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Berlin: Landesbischof Huber zur Ladenöffnung am Sonntag: Der Mensch lebt nicht nur von dem, was er selbst produziert und konsumiert (Interview)

Warum halten die Kirchen so vehement an der Sonntagsruhe fest?Der Wechsel von Ruhetag und Arbeitstag ist auch für die heutige Gesellschaft eine ganz wichtige und kostbare Lebensorientierung, die nicht leichtfertig preisgegeben werden darf.

Warum halten die Kirchen so vehement an der Sonntagsruhe fest?

Der Wechsel von Ruhetag und Arbeitstag ist auch für die heutige Gesellschaft eine ganz wichtige und kostbare Lebensorientierung, die nicht leichtfertig preisgegeben werden darf. Das schließt ein, dass der Sonntag ein Tag der Arbeitsruhe ist, an dem Menschen gemeinsam das tun können, was sie dürfen und wollen, und nicht, was sie tun müssen. Ein Tag, der auch reserviert ist für den Gottesdienst. Das alles muss bewahrt werden, auch in einer Zeit des Wandels. Es ist ganz kurzsichtig, mit dem Argument des gesellschaftlichen Wandels auch hier einfach alles über Bord zu werfen, was sich in langer Zeit und über viele Generationen hin als wichtig und wertvoll erwiesen hat.

Wieso richtet sich Ihr Protest gerade gegen den verkaufsoffenen Sonntag? In anderen Bereichen, beispielsweise der Gastronomie, wird schon seit Jahr und Tag am Sonntag gearbeitet. Und gegen den Schoppen im Wirtshaus nach dem Gottesdienst hatte die Kirche ja nichts einzuwenden.

Es ist nicht richtig, dass wir jetzt erst wachsam werden. Wenn Sie das zurückverfolgen, dann stellen Sie fest, dass die Kirchen - übrigens in großer Übereinstimmung über die Jahrzehnte hin - immer wieder deutlich gesprochen haben, auch mit beachtlichem Erfolg. Es ist gut zu wissen, dass in Deutschland vergleichsweise weniger am Sonntag gearbeitet wird als in manchen anderen Ländern. Es ist jedoch dumm, dieses Element unserer Sozialkultur jetzt aufs Spiel zu setzen. Und die Bresche soll im Augenblick im Bereich des Massenkonsums geschlagen werden. Dies darf auch deswegen nicht sein, weil es auf dem Rücken von Verkäuferinnen und Verkäufern ausgetragen wird. Die Steigerung von Verkauf und Konsum darf nicht zum Grund für Sonntagsarbeit werden.

Sie weisen darauf hin, dass der Sonntag in anderen Ländern nicht mehr so geschützt ist. Lassen sich Ihre Positionen im Zuge der Globalisierung noch halten?

Das Argument der Globalisierung so zu verwenden, halte ich für absolut töricht. Globalisierung bedeutet doch nicht, dass alles gleich gemacht wird. Es ist doch nicht so, dass wir uns in Deutschland nur die Kultur leisten können, die in allen anderen Ecken der Welt auch herrscht. Es wäre doch der fatalste Weg der Globalisierung, wenn es bedeuten würde, sich jeweils auf dem niedrigsten denkbaren Niveau anzusiedeln.

Welche Auswirkungen befürchten Sie, wenn die Sonntagsruhe nach und nach gekippt wird?

Ich fürchte eine Erschwernis für einen großen Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich fürchte eine weitere Aushöhlung des Zusammenlebens in den Familien. Ich fürchte eine Verarmung unserer Sozialkultur im Ganzen. Ich fürchte natürlich auch eine Erschwernis für die Kirchen, ihren Beitrag zum gemeinsamen Leben in unserer Gesellschaft zu leisten.

Kommt das jetzt so vehemente Aufbegehren der Kirchen nicht schon zu spät?

Jetzt muß vehement protestiert werden. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass wir vorher nicht deutlich gesprochen hätten. In der Position zur Frage des Sonntags gibt es bei den Kirchen überhaupt kein Wackeln. Und zwar nicht aus Rückständigkeit, sondern aus einer wohlbegründeten Überzeugung.

Werden Sie auch bei den Parteien noch Bündnispartner finden?

