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Labskaus gegen Bulette: Berlin oder Hamburg - wer hat die bessere Traditionsküche?

Was passiert, wenn sich Restaurantkritiker vom Tagesspiegel aus Berlin und der "Zeit" aus Hamburger gegenseitig einladen - und das in Restaurants, die jeweils die typische Küche ihrer Heimatstadt anbieten?

Dabei essen ist alles: Die Restaurantkritiker von Tagesspiegel und "Zeit" haben einen olympischen Wettkampf gewagt und die regionale Küche ihrer Heimatstädte verglichen.

Michael Allmeier, "Die Zeit": Mein Gast aus der deutschen Hauptstadt bekam Fisch in allen Varianten. Für ihn schmeckte das Ganze nach Peking:

Der Kollege ist ein höflicher Mann, darum sagt er jetzt nicht, woran ihn das Labskaus erinnert. Er bläht nur die Backen, macht leise: „Buääärg!“ Nun ja, damit war zu rechnen. Der Mann testet Restaurants in Berlin, sicher kein leichtes Geschäft. Die „Zeit“ hat ihn nach Hamburg eingeladen; hier soll er ein bisschen was lernen über hanseatischen Geschmack. Lokal der Wahl ist das „Fischereihafen Restaurant“ in Altona, ein Bollwerk der Gediegenheit seit mehr als 30 Jahren.

Rotgrauer Brei zu weißen Tischdecken

Da sitzt der Berliner jetzt am weiß gedeckten Tisch, zu seiner Rechten majestätisch die Elbe, an der Wand hinter sich ein antikes Steuerrad. Neigt er den Kopf, umrahmt es ihn wie ein maritimer Glorienschein. Das tut er nun, der rotgraue Brei soll seine Chance bekommen. Schlecht sei das nicht, meint der Berliner, merkwürdig aber schon: ein Seemannsgericht ganz ohne Fisch, bis auf den Rollmops in der Deko. Dies und das, vom Fleischwolf vereint: Was soll daran so emblematisch sein?

Solche Worte erfüllen den Hamburger mit stiller Genugtuung. Unergründlich ist diese Speise in ihrer Herkunft (englisch?, litauisch?) und Rezeptur (gepökelte Ochsenbrust mit Kartoffeln, Gewürzgurke und roter Bete). Und sie bricht so schön mit dem Klischee vom verwöhnten Pfeffersack.

Das gilt auch für die zweite der beiden Säulen hamburgischer Esskultur. Schon in einem Nachschlagewerk von 1773 ist sie verzeichnet, als „ein Gericht für gemeine Leute“. Das passt ja. Bitte eine Aalsuppe für den Kollegen! Denn gemein war er, als er zuletzt über die hiesige Kulinarik schrieb. Ein „erledigter Fall“ sei sie schon gewesen, mit ein paar gönnerhaft eingestandenen Hoffnungsschimmern. Es stimmt ja: Einfallsreich kochen können die Berliner besser. Beim Bewährten sieht es anders aus.

Kutterscholle und Sushi

Selbst das Fischereihafen Restaurant hat mittlerweile Sushi auf der Karte. Doch es stört nicht weiter zwischen der Kutterscholle Finkenwerder Art und der Seezunge Müllerin. Für die Besitzer, Vater und Sohn Kowalke, ist die Nouvelle Cuisine ein erledigter Fall; sie haben sie ausgesessen. Ihr uneitler Stil kommt gut an bei Leuten, die selbst gern im Mittelpunkt stehen. Die Wand neben der Austernbar ist vollgehängt mit den Autogrammkarten berühmter Gäste.

Die Aalsuppe kommt, und sie ist eine Wucht: duftet nach Kaminfeuer, schmeckt süß-sauer durch reichlich Backobst und zugleich herzhaft dank einer Schweinebrühe, die den Fischgeschmack erstaunlich gut balanciert. Der Kollege staunt über die exotischen Aromen: „Noch ein Schuss Sojasoße, und die Suppe könnte aus Peking sein.“ War das ein Kompliment?

