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Berlin: Kulinarischer Außenseiter: Mit nur einem Biss zurück in die Kindheit: Unsere Testrunde kostet Zwieback

Bestimmte Speisen können mit einem Mal die Erinnerung aus ihrem Schlaf reißen. Kaum haben sie sich im Mund auch nur ein bisschen entfaltet, entführen sie unseren Sinn schon zu den entlegensten Orten der Vergessenheit.

Bestimmte Speisen können mit einem Mal die Erinnerung aus ihrem Schlaf reißen. Kaum haben sie sich im Mund auch nur ein bisschen entfaltet, entführen sie unseren Sinn schon zu den entlegensten Orten der Vergessenheit. Zumeist handelt es sich um ausgesprochen einfaches Essen, an das sich prägende Augenblicke gewissermaßen als Zutaten besonders leicht anlagern können. Ein wenig ausgeprägtes geschmackliches Profil, wie man es bevorzugt Kindern und Kranken zumutet, muss dabei den Genuss nicht schmälern. Es kann sogar, wie das Beispiel Zwieback lehrt, zum regelrechten Verschlingen kommen: In immer schnellerem Tempo folgt eine geröstete Scheibe der andern in den Schlund, möglicherweise, um die Gewissensbisse der Vergangenheit zu verdauen.

Jedoch auch jenseits dieses psychologischen Aspekts verdient der Zwieback Zuwendung. Wie Haferflocken und Griesbrei gehört er ins Genrebild der Kindheit und gerade dann wieder auf den Tisch der Erwachsenen, wenn sie des übrigen Brotangebots einmal überdrüssig geworden sind. Als Mittelding zwischen Toast und Keks behauptet er jedenfalls Eigenheit und ist darum ein unschätzbarer Fortschritt. Die poröse Konsistenz des doppelt gebackenen Weißbrots zieht gleich das Hauptaugenmerk auf sich, dem von Röststoffen bestimmten Getreidearoma bleibt da lediglich eine Nische, in der es das wenige, was es zu bieten hat, ausbreiten darf. Noch bevor der Trockentoast verzehrt wird, stellt seine rasch brechende und immer ein bisschen vor sich hinkrümelnde Beschaffenheit allerdings ein Problem dar: Wie bestreiche ich ihn, ohne dass er mir zu Bruch geht? Ist die Butter zu kalt und die Marmelade zu schwer, so ziehen sich schnell sprengende Risse quer durch das starre Stück. Sie können den ganzen Spaß der kleinen Mahlzeit vollkommen verderben. Deshalb hatte unsere kleine Testrunde darauf geachtet, eine frische Süßrahmbutter rechtzeitig aus dem Kühlschrank zu holen, und als Aufstrich wurden nicht allzu zäh gelierte Konfitüren verwendet.

Nach diesen Zurüstungen machten wir uns an die Dauerware. Nicht allein, um den Marktführer zu ehren, begannen wir mit dem Produkt, von dessen Packung uns ein feistes Kleinkind unentwegt entgegenlächelte. Schließlich kannte jeder von uns die feinporigen, gleichmäßig gebräunten Schnitten von Kindesbeinen an. Deshalb betrachteten wir den Brandt-Markenzwieback sozusagen als Meeresspiegel, über den sich die Konkurrenz erheben konnte - oder eben unter ihm versinken, wenn so eine feuchte Metapher angesichts von Trockenware einmal erlaubt sei. Brandt ist sehr dicht, aber der Zusammenhalt löst sich im Mund sofort auf und bringt eine deutliche Süße mit einem Anflug von Malz zum Vorschein.