Quer durch die Parteien gibt es viele, die einsehen, dass wir Recht haben. Und manche trauen sich, das öffentlich zu sagen. Auch in einer Situation, in der sie sich in einen Konflikt mit bestimmten wirtschaftlichen Interessen begeben. Vor denen habe ich mehr Respekt, als vor denen, die es nur halblaut sagen.

Was werden die Kirchen jetzt unternehmen?

Die Aufgabe, hier für Ordnung zu sorgen, ist eine Aufgabe des Gesetzgebers. Wenn er dabei ist, den Ladenschluss während der Woche aufzulockern, wofür ich sogar Verständnis habe, dann muss er dabei genau wissen, dass der Schutz des Sonntags nicht bloß ein Problem des Ladenschlussgesetzes, sondern ein Problem der Verfassung ist. Es ist nicht irgendeine altmodische Marotte, dass das Grundgesetz den Sonntag ausdrücklich schützt als eine Institution des gemeinsamen Lebens. Es ist Ausdruck für den hohen Respekt, den dieser Tag und dieser Rhythmus der Woche verdient. Insofern muss der Gesetzgeber sich klar machen, dass er durch einfache Gesetzgebung nicht den Sonntagsschutz aushöhlen kann und ihn nicht aushöhlen darf. Da ist ein klares Wort von politischer Seite gefordert, sowohl in Berlin, wo die Dinge jetzt losgetreten worden sind, als auch in der Bundesrepublik insgesamt. Das werden wir einfordern. Kirchen agieren nicht in dem Sinn politisch wie andere, dass sie Macht mobilisieren. Sie agieren so, dass sie versuchen zu überzeugen. Das werden wir weiterhin mit Beharrlichkeit und Nachdruck tun.

Denken Sie daran, eventuell eine Verfassungsklage zu initiieren, und wenn ja, welche Grundlage sehen Sie dafür?

Ich mache auf ein verfassungsrechtliches Problem aufmerksam. Zunächst einmal ist es die Pflicht, des Gesetzgebers, die Verfassung zu achten. Bisher unterstelle ich noch nicht, dass jemand die Verfassung brechen will. Deswegen spekuliere ich auch nicht über ein Verfahren in Karlsruhe. Ich äußere mich auch nicht zu der Frage, wer dieses Verfahren in Gang setzen könnte, wenn es denn notwendig wäre. Aber eines ist klar, wir würden uns unglaubwürdig machen, wenn wir eine Verfassungsinstitution von diesem Rang einfach mir nichts, dir nichts preisgeben würden.

Was hat die Väter und Mütter des Grundgesetzes bewogen, den Sonntag zu schützen?

Sie hatten ein Bewusstsein dafür, dass der Mensch nicht nur von dem lebt, was er selbst produziert und konsumiert. Also derselbe Grundgedanke, der sich auch in der Präambel unserer Verfassung findet, wo von der "Verantwortung vor Gott und den Menschen" die Rede ist. Darin drückt sich das Bewusstsein dafür aus, daß der Mensch mehr ist, als das, was er aus sich macht. Darum geht es auch, wenn eine säkulare Gesellschaft den Sonntag als einen besonderen Tag achtet und hochhält.

Hat sich dieses Bewusstsein im Lauf der letzten 50 Jahren gewandelt?

Gerade wenn das Bewusstsein sich gewandelt hat, ist es um so wichtiger, dass bestimmte Maßstäbe festgehalten werden und nicht in Vergessenheit geraten. Eine Verfassung ist nicht dazu da, dem jeweiligen Zeitgeist hinterher zu rennen. Deswegen finde ich auch die Aufregung darüber ein bißchen kindisch, dass in der Verfassung der altmodische Ausdruck der "seelischen Erhebung" steht. Es ist gut, wenn man durch eine etwas befremdliche Formulierung darauf aufmerksam gemacht wird, dass die Zukunft einer Gesellschaft von mehr abhängt als von den jeweiligen Windungen des Zeitgeistes.Wolfgang Huber ist Landesbischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Der 56-jährige Theologie-Professor war 1993 Nachfolger von Bischhof Martin Kruse geworden. Huber war immer auch ein politischer Kirchenmann, der die Meinung vertritt, die Kirche müsse sich in der Politik zu Gehör bringen. Er selbst bezeichnet sich als sozialen Demokraten. Das Gespräch mit Huber führte Sigrid Kneist.

Warum halten die Kirchen so vehement an der Sonnta

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