Die Elbe hat der Kollege bis jetzt übersehen. Essen am Wasser – so etwas schreckt Berliner ab. Sie erinnern sich dabei an die schrammligen Ausflugslokale ihres Umlands. Der Hamburger dagegen denkt ans Meer, an Kutter, die im Hafen ankern mit eben gefangener Ware.

Kellner mit Erfahrung

Eine Spezialität des Fischereihafen Restaurants ist der Steinbutt, wahlweise pochiert oder gebraten. Der Service hilft bei der Entscheidung: „Wenn man nicht magenkrank ist, nimmt man den gebraten!“ Der Gastkritiker freut sich: endlich mal ein Kellner mit Erfahrung, in Berlin kaum mehr anzutreffen. „Der Betrieb spuckt alle aus, die über 30 sind.“

Als sich die Speiseglocke hebt, staunt der Kollege dann doch: ein Riesenstück vom Riesensteinbutt – und das ist noch die kleine Portion. „Dafür zahlen Sie beim Lohse 90 Euro“, entfährt es ihm. Gemeint ist das „Fischers Fritz“ am Gendarmenmarkt. Im Glorienschein des Steuerrads sinnt der Berliner über seine Stadt: all die Trends, die von ihr ausgehen und doch nie haften bleiben. Hier wiederum ... Er besieht gerührt das altmodische Fischmesser. Lobt den süßlichen Gurkensalat – „so hat ihn meine Mutter gemacht“. Er wirkt versöhnt, fast sentimental. Diese Stadt bringt wirklich das Beste im Menschen hervor. Gut verpflegt, kehrt der Kollege heim an seine Spree (einen Nebennebenfluss der Elbe). Von der Autogrammkartenwand trällern die alten Recken ihm nach: „Junge, komm bald wieder“.

Fischereihafen Restaurant, Große Elbstraße 143, Altona. Telefon 040/38 18 16, www.fischereihafenrestaurant.de, Geöffnet von 11.30 bis 22 Uhr, Freitag und Sonnabend bis 22.30 Uhr. Hauptgerichte um 30 Euro

Lesen Sie hier, wohin Bernd Matthies seinen Hamburger Kollegen einlud

Dabei essen ist alles: Die Restaurantkritiker von Tagesspiegel und "Zeit" haben einen olympischen Wettkampf gewagt und die regionale Küche ihrer Heimatstädte verglichen.

Bernd Matthies, Tagesspiegel: Ich lud meinen Gast ins Traditionslokal Wendel in Charlottenburg. Da meckerte er erst und kaperte dann die Bouletten:
Das meiste, was in Berlin passiert, glaubt einem draußen kein Mensch. Wir sitzen im „Wendel“, in einem der raren Traditionslokale der Stadt, und müssen nun was bestellen. Der hanseatische Kollege, der nach eigenen Angaben noch nie ein Glas Bier geleert hat, geht voll auf Risiko. Welches Bier würde er, der Kellner, einem gewohnheitsmäßigen Weintrinker denn empfehlen? Das Handbuch sieht für diesen Fall eine möglichst flapsige Reaktion vor: „’n kleenet!“ oder „Soll ick Ihnen ’n Tisch int Adlon bestellen?“ Hier passiert etwas völlig anderes. Der Kellner lässt eine präzise getaktete Pause eintreten, dann fragt er zurück: „Rot- oder Weißwein?“
So ist das nämlich im Berlin des 21.Jahrhunderts. Wir kennen alle Erwartungen und Klischees und sind mit Feuereifer dabei, sie zu unterlaufen. Aber übertrieben wird auch nicht. Denn das Erste, was der Hamburger Biernovize kurz nach der Bestellung sieht, ist ein Teller, der frisch aus der Küche den Nachbartisch erreicht. Darauf: ein Gebirge, ach was, ein Himalaja, dessen untere Flanken aus Bratkartoffeln bestehen, der Rest bleibt unklar, Sauerkraut, Fleisch? Wir nennen so etwas das Berliner Amuse-Gueule: Der Gast guckt nach nebenan und ist schon halb satt.

