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Acht Jahren bemühten sich Berliner Schülervertreter darum, dass die politische Bildung mehr Gewicht bekommt.

© picture alliance / Daniel Karman

Kürzungen bei Ethik: Linke: "Das war so nicht vereinbart"

"Ich hätte mir eine andere Lösung gewünscht", sagt die linke Bildungsexpertin Regina Kittler. Offenbar war Scheeres' Vorstoß zur Politischen Bildung nicht abgestimmt.

Die Linke fühlt sich überrumpelt - vom Koalitionspartner: "Dass jetzt wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass Ethik Stunden abgeben muss, war so nicht vereinbart", reagierte die Linken-Bildungspolitikerin Regina Kittler am Donnerstag auf einen einsprechenden Vorstoß von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). "Ich begrüße die Einführung des Faches Politik, hätte mir aber eine andere Lösung gewünscht", sagte Kittler auf Anfrage.

Wie berichtet, war Scheeres am Mittwoch mit dem gesamten Vorstand des Landesschülerausschusses (LSA) an die Öffentlichkeit gegangen, um den Plan zur Stärkung der Politischen Bildung in Berlins Schulen vorzustellen.

Ab 2018/19 greifen die ersten Veränderungen

Demnach ist ab Sommer 2018 geplant, dass das Fach als erster Schritt als Teilnote auf dem Zeugnis erscheinen soll. Damit soll verhindert werden, dass das Fach im Unterricht weiterhin an den Rand gedrängt wird. Ab dem Schuljahr 2019/20 dann soll es eine leicht veränderte Stundentafel für die Klassen 7 bis 10 geben. Von Schulleitern und den Bildungsexperten von SPD und Grünen gab es ebenso Zuspruch wie vom Landeselternausschuss, der dem LSA gratulierte.

Vertreter betroffener Fächer, der CDU und des Humanistischen Verbandes (HVD) hatten sich bereits am Mittwoch kritisch geäußert, während die Linke sich zunächst auffallend zurückhielt.

Offenbar musste Kittler sich erst mit der neuen Vorgabe der Senatorin auseinandersetzen, denn tatsächlich hatte die Bildungsverwaltung lange Zeit eine Stundenkürzung bei Ethik ausgeschlossen. Auch innerhalb der SPD, die starke personelle Verbindungen zu einem wichtigen Ethik-Verfechter, dem Humanistischen Verband (HVD) hat, war die Schwächung des Faches Ethik nicht unumstritten. Allerdings fand sich offenbar keine mehrheitsfähige Alternative: Gegen andere Vorschläge, etwa eine Kürzung der Profilstunden oder insgesamt mehr Unterricht, gab es noch wesentlich mehr Widerstände.

Die Grünen begrüßen den Kompromiss

"Dass wir zumindest im Jahrgang 9/10 auch eine Stunde mehr brauchen würden, scheitert wohl daran, dass wir nicht genügend Lehrkräfte haben", fügte Kittler hinzu, die jetzt "eine schwierige Debatte mit den Fachverbänden auf uns zukommen sieht". Ethik-, Philosophie- und Geschichtslehrer hatten sich bereits am Mittwoch kritisch geäußert.

Hingegen begrüßte die jugendpolitische Sprecherin der Grünen, June Tomiak, den von Scheeres und den Schülern verkündeten Kompromiss. "Wir freuen uns, dass sich der Landesschülerausschuss mit seinem Vorschlag für eine Kontingentlösung durchsetzen konnte", sagte Tomiak als Vertreterin des anderen SPD-Koalitionspartners. Das neue Schulfach Politik entbinde die Schulen aber nicht von ihrer Verantwortung, "politische Teilhabe und Demokratie im Schulalltag zu leben, damit es für Kinder und Jugendliche erfahrbar wird".

Ein Kontingent als Teil der Lösung

Wie berichtet, besteht die Lösung jetzt darin, dass das Ethik in ein Kontingent hineingerechnet wird, aus dem Stunden zugunsten von Politik entnommen werden. Das ist möglich, weil Ethik in den Lernbereich "Gesellschaftswissenschaften" eingeordnet wird. Das war nach einem Vorstoß der SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic bereits absehbar. Konkret bedeutet das, dass Schulen dem bisher achtstündigen Fach Ethik - je zwei Stunden pro Jahr - maximal zwei Stunden wegnehmen können. Dann blieben also sechs Wochenstunden verteilt auf vier Jahre. Die Schulen könnten aber auch bei Geografie oder Geschichte Abstriche machen. All dies ist gemäß dem am Mittwoch vorgestellten Kompromissvorschlag möglich. Allzu sehr soll aber kein Fach gekürzt oder gestärkt werden: In einer neu zu überarbeitenden Verordnung sollen Mindest- und Höchststundenzahlen noch festgelegt werden.

FDP will mehr Wirtschaft und Finanzen

Den kritischen Stimmen schloss sich am Donnerstag auch die FDP an: "Leider macht Frau Senatorin Scheeres wieder nur einen halben Schritt in die richtige Richtung", meldete sich der bildungspolitische Fraktionssprecher Paul Fresdorf zu Wort. Scheeres nutze nicht die Chance, auch Wirtschaft und Finanzen in das Curriculum einzubinden. "Das eigenständige Schulfach Politik, Wirtschaft und Finanzen würde unsere Schülerinnen und Schüler fitter für die Zukunft machen", lautet Fresdorfs Erwartung. Abgesehen davon sei aber "sehr zu begrüßen, dass die seit vier Jahren andauernden Bemühungen des LSA nun endlich Früchte tragen".

