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Die Tracht hat Gabriele Piel wegen der Krankheit abgelegt. Das Ablegen der Tracht wird nun als Grund in ihrem Kündigungsschreiben angeführt.

© Thilo Rückeis

Kündigung trotz Krankheit: Bethel-Diakoniewerk schließt drei langjährige Schwestern aus

Seit über 30 Jahren gehört Gabriele Piel zur Gemeinschaft der Bethel-Diakonissen, vor 13 Jahren wurde sie krank. Nun wurden sie und zwei weitere Schwestern aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, die "ihr Leben sehr eigenständig geführt" haben. Eine Suche nach Motiven.

Mit 20 Jahren gelobte Gabriele Piel, nach den Grundsätzen der Bethel-Diakonissen zu leben. Sie arbeitete jahrelang als Seelsorgerin und Pastorin. „Ich habe mich abgerackert“, sagt die 51-Jährige. Doch jetzt wurde sie von der Diakonissengemeinschaft ausgeschlossen. „Das ist grobes Unrecht“, sagt Schwester Gabriele.

„Seit vielen Jahren nehmen Sie nicht mehr am kommunitären Leben der Schwesternschaft, so wie es in unserer Lebensordnung beschrieben ist, teil. Das Tragen der Tracht haben Sie ebenfalls lange aufgegeben“, heißt es im Kündigungsschreiben der Diakoniegemeinschaft Bethel vom Oktober 2014.

„Ich würde gerne am kommunitären Leben teilnehmen“, sagt Schwester Gabriele, „doch wie soll ich das mit Schläuchen im Bauch machen?“ Vor 13 Jahren erkrankte sie schwer. Seit fünf Jahren wohnt sie im Sanatorium West in Lankwitz. Sie hat 15 Bauchoperationen hinter sich, lebt mit einem Herzschrittmacher und muss rund um die Uhr medizinisch und psychisch betreut werden.

Umzug ins Sanatorium erfolgte im Einverständnis mit Diakonissen

Der Umzug vom Diakonissen-Mutterhaus ins Sanatorium geschah im Einverständnis mit der Diakonissengemeinschaft. Den Vertrag hat Diakonissen-Oberin Angelika Voigt unterschrieben. Voigt hat jetzt die Kündigung unterschrieben und wirft Schwester Gabriele vor, „sich der Gemeinschaft zu entziehen“.

„Die Vorwürfe sind absurd“, sagt Schwester Gabriele. Die Tracht habe sie auf ärztlichen Rat abgelegt. Auch damit sei die Schwesternschaft einverstanden gewesen. Mit Tracht hätten die Sanatoriumsbeohner sie für eine Mitarbeiterin gehalten und ständig um Hilfe gebeten.

Auch die 85-jährige Bethel-Diakonisse Rosemarie Megerle bekam ein Kündigungsschreiben. Ihr „Vergehen“ bestand nach Aussage des Freundeskreises der ausgeschlossenen Schwestern darin, dass sie ihre ältere Schwester in Süddeutschland pflegte. Die 79-jährige Schwester Jutta Weber wurde ausgeschlossen, weil sie bei den Armen in Nepal bleiben will, die sie seit 40 Jahren betreut, statt nach Berlin zurückzukehren.

„Jede Schwester trägt zum gemeinsamen Leben bei“, erklärt Oberin Angelika Voigt. Das Gemeinschaftsleben habe eine hohe Priorität bei den Bethel-Diakonissen. So steht es auch in der Grundordnung, die jede Diakonisse bei ihrem Eintritt akzeptiert. Zum Gemeinschaftsleben gehöre auch die regelmäßige Teilnahme an Andachten und anderen gemeinschaftlichen Veranstaltungen.

„Sie müssen sich das wie eine große Familie oder eine Ehe vorstellen“, ergänzt Katja Lehmann-Gianotti, die zusammen mit der Oberin und Karl Behle die Geschäfte der Diakoniegemeinschaft führt. Alle drei haben die Kündigungen unterschrieben.

Eigenständiges Leben passte nicht mehr zu "Spielregeln"

2010 habe sie eingesehen, dass Schwester Gabriele aus gesundheitlichen Gründen ins Sanatorium ziehen musste, sagt Oberin Voigt. Doch das Befinden der Schwester sei „nicht immer gleich schlecht“. Das Diakonissen-Mutterhaus liegt in der Nähe des Sanatoriums, auf dem Campus gibt es einen ambulanten Pflegedienst, das Krankenhaus Bethel ist 100 Meter entfernt. „Sie könnte es doch zumindest mal versuchen bei uns“, sagt die Oberin. Andere Schwestern seien auch sehr krank und würden an der Gemeinschaft teilnehmen.

