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Berlin: Kurz nach vier Uhr verschwand der Ex-Parteichef hinter der Knasttür

16 Uhr 04, Niederneuendorfer Allee, Hakenfelde. "Der Kampf geht weiter", riefen einige aus der Schar der Anhänger, und "alles Gute".

16 Uhr 04, Niederneuendorfer Allee, Hakenfelde. "Der Kampf geht weiter", riefen einige aus der Schar der Anhänger, und "alles Gute". Dann verschwand Egon Krenz am Donnerstagnachmittag in der Strafanstalt. Dass der Kampf für ihn weiter geht, daran hat er nie einen Zweifel gelassen. Vor dem Landgericht, vor dem Bundesgerichtshof und vor dem Bundesverfassungsgericht habe er keine fairen Prozesse gehabt, meint der letzte SED-Staatschef der DDR. Nun hofft er auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Bequem hat es der ehemalige Politbürokrat vorerst nicht. Wegen der Überbelegung der Strafanstalt sei Krenz zunächst in einem Haftraum mit vier anderen Gefangenen untergebracht worden, sagte eine Justizsprecherin. Einen der Einzelräume werde er erst erhalten, wenn einer frei sei.

Krenz strebt aber ohnehin eine Rolle an, die ihn weniger einengt als den normalen Strafgefangenen. Er will Freigänger werden: Tagsüber einer Beschäftigung nachgehen und nur nachts Häftling sein. Das ist keine unübliche gesetzliche Möglichkeit. Sie dient der Resozialisierung und der sozialen Verwurzelung von Strafgefangenen, die für die Öffentlichkeit keine Gefahr darstellen. Freigang hängt dann nur von der Berufstätigkeit und von einer Genehmigung der Strafanstalt ab. Kost und Logis in der Anstalt müssen in diesem Fall sogar bezahlt werden. Hakenfelde als offene Anstalt hat ohnehin keine Mauern und Gitter.

Welcher Tätigkeit Krenz nachgehen will, ist vorerst sein Geheimnis und das seines Verteidigers Robert Unger. Bei der PDS sei die Arbeitsstelle nicht, hieß es gestern bei der Partei, und auch sein Verlag "Neues Leben" erklärte lediglich, man wisse von Krenz, dass ihn jemand beschäftigen wolle. Robert Unger ließ immerhin durchblicken, dass sich Egon Krenz in einem Angestelltenverhältnis befinde, mit wem, sagte er allerdings nicht.

Zu sechseinhalb Jahren ist der ehemalige Staatschef wegen der Toten an der Mauer verurteilt worden. Das von ihm so dringlich ersehnte Urteil aus Straßburg wird klären, ob die deutschen Gerichte das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes bei einer Strafe wegen exzessiver Menschenrechtsverletzung ausnahmsweise umgehen durften: Verurteilung eines DDR-Verantwortlichen, obwohl dieser nach der DDR-Staatspraxis niemals mit einem Strafverfahren hätte rechnen müssen. Das Urteil wird also auch für Staatschefs andererer autoritäter oder diktatorischer Staaten seine Bedeutung haben.

Krenz ist politisch allerdings ungebrochen. Auf die Frage, wie er sich fühle, sagte er gestern: nicht als Krimineller, sondern als politisch Verfolgter. Den Medienauftrieb, der für Minuten die Straße blockierte und der größer war, als ihn Krenz je erlebt haben dürfte, nahm er teils genervt, teils gelassen. Polizisten mussten dem Taxi, in dem auch Verteidiger Unger saß, einen Weg durch die Menge bahnen. Hunderte Journalisten warteten in Hakenfelde auf den historischen Augenblick, in dem die Tür einer Strafanstalt für einen ehemaligen Partei- und Staatschef aufging. "Recht geschieht Dir", rief ihm ein Gegner hinterher. Die Sympathisanten mit "unserem Egon" waren gegen das gewaltige Medienaufgebot in der absoluten Minderzahl, einige trugen Plaketten mit zwei Worten, die "alles sagen, was wir jetzt fühlen": Trotz alledem!

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