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Künstler mit Ausdauer: Horwitz singt Brel - schon wieder

Öde? Nicht für Dominique Horwitz: Seit fast 30 Jahren singt er jetzt schon Jacques Brel. Er sagt: "Jedes Mal, wenn ich das singe, erfahre ich etwas Neues."

Die Sache ist mehr als eine flüchtige Affäre. Rund 450 Abende hat Dominique Horwitz jetzt schon mit Jacques Brel verbracht, und ab Sonnabend kommen 17 weitere dazu. Da gastiert der Sänger und Schauspieler mit seinem Programm „Brel!“ im Tipi am Kanzleramt. Seine inzwischen dritte Liedauswahl des belgisch-französischen Extremchansonniers umfasst 20 Lieder aus den knapp 200 von ihm geschriebenen, darunter auch drei, die erst posthum von der Brel Foundation veröffentlicht und nie live vom 1978 verstorbenen Großmeister gesungener Theatralik gesungen wurden.

1984 sang Dominique Horwitz, der sich als gebürtiger Pariser quasi von selbst für dieses schmerzensreiche und lebensvolle Genre empfiehlt, sein erstes Programm im Münchner Residenztheater, fast 30 Jahre also, die Horwitz jetzt schon in Brel macht. Wird das nicht langsam furchtbar öde? Horwitz sitzt im leeren Zelt hinter seinem Espresso, schüttelt energisch den Kopf und spricht: „Jedes Mal, wenn ich das singe, erfahre ich etwas Neues. Es ist wie eine Offenbarung: Ich lerne was fürs Leben. Und ich kann den Liedern etwas von meinen Erfahrungen geben.“ Und außerdem sei es was komplett anderes, Brel mit 54 zu singen als mit 27. Wieso? „Damals war ich ein junger Schauspieler, der nicht groß nachgedacht hat. Ich konnte das, ich fand es angemessen, ich habe einen kraftvollen, lustigen Abend daraus gemacht.“ Mit dem Schmerz, der Liebe und auch der Ironie des späten Brel habe das wenig bis gar nichts zu tun gehabt.

Inzwischen hat das Leben Horwitz, der nach einem Berliner und zwei Hamburger Jahrzehnten seit einigen Jahren mit Frau und zwei Kindern in Thüringen, in der Nähe von Weimar, auf dem platten Lande lebt, reichlich Freud’ und Leid eingeschenkt, was seiner Gefühlstiefe nicht geschadet hat. „Diese Lieder verdienen keinen Sänger, sondern einen Schauspieler.“ Und sie verdienen facettenreiche Arrangements, wie sie Christoph Israel, der Arrangeur und Pianist von Max Raabe, für Klavier, Schlagzeug, Kontrabass, Gitarre und Akkordeon geschrieben hat. Die fünfköpfige Band, die ebenso eleganten Swing wie melancholischen Tango spielen kann, steht an Präzision und Musikalität ihrem Vorsänger und Vorgestikulierer Horwitz in nichts nach. Wie der aus dem Kriegslied „Mai ’40“ mit aufgeworfenen Lippen, bestimmten Gesten und rollendem R eine sarkastische Miniatur macht und aus der Desillusionierungsnummer „Avec élegance“ einen trotzigen Ermutigungstanz ums alternde Ich – das ist schon hohe Interpretenschule und hat mit dem nervigen „Amsterdam“-Gesinge von Kreisligabarden nichts zu tun.

Natürlich hat Horwitz, abgesehen von Film- und Theaterrollen und eigenen Regiearbeiten, längst nicht nur Brel, sondern auch Brecht/Weill, Schumann, Piazzolla oder Prokofjew intoniert. Am Freitagabend um 20 Uhr etwa ist er in der Komischen Oper beim Strawinsky-Sinfoniekonzert „Die Geschichte vom Soldaten“ als Sprecher zu hören. Ganz viel von dem, was Horwitz als Schauspieler auf der Bühne macht, hat ebenfalls mit Musik zu tun hat. Warum das so ist? Horwitz schaut verblüfft. „Na, weil ich Musiker bin.“ Seine Arbeitsweise als Schauspieler sei auch immer die eines Musikers, sagt er. „Ein Stück ist für mich eine Partitur. Im Ensemble arbeite ich wie ein Orchestermusiker.“ Und bei Brel ist er Solist und zusätzlich noch Dirigent.

Tipi am Kanzleramt, 7. bis 24. April, Di–Sa 20 Uhr, So 19 Uhr, ab 21 Euro

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