„Die drei ausgeschlossenen Schwestern haben ihr Leben sehr eigenständig geführt“, sagt Oberin Voigt. „Irgendwann passte das nicht mehr mit unseren Spielregeln zusammen. Und wenn das so ist, muss man Konsequenzen ziehen.“

Das Kündigungsschreiben sei der letzte Schritt auf einem langen Weg gewesen. „Wir haben alles getan, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Wir haben ihr angeboten, sie abzuholen oder zu ihr ins Sanatorium zu kommen. Sie hat alles abgelehnt.“ Für Schwester Gabriele hingegen kam das Kündigungsschreiben „völlig überraschend“. Aussage steht gegen Aussage, Wahrnehmung gegen Wahrnehmung. Es ist schwer zu beurteilen, wer recht hat.

Rücktritte im Aufsichtsrat des Diakoniewerks

1887 gründete Baptistenpastor Eduard Scheve in Berlin ein Diakonissenhaus. Das daraus erwachsene Diakoniewerk Bethel hat heute 1700 Mitarbeiter und gehört zum Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden (BEFG). Es hat nichts zu tun mit den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld.

Bis auf Oberin Angelika Voigt sind alle 48 Diakonissen im Ruhestand, die meisten sind weit über 70. „Die Diakonissen haben das Werk mit ihrer Arbeit aufgebaut“, sagt BEFG-Generalsekretär Christoph Stiba. Die Frauen sind ihr Leben lang mit einem Taschengeld ausgekommen, ihr Gehalt ging ans Werk. „Diese Frauen lässt man nicht am Ende ihres Lebens alleine.“ Das Vorgehen sei „keine Lebens- und Wesensäußerung der Kirche“.

Das sahen auch vier der sechs Aufsichtsratsmitglieder des Diakoniewerks so und traten zurück. „Unsere Versuche, eine Änderung der Entscheidungen zu bewirken, haben leider nicht zum gewünschten Erfolg geführt“, heißt es in der Rücktrittserklärung. Man habe den guten Ruf Bethels erhalten wollen. „Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vorstand erschien uns daher nicht mehr möglich.“

Die Vorstände des Diakoniewerks Bethel sind Katja Lehmann-Gianotti und Karl Behle. Im Aufsichtsrat verblieben sind Oberin Voigt und eine weitere Diakonisse. „Alle Diakonissen tragen den Ausschluss mit“, sagt die Oberin.

Dem Diakoniewerk droht der Ausschluss aus dem Kirchenbund

„Warum hat der Aufsichtsrat den Vorstand nicht entlassen, wenn er mit dessen Arbeit nicht zufrieden ist? Kann der Aufsichtsrat überhaupt seine Kontrollfunktion ausüben?“, fragt Christoph Stiba. Diese und viele andere Fragen werde man klären. Sollte sich herausstellen, dass das Werk insgesamt nicht den Status der Bekenntnisgemeinschaft erfülle, werde es aus dem BEFG ausgeschlossen. Dann würde auch der Ausschluss aus dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Ekbo) drohen.

Im dortigen Aufsichtsgremium sitzt Pfarrer Stefan Süß. „Dass Diakonissen aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen werden, habe ich noch nie erlebt“, sagt er. Süß leitet ein Diakonissen-Mutterhaus in Guben und hat Einblick in viele weitere Häuser. „Die Mutterhäuser sind für die Versorgung der Diakonissen verantwortlich bis zu ihrem Tod“, sagt Süß. Er gebe viel Klärungsbedarf – auch was die „Transparenz der Strukturen“ von Diakoniegemeinschaft, Diakoniewerk und dessen Aufsichtsrat angehe.

Die Diakoniegemeinschaft hat für alle Diakonissen in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt. Den ausgeschlossenen Schwestern wird die Rente jetzt direkt überwiesen. Doch die Rente reiche nicht, um die Kosten im Sanatorium zu decken, sagt Schwester Gabriele. „Ohne Hilfe meines Vaters wäre ich verloren.“

„Die Rückkehr in die Gemeinschaft steht ihr nach wie vor offen“, sagt Oberin Voigt. Bedingung ist, dass sie ins Mutterhaus zurückkehrt. Auch zu einer Zahlung von 26.000 Euro Abfindung wäre die Diakoniegemeinschaft bereit. Schwester Gabriele lehnt beides ab. „Ich fühle mich nach wie vor als Bethelschwester. Wenn ich ein solches Angebot annehme, würde ich ja den rechtswidrigen Ausschluss akzeptieren“, sagt sie.

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