zum Hauptinhalt
Willkommen in Slubfurt. Michael Kurzwelly leitet das Kunstprojekt an der Oder.

© Patrick Pleul

Kunstprojekt in Frankfurt/Oder: „Szanowni Damen und Panowie …

… witam Sie herzlich in Slubfurt“. Äh, was war das jetzt? Na, Slubfurtisch! In Frankfurt (Oder) und Slubice ist eine Kunststadt entstanden – mit eigener Sprache und viel Humor.

Wer nach der deutsch-polnischen Stadt Slubfurt sucht, der findet sie nicht auf Landkarten. Zwar hat Slubfurt eine eigene Sprache, ein eigenes Stadtwappen, einen eigenen Stadtplan und sogar ein Parlament – sie existiert aber nur in den Köpfen der an dem Kunstprojekt beteiligten Bürger aus Frankfurt an der Oder und Slubice. Die Stadt setzt sich zusammen aus den beiden Stadtteilen Slub und Furt und ist eine Konstruktion des deutschen Künstlers Michael Kurzwelly, 50.

„Szanowni Damen und Panowie, witam Sie herzlich in Slubfurt. Ja jestem Ihr Stadtführer und ich zeige Ihnen eine miasto, die auf polskiej und deutscher stronie liegt“, sagt Kurzwelly zu Beginn der Stadtführung auf – genau! – Slubfurtisch. Die Sprache der fiktiven Stadt ist eine Mischung aus Deutsch und Polnisch – jeder polnische Muttersprachler, der in Deutschland aufgewachsen ist, kennt den zweisprachigen Kauderwelsch. „In Slubfurt spricht man auch Deutsch, Polnisch und Englisch – wir sind da sehr offen“, sagt Kurzwelly. „Man darf alles nicht zu ernst nehmen, ansonsten geht die Konstruktion nicht auf.“

Michael Kurzwelly lehrt an der Uni Viadrina

Der in Darmstadt geborene Kurzwelly kam 1998 nach Frankfurt und arbeitete zunächst mehrere Jahre beim Frankfurter Kunstverein. Davor studierte er Kunst und Malerei an der anthropoposophischen Kunsthochschule in Alfter bei Bonn. „Im Rahmen eines Austausches während des Studiums ging ich dann nach Poznan in Polen“, sagt Kurzwelly. „Dort lernte ich meine erste Frau kennen und blieb – bis 1998.“ Er lernte Polnisch und begann, seine Kunst nur noch in öffentlichen Räumen auszustellen. „Als ich dann nach Frankfurt kam, wusste ich, dass das der richtige Raum für meine Wirklichkeitskonstruktion ist“, sagt Kurzwelly, der auch Lehrbeauftragter im Bereich Kulturwissenschaften an der Europa Universität Viadrina ist. „Die Frage nach nationaler Identität stellt sich mir bis heute. Gibt es sie überhaupt?“ Also gestaltete er sich 1999 seinen eigenen Raum im Grenzgebiet, bei dem ihn viele Künstler, Studenten und Bürger unterstützen – die Stadt Slubfurt. „Wir sind in einer Gesellschaft angekommen, in der der Nationalstaat eine immer geringere Rolle spielt“, sagt der Künstler. „Die Grenze ist offen, man kann locker von Frankfurt über die Brücke nach Slubice spazieren.“

Das war jedoch nicht immer so. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren Frankfurt/Oder und Slubice eins. Damals hieß Slubice noch Dammvorstadt und war ein Stadtteil Frankfurts. Infolge der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 zwischen den Siegermächten musste das Deutsche Reich die ehemals deutschen Gebiete an der Oder-Neiße-Linie an die Volksrepublik Polen abtreten. Posen, Schlesien und Ostpreußen fielen damit neben den polnischen Gebieten faktisch an die Sowjetunion, von der Polen bis zur Gründung der Dritten Polnischen Republik 1989, im Zuge der Solidarnosc-Bewegung, abhängig war. Aus der Dammvorstadt wurde Slubice, die Brücke über die Oder wurde zum Grenzkontrollpunkt. Nach dem Beitritt Polens in die EU 2004 und dem Beitritt zum Schengener Abkommen 2007 entfielen jedoch die Passkontrollen am Grenzübergang. Anfang dieses Jahres wurden die letzten Grenzanlagen auf der Brücke abgerissen.

2008 wurden Olympische Spiele veranstaltet

„Das war etwas schade, weil damit auch ein Stück Geschichte abgerissen wurde“, meint Kurzwelly. „Außerdem hatten wir zeitweise auch das Rathaus der Stadt Slubfurt in die Grenzhäuser verlegt, da mussten wir leider ausziehen.“ Um die Konstruktion der Stadt aufrechtzuerhalten, bedarf es viel Eigeninitiative: 2008 wurde von den Stadtbürgern, die sich übrigens auch einen Pass ausstellen lassen können, Olympische Spiele veranstaltet. Die Slubfurter traten gegen Gubiener an. Gubien ist ebenfalls eine Wirklichkeitskonstruktion eines anderen Künstlers. Gemeint ist damit die Stadtgemeinde Gubin im polnischen Teil der Niederlausitz, südlich von Frankfurt/Oder. „Die Teilnehmer haben sich eigene Sportarten ausgedacht, wie den Golfabschlag über die Oder und den Zigarettenstangenweitwurf.“ Dieser knüpft an die Tradition der Schmuggler an, die Zigarettenstangen von der Brücke auf die Promenade zu werfen – dort wurden sie dann von einem Komplizen aufgefangen.

Auch Christian Hirsch, Sprecher der Stadt Frankfurt/Oder, ist von dem Projekt überzeugt. „Es stiftet allerdings auch Verwirrung unter den Frankfurtern“, sagt Hirsch. „Wir bekamen zum Beispiel einen Brief von einem älteren Herrn aus einem Altenheim, der fragte, ob die Stadt umbenannt werden würde.“ Immer wieder sei der Herr auf den Namen Slubfurt gestoßen und hätte sich darauf keinen Reim machen können. „Nicht jeder kann also diesen Kunstcharakter von der Realität unterscheiden“ Auch den Polen fällt eine Identifikation mit der fiktiven Stadt schwer: „Von Slubfurt habe ich schon gehört“, erzählt Dorota Adamczyk, die ihre Tochter in Slubice besucht. „Die Idee, eine gemeinsame deutsch-polnische Stadt zu haben, ist sicherlich schön. Ich glaube aber, dass so etwas nicht Wirklichkeit werden kann.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false