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Der Kopf des Großen Kurfürsten, Teil der Replik der Reiterstatue von Andreas Schlüter, ist bereits fertig

© Thilo Rückeis

Kunstexport nach Mexiko: Riese auf Reisen

Ein Museum in Mexiko hat sich eine Replik des Großen Kurfürsten bestellt. Jetzt wird Andreas Schlüters barockes Meisterwerk in Gips nachgeformt.

Obwohl seit über 300 Jahren hoch zu Ross unterwegs, ist der Große Kurfürst nicht viel in der Welt herumgekommen. Gerade mal gut sieben Kilometer Luftlinie sind es von seinem ursprünglichen Platz auf der Langen Brücke (heute: Rathausbrücke) am Stadtschloss zum aktuellen vor dem Schloss Charlottenburg. Dazwischen lag kriegsbedingt ein Schiffsausflug nach Ketzin an der Havel, der bei der Rückkehr 1946 mit einem unfreiwilligen Bad im Tegeler Hafen endete: Eine Trosse riss, die Prahm versank samt der Majestät. Erst vier Jahre später wurde sie geborgen, trockengelegt und nach Charlottenburg transportiert.

Blieb also der originale, von Andreas Schlüter geschaffene Kurfürst, wie bei Bronzeskulpturen üblich, eher sesshaft, so entwickeln seine Doppelgänger überraschende Reiselust. Noch nicht die 1904 fürs heutige Bode-Museum per Galvanotechnik angefertigte Kopie, dafür umso mehr die beiden in der Gipsformerei der Staatlichen Museen angefertigten Repliken. Schon Anfang des vorigen Jahrhunderts hatte man Ross und Reiter für das Busch-Reisinger Museum der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, nachgeformt. Dort kamen beide 1920 auch an und wurden aufgestellt, sind mittlerweile aber, warum auch immer, verschwunden.

Schon einmal reiste eine Replik des Standbilds über den Atlantik

Doch in wenigen Monaten schon reist ein gipserner Friedrich Wilhelm erneut über den Atlantik, diesmal mit etwas südlicherem Ziel. Das Museo International del Barroco in Puebla, der viertgrößten Stadt Mexikos, hat sich eine Kopie dieses Meisterwerks barocker Bildhauerkunst bestellt, besitzt bereits aus Berliner Fertigung ein Gipsabbild einer von Johann Gottfried Schadow geschaffenen Skulptur des Grafen von Schwerin – man fasst den Begriff des Barock dort wohl etwas weiter.

Das erst Anfang des Jahres eröffnete Museum wurde von dem japanischen Architekten Toyo Ito mit verwegenem Fassadenschwung entworfen – und entstand wohl auch mit dem Hintergedanken, die von Mexico City aus zwei Autostunden südöstlich gelegene Stadt noch reizvoller zu machen als sie mit ihrer barocken, 1987 als Unesco-Weltkulturerbe geadelten Altstadt ohnehin schon ist. Es gibt dort das Colegio Alemán Alexander von Humboldt, der größte Arbeitgeber ist Volkswagen de México – Friedrich Wilhelm dürfte sich nicht ganz fremd fühlen.

Der Weg zu ihm führt momentan noch in die Sophie-Charlotte-Straße 17/18, in den Hinterhof eines alten Klinkerbaus mit Ladengeschäft unten und Werkstätten oben. Aber für die ist der komplette Reitersmann – selbst ohne Sockel misst er noch immer knapp drei Meter – um einiges zu groß, und so müssen die dort abgeformten Teile eben im separaten Modelllager zusammengefügt werden. Der Große Kurfürst ist dort in bester Gesellschaft, der Weg durch die Regale gleicht einem Spaziergang durch die Kunstgeschichte: Die alten Ägypter, die griechisch-römische Antike (von einem riesenhaften Herakles hatte sich US-Künstler Jeff Koons gleich vier Abgüsse bestellt), der Bamberger Reiter, Barockes eben und irgendwo auch Schadows Graf von Schwerin – alles ist vertreten. Rund 7000 Objekte hat die 1819, noch elf Jahre vor Eröffnung des Alten Museums gegründete Gipsformerei in ihrem Modelllager, die Nofretete sowieso, Figuren des Pergamon-Altars, und wer will, kann sich beide Versionen der im Vatikan ausgestellten Laokoon-Gruppe in Gips bestellen, mal wie im Original mit abgewinkeltem rechten Arm des Leidensmannes, mal mit dem emporgereckten der frühen, später als fehlerhaft erkannten Rekonstruktion.

