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Berlin: Kur-Glamour

Es gibt sie wirklich, die Schwarzwaldklinik: als Glotterbad. Das ZDF hat dort ein Jubiläums-Spezial gedreht, im Februar kommt’s. Der Ort hat Geschichte. In den 30ern kamen Schauspieler wie Lil Dagover, heute kommen die Brinkmann-Pilger

Das böse Wort ist gefallen, und auf dem breiten gutmütigen Gesicht des Chefarztes macht sich schlechte Laune breit. Das böse Wort ist „Schwarzwaldklinik“. Es gibt eine Menge Leute, die lächeln bei diesem Wort, selig oder auch nur ironisch, aber egal. Jörg Michael Herrmann hat Horrorvisionen.

Herrmann ist Arzt, ein schwerer ruhiger Mann im weißen Kittel, der dem Übergewicht mit einem Schrittzähler beikommen will. Eigentlich hört er das Wort „Schwarzwaldklinik“ jeden Tag drei Mal, immerhin ist er Chef in einer – in der echten zumal. In der, die zwar aussieht wie die Schwarzwaldklinik aus dem Fernsehen, aber Glotterbad heißt und eine Fachklinik für Familienrehabilitation ist. Aber die falsche Klinik, die funkt ihm immer wieder dazwischen. Der Beruhigung halber nimmt Herrmann einen Schluck Tee. „Ich befürchte das Schlimmste für Februar“, sagt er und seufzt.

Im Februar, am 20. Februar, um genau zu sein, um 20 Uhr 15, sendet das ZDF eine Jubiläumsausgabe der Schwarzwaldklinik, zum 20. Jubiläum. 90 Minuten wird sie dauern, und dabei sind: Klausjürgen Wussow, Gaby Dohm, Sascha Hehn, Christian Kohl und undundund, die ganze Riege von früher eben. Ein großes Haus am grünen Hang, ein dackeläugiger Chefarzt, ein Udo-Sohn, dessen Haare zu kurz geworden sind, um sie noch in Föhnwellen zu legen, eine bärbeißige Oberschwester, viele süße OP-Schwestern und garantiert ein Happy-End – drei Tage hatte das ZDF im Sommer hier gedreht. Es war egal, dass das Haupthaus der Klinik in der Realität heute eigentlich ein anderes ist: ein Neubau, mit viel Glas.

Der ganze Rummel also wieder von vorne? Das Glotterbad hat sich auf die Behandlung psychosomatischer Erkrankungen spezialisiert. Essstörungen, Depressionen, Burn-out-Syndrom. Und das Tal, die schöne Aussicht und die Ruhe, das sind so etwas wie Assistenzärzte. Die Ruhe vor allem. Nur dass es hier nie ruhig bleibt, wenn Herr Brinkmann wieder auftaucht, der „Derrick“ der deutschen Ärztelandschaft. Was vor 20 Jahren hier geschah, ist noch längst nicht vergessen.

Bis zu 28 Millionen Menschen hatten die erste Staffel der Ärzteserie im Winter 1985/86 allsamstäglich verfolgt – mehr guckten nicht einmal das Endspiel der Fußball-WM. Und sobald der Schnee getaut war, kamen die Bus- und Autokolonnen und verstopften die schmale Hauptstraße der Gemeinde Glottertal. 3000 Menschen waren plötzlich berühmt. Eine Landschaft war Inbegriff von Gesundung. Es gab Staus. Die Glotterbad-Klinik liegt nämlich ziemlich versteckt hoch oben in einem Seitental. Jahrelang wollte die Touristen-Information Schilder aufstellen, weil man nicht mal mehr in Ruhe zum Nachbarn rüber konnte ohne Fremdenführer zu spielen. Die Klinikleitung war dagegen. Dafür steht bis heute die Riesentafel samt Karte, auf der alle Drehorte eingezeichnet sind – samt der Information: „Eintrag im Guiness Buch der Rekorde. Ausgestrahlt in über 44 Ländern.“

„Es haben sich unglaubliche Szenen abgespielt“, sagt Jörg Michael Herrmann. „Touristen haben auf die Autos der Mitarbeiter eingeschlagen, weil sie sich geärgert haben, dass sie hochlaufen mussten.“ Einmal bekam einer sogar einen Schlaganfall. Wer dann oben war, wollte rein in die Klinik, den OP anschauen (der in einer Kurklinik naturgemäß nicht existiert) oder eine Toilette finden. „Wir haben alle Türen abgeschlossen“, sagt Herrmann, „daraufhin haben die Leute versucht, Patienten zu bestechen. Für zehn Mark sollten sie ihnen ihr Zimmer zeigen.“ Ein Patient, der dem Schauspieler Sascha Hehn ähnlich sah, wurde mit „Udo! Udo!“-Rufen begrüßt. Es kamen sogar Bewerbungen von Kollegen, weil ihnen die Serie so gut gefallen hatte. Herrmann zieht eine Grimasse.

