meistern zu können".

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