LSA-Sprecher Franz Kloth hatte am Mittwoch daran erinnert, wie die Diskussion 2010 durch Steglitz-Zehlendorfer Schülerinnen in Gang gekommen war, die sich nicht damit abfinden wollten, dass Begriffe wie Erst- und Zweitstimme selbst in der Oberstufe noch Achselzucken erzeugten. Auf dieses Manko waren sie eher zufällig gestoßen, wollten es aber nicht hinnehmen: Erst wandten sie sich an die BVV, dann an das Jugendbüro des Bezirks und schließlich machte der LSA den Vorstoß zu seinem Thema und legte die Forderung nach einem gestärkten Fach Politik dem Senat Jahr für Jahr vor, erläuterte Kloth die Genese.

Ausgangspunkt: Nicht noch mehr Unterricht

Die Kompromissfindung war schwierig: "Wir hatten Angst, dass die Kernforderung aus den Augen verloren wird", berichtete Landesschülersprecher Philipp Mensah rückblickend angesichts der Auseinandersetzungen um die Umsetzung. Seit Mai 2017 stand zwar die grobe Richtung fest, aber danach wurde die Lage zunehmend verzwickt: Obwohl es viele Stimmen gab, die Forderung nach mehr Politik in der Schule unterstützten, aber im Detail wurde es dann immer wieder schwierig. Vor allem ging es um die Fragen, ob es insgesamt mehr Unterricht geben sollte oder ob die benötigten Stunden zwischen Klasse 7 und 10 einem anderen Fach weggenommen werden könnten.

Beide Varianten erzeugten Widerspruch, wobei der zusätzliche Unterricht besonders deutlich abgelehnt wurde. In diesem Zusammenhang meldeten sich auch die Gymnasien zu Wort.

Ihre wichtigste Vertretung, die Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB), positionierte sich entschieden gegen „jegliche Erhöhung der Stundentafel“ an Gymnasien. Mit bis zu 34 Stunden pro Woche sei das Volumen „ausgereizt“. Auch eine Kürzung von Profil- oder Wahlpflichtstunden zugunsten des Politikunterrichts wurde einstimmig abgelehnt.

Allerdings unterstützten die Gymnasialleiter den Ansatz der Bildungsverwaltung, die gesellschaftswissenschaftlichen Fächern zu einem Kontingent zusammenzulegen und das Fach Politik aus diesem Kontingent heraus zu stärken: Jede Schule hätte dann einen gewissen Handlungsspielraum für eigene Prioritäten. Entsprechend zustimmend fiel dann auch die Reaktion am Mittwoch aus: "Die VOB begrüßt, dass fast alle Details ihres Vorschlags umgesetzt wurden", schrieb der Vorsitzende Ralf Treptow.

Befürchtungen der Fachvertreter

Die Kontingentlösung hatten allerdings zuvor Fachvertreter mit Hinweis auf eine drohende „Zersplitterung der schulischen Landschaft“ abgelehnt: Sie wollten feste Stundenvorgaben für ganz Berlin. Entsprechend zurückhaltend fielen dann auch die Reaktionen aus. Henning Franzen vom Fachverband Philosophie äußerte die Befürchtung, dass durch die Kontingentlösung der Anteil des fachfremden Unterrichts noch steigen werde.

Der Geschichtslehrer Robert Rauh, der vehement für eine Stärkung des Faches Politik plädiert hatte, war mit dem Kompromiss ebenfalls nicht zufrieden: Damit werde der "Verteilungskampf" zwischen den Fächern nur in die Fachkonferenzen der Schulen delegiert, sagte er auf Anfrage. Wenn die Gesamtstundenzahl der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer nicht erhöht werde, müsse zwangsläufig eines der Fächer "Federn lassen".

Auch die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Hildegard Bentele (CDU), kritisierte, dass die neue Regelung „die Verantwortung zur zeitlichen Ausgestaltung der Fächer Geschichte, Politik, Erdkunde und Ethik auf die Ebene der einzelnen Schulen schiebt“. Zudem warf sie Scheeres vor, die Forderung der Schüler erst mit mehrjähriger Verspätung aufgegriffen zu haben.

Der Mord an Hatun Sürücü und das Fach Ethik

Hingegen merkte der Humanistische Verband (HVD) an: „Der Senat hätte daher besser darauf gesetzt, die Ausbildung der Ethiklehrer zu stärken, als dem Fach Stunden wegzunehmen“. Die Diskussion erinnerte letztlich an das Jahr 2006, als - nach der Ermordung der 23jährigen Berlinerin Hatun Sürücü durch ihre Brüder - die Einführung des Faches Ethik diskutiert worden war: Auch damals sollte die Stundentafel nicht erhöht werden, weshalb kurzerhand bei der Politischen Bildung gespart wurde. In der Folge gab es die Vorgabe, dass im Fach Geschichte ein Drittel der Zeit durch Politik-Inhalte gefüllt werden sollte. Das aber funktionierte nicht so wie erhofft. Die Verdrängung des Faches wurde noch dadurch erleichtert, dass es dafür keine separate Note gab.

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