Der Klinik-Tourismus brummte noch bis in die 90er Jahre, nach der Wiedervereinigung noch einmal angefacht durch die alten Zuschauer aus den neuen Bundesländern. „Zu den Hoch-Zeiten hatte das was von Lourdes“, sagt Herrmann. „Wenn man hier hinkommt, wird man gesund. Das haben viele tatsächlich geglaubt.“ In den großen Ferien tauchen immer noch ein paar Hundert Neugierige auf.

Andere Gemeinden hätten den Rummel vermutlich stärker unterstützt, hätten Hotels gebaut und in den Gasthäusern Brinkmann-Menüs serviert. Sicher, der Supermarkt hat seine Souvenirecke ausgebaut. Und Fritz Schill, der rothaarige Friseur, hat seinen Friseursalon am Fuß des Glotterbades zu einem Devotionalienladen umgebaut. Böses Blut gab das, besonders als die „Bild“-Zeitung vom Friseur schrieb, der Millionär geworden war. „Aber eigentlich sind wir eine landwirtschaftlich geprägte Gemeinde geblieben, ganz traditionell gewachsen“, sagt Bürgermeister Eugen Jehle.

70 Höfe gibt es hier immer noch, zahllose Vereine, vom Kaninchenzüchterkreis über die Landfrauen bis hin zur Trachtenkapelle; Metzger, Bäcker und Blumenhändler kennen jeden Namen. So viel Landidyll zieht auch Städter an. Aber neu bauen dürfen seit 15 Jahren nur echte Glottertäler. „Weil wir durch die Fernsehserie so bekannt geworden sind“, sagt Jehle. Schräg gegenüber vom Rathaus liegt eine Wiese. Obstbäume stehen drauf, im Sommer grasen hier Kühe. „Man könnte die Wiese natürlich als Bauland ausschreiben“, sagt Jehle nachdenklich und streicht sich durch den Bart. „Aber dann wäre der Charakter hin.“

Dass im Glottertal der Kurbetrieb überhaupt in Gang kam, vor sehr langer Zeit schon, lag daran, dass es hier eine Quelle gibt. Erste Zeugnisse stammen aus dem Jahr 1488, und in einem Bäderverzeichnis von 1568 heißt es über das Wasser des Glotterbades, es helfe unter anderem gegen „dunckel Augen, Geelsucht und Verstopffung der Läber und Miltz“. Im Lauf der Jahrhunderte wurde aus dem „allgemein und heylsam bad“ eine Naturheilanstalt und zu Anfang des 20.Jahrhunderts dann ein nach klinischen Grundsätzen geleitetes Sanatorium.

Mit dem Klinik-Neubau in den 30er Jahren begann dann die große Zeit des Glottertals. Wegen seines milden Klimas und der topmodernen Anlage samt palmenbestandener Terrassen und schicker Tennisplätze kamen bald Schauspieler wie Lil Dagover und Großindustrielle. Auch nach dem Krieg hielt der gute Ruf der Klinik noch und zog weiter prominente Gäste an. Als das Glotterbad 1960 an die Landesversicherungsanstalt Württemberg verkauft wurde, fürchtete man schwere Verluste. Man sah sich im Dorf „seiner Krone beraubt“, wie die Lokalzeitung schrieb. Schwäbische Arbeiter statt Kur-Prominenz? Es ging gut: Die Klinik blieb ein wichtiger Arbeitgeber im Tal. Das ist immer noch so: 120 Angestellte hat das Glotterbad heute, viele leben im Ort.

Sie bräuchten also das TV-Theater hier nicht. Und sie beruhigen sich zurzeit damit, dass es schon so schlimm nicht wieder werde, wie damals, als es nur zwei weitere Fernseh-Programme in Konkurrenz gab. Manche, so wie die Rombachs, Besitzer der größten Gärtnerei im Ort, freuen sich sogar auf den Februar. Sie haben als Statisten beim Jubiläums-Special mitgespielt – „so bringt man sich kostenlos ins Gespräch“, heißt es ein wenig lästerlich im Tal. Nur Herr Herrmann von der Schwarzwaldkl…, pardon vom Glotterbad hat immer noch Einwände. Er hofft, dass das ZDF diesmal sein Versprechen einlöst: Man hatte ihm schon vor der Erstausstrahlung der Serie zugesagt, eine halbstündige Dokumentation über das Glotterbad zu senden, so, wie es wirklich ist. Aber vielleicht klappt’s ja diesmal…

„Ich würde mir wünschen“, sagt Herrmann, „dass die Realität anständig dargestellt wird.“

Christiane Bertelsmann[Glottertal]

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