Brandt ist ein Zwieback, der, selbst wenn er dick mit Butter und herzhafter Konfitüre bestrichen wird, seinen Charakter niemals einbüßt. Diese bewunderungswürdige Eigenschaft kommt namentlich bei den neuen "Minis" im Puppenhausformat zum Ausdruck. Ein vollkommen entgegengesetzter Typ Zwieback ist "Burger". Die altehrwürdige Marke aus Burg bei Magdeburg wird etwas dünner aufgeschnitten als Brandt, besitzt eine unregelmäßige Porenstruktur und ist nur leicht angeröstet (also eher im Ofen getrocknet), so dass der Geschmack des Ausgangsbrots noch deutlich zu spüren ist. Die ziemlich harten und ausgesprochen bruchsicheren Brotstücke in der für Deutschland typischen Kastenbrotkontur gewinnen mit Butter auf ganz erstaunliche Weise, so dass der letzte Eindruck von Schonkost und Bettlägerigkeit souverän vom Teller gewischt wird. Übrigens lässt sich aus Burger von allen getesteten Sorten das beste Paniermehl raspeln.

Ganz ähnlich wirkt zunächst der Meisterzwieback von "Pauly". Allerdings ernüchterte der Eindruck von altbackenem Toast im Verein mit einem staubigen Packungsgeschmack gleich den einzigen Befürworter von klassischem Billigzwieback. Mag Pauly Jugendherbergen, Campingplätze und Hochseefahrer heimsuchen, im Haushalt eines Brotfreundes hat er nichts zu suchen. In keinem größeren Gegensatz dazu könnte der Holland-Toast von "Van der Meulen" aus dem KaDeWe stehen, der sich wegen seiner extrem zarten und fragilen Manier kaum unbeschädigt aus der Packung holen lässt. Diese runden Krümelmonster könnte man als geröstete Brioches bezeichnen, auch wenn sie lediglich mit Pflanzenfett hergestellt werden und im Geschmack eher an aufgebackene Rundstücke vom Vortag erinnern. Paradoxerweise fühlt sich ihr aufgeschäumtes Weizenfleisch klebrig am Gaumen an. Trotzdem bietet es sich förmlich an, mit Butter und Marmelade beladen zu werden.

Holland führte zur Halbzeit, doch dann kamen die Franzosen. Die "Galeries Lafayette" schickten gleich vier Kombattanten aus dem Hause Roger ins Treffen, unter denen nur die "Biscottes Non Salées" wegen eines säuerlichen Pappgeschmacks mit dem Ausgang unserer Party nichts zu tun hatten. Dafür verstanden es die "Biscottes Délicieuses Fines et Légères", Punkte zu machen: Aufgeschäumt bis zur Substanzlosigkeit dringt recht bald ein angenehm getreidiges Aroma hervor, das von einer hauchdünnen Rinde quasi überhöht wird. Aber weil dieser Metaphysiker unter den Probanden ohne geschmacklichen Nachhall bleibt, ist man versucht, immer wieder in den Karton zu greifen, um sich seiner zu vergewissern. Wir widerstanden, um mit den "Biscottes au Beurre" und dem "Pain Spécial Grillé" zwei Siegertypen kennenzulernen. Letzterer ist eine salzige, pikante Variante, die sich auf der Zunge ziemlich säuerlich gibt. Zudem sind Krümeligkeit und kompakter Körper gut in Balance gebracht. Um seiner Härte bildlich Herr zu werden, verglich ihn einer von uns mit einem festen Händedruck, woraufhin sich der Vergleich mit sanftem Streicheln für den Butterzwieback von Roger anbot. Tatsächlich sind diese schmalen Scheiben schmeichlerisch, sozusagen von innen mit salziger Butter bestrichen.

Nach dem Genuss dieser beiden Meisterwerke der Backkunst sahen wir uns eher mit unangenehmen Aufgaben konfrontiert. Zum einen war es die Verkostung von verschiedenen Vollkornzwiebacks, die allesamt schaurig schmeckten und wohl eher für den Mäusefang taugen, zum andern die Reinigung der Stube, die zu vorgerückter Abendstunde leider nur mit Besen und Handschaufel möglich war. Aber wo gibt es schon reuelosen Verzehr?

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