Kein Papst rückt die Laokoon-Gruppe raus

Gipsabgüsse waren in Herrscherhäusern wie dem preußischen ein begehrter Ersatz für die unerschwinglichen oder unverkäuflichen Originale. Welcher Papst rückt schon Laokoon raus? Und sie sind zugleich recht preiswerte Sicherungskopien für unersetzbare Werke. Angenommen, Nofretete zerschellt mal auf dem Fußboden des Neuen Museums: So unwahrscheinlich das ist, es gäbe noch ihren Abguss, sogar in originalgetreuer Bemalung.

Und eben auch den Großen Kurfürsten gibt es im Modell, ein Riese unter den möglichen Figuren der Gipsformerei. Die rund 10 000 Einzelteile lagerten lange Zeit unbeachtet in 15 Kisten verpackt im Keller, offenbar handelt es sich um die schon 1902 vom Original abgenommenen Formen für die dann erst 1920 in die USA gelieferte Kopie, so vermutet Miguel Helfrich, der Kaufmännische Leiter der Gipsformerei. Daraus wieder ein komplettes Reiterstandbild zu formen, gleiche einen riesigen 3-D-Puzzle, zum Glück habe man auch die sogenannten Kappen gefunden, eine Art stabile Schablonen, in denen die vielen kleinen Musterteile zu größeren Skulptursegmenten zusammengefügt und in Gips abgeformt werden.

Das Reiterstandbild von Andreas Schlüter im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg gilt als Meisterwerk barocker Bildhauerkunst.
Das Reiterstandbild von Andreas Schlüter im Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg gilt als Meisterwerk barocker Bildhauerkunst.

©  Thilo Rückeis

Natürlich wird nicht das im Baumarkt erhältliche Pulver verwendet, sondern eine Spezialmischung mit sehr fein gemahlenem Gips aus dem Harz, wie schon seit 200 Jahren. Später werden die komplexeren Teile zum Gesamtwerk zusammengefügt, müssen vorher aber in einem langwierigen Prozess nachbehandelt werden, die Nähte vorsichtig abgekratzt, kleine, durch Luftbläschen verursachte Löcher zugegipst werden. Seit November 2015 wird an der Figur gearbeitet, da mussten zunächst einmal die alten Formen restauriert werden, bevor man sich an die eigentliche Arbeit machen konnte. Sogar eine Drohne hat man dabei eingesetzt, um dem Großen Kurfürsten auch von oben exakt zu erfassen. Und das Ergebnis, prophezeit Helfrich, werde sogar näher am Urzustand der Skulptur sein als diese selbst in ihrem jetzigen Zustand. Schließlich sind seit dem Anfertigen der Muster über 100 Jahre mit all ihren Umwelteinflüssen ins Land gegangen.

Insgesamt werden die Arbeiten wohl ein gutes Jahr dauern, sagt Helfrich. Erst Anfang 2017 also kann die dann etwa 750 Kilo schwere, wegen ihrer enormen Maße noch zweigeteilte Figur die Reise über den Atlantik antreten. Die angesichts des Materials, aus dem sie geformt ist, in gewisser Weise auch eine Reise in die Vergangenheit, zu den Anfängen des bronzenen Kurfürsten ist. Denn bevor dieser am 12. Juli 1703, dem Geburtstag Friedrichs I., König in Preußen, auf der Langen Brücke neben dem Stadtschloss enthüllt wurde, hatte dort schon für einige Zeit, gewissermaßen zur Probe, ein Modell der Skulptur gestanden, vergoldet zwar, aber doch nur aus Gips.

Die Staatlichen Museen bieten auch Führungen durch die Produktions- und Lagerstätten im historischen Stammhaus der Gipsformerei an, samt Vorführung eines Gusses. Die nächste Veranstaltung ist am 19. Oktober, 16 Uhr, Anmeldung unter www.smb.museum/veranstaltungen.

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