Ein Gebirge aus Bratkartoffeln

Doch dann kommen die, nun ja, Vorspeisen. Vor dem Hamburger türmt sich der Hackepeter auf, schön homogen hellrot, die Berliner Alternative zum Tatar, Schweinebauch durchgedreht statt Rinderfilet, Wrangelstraße statt Elbchaussee. Das Ei ist halbiert und hart gekocht, es gibt frische und saure Gurken, und am Tellerrand daneben liegen drei Soßen, die weltläufige Gäste vielleicht Pesto nennen würden, aus Zwiebeln, Kapern, Essiggurken – und sie schmecken tatsächlich ausgezeichnet. Dazu nimmt der Eingeborene karges Roggenmischbrot, das den Hamburger mit seinen Alster-Bio-Boulangerien dezent an die Nachkriegszeit erinnert. Egal: Punkt für Berlin. Die beiden großen Bratheringe haben ebenfalls den Charakter einer Hauptmahlzeit. Der Hamburger kennt diese Zubereitung natürlich aus seiner Region, zweifelt aber trotzdem am Sinn: Erst braten, dann sauer einlegen, warum? Doch dann spendiert er ganz ohne Not noch einen Punkt für Berlin: Die Bratkartoffeln, sagt er, sind besser, knuspriger, gleichmäßiger, weniger fett als jene, die am Tag zuvor unter dem Hamburger Pannfisch lagen.
Durchatmen. Gründervater Wendel ist längst tot, aber sein im 19.Jahrhundert gegründetes Lokal existiert weiter. Es hat sich in der Werbung mal „Ecklokal mit Abitur“ genannt, um einen gewissen kulinarischen Abstand zur landläufigen Kneipe anzudeuten. Drinnen ist alles original, das dunkle Holz; die mit dicker Nikotinpatina überzogenen Gemälde, die Szenen aus Lietzow zeigen, dem Dorfkern des heutigen Charlottenburg, sogar die Bleiglasfenster mit der Bierwerbung. Prominente Gäste haben Autogrammfotos hinterlassen. Richard von Weizsäcker war mal da und alle anderen West-Berliner Bürgermeister sicher auch, ein französischer General grüßt mit schwerer Ordensbrust, und wir sitzen unter dem Foto des Wiener Tenors Gottfried Hornik, der mit seiner großformatigen Brille aussieht wie aus einer deutschen Lümmelfilm-Konserve.

Schlabbermax statt Strammer Max

Das einzige Tief an diesem Abend verursacht der Stramme Max. Der Hamburger kommt mit den noch sehr weichen Spiegeleiern nicht zurecht, nennt das Ganze „eher einen Schlabbermax“ und moniert auch den zwar guten, aber doch sehr dominanten Räucherschinken darunter. Ausgeglichen wird das aber sogleich durch die Spezialität des Hauses, die Boulette, die jeden Abend um zehn frisch aus der Pfanne dargereicht wird, Stück zweisiebzig mit Mostrich. Prima, sagt der Hamburger, locker, würzig, mit Charakter. Zwei bestimmte Gewürze seien drin, sagt der Kellner, „aber die sind geheim!“ Wir rätseln: gemahlene Korianderkörner?

Ach, die Sache mit dem Bier bleibt noch nachzutragen: Als der Hamburger Gast seine Präferenz für Weißwein erklärte, entschied sich der Kellner nach kurzem Nachdenken für ein – Flens. Behaupte also niemand, Berliner seien penetrante Lokalpatrioten.

Wendel, Richard-Wagner-Platz 87, Charlottenburg, Telefon 030/3416784, Montag bis Freitag ab 16 Uhr, Sonnabend ab 17 Uhr geöffnet, keine Website. Hauptgerichte um 10 Euro.

Berlin oder Hamburg - wer hat Olympia eher verdient? In einer gemeinsamen Sonderausgabe von ZEIT und Tagesspiegel haben wir zwei sportliche Gespräche mit den Bürgermeistern der beiden Städte geführt. Das Interview mit dem Hamburger Olaf Scholz finden Sie hier. Die komplette Sonderbeilage "Kampf der Städte" finden Sie im E-Paper vom 12. März 2015.

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