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Da wächst ihm was über den Kopf. Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum in gewissen Nöten.

© Mike Wolff

Alt-Immobilien der Bankgesellschaft: Berlins verflixte Erbschaft

Wohnblocks, Grundstücke, Tankstellen – 40.000 Immobilien besitzt Berlin in Deutschland. Dummerweise liegen darauf 4, 75 Milliarden Schulden - eine Spätfolge des Bankenskandals. Finanzsenator Nußbaum sucht verzweifelt und vergeblich Käufer. Und gerät jetzt unter Druck.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Ulrich Nußbaum sieht sich in seiner Ehre gekränkt. „Ich lasse mich nicht zum Deppen machen“, sagt der Berliner Finanzsenator. „Ich liefere saubere Arbeit ab.“

Ein Jahr lang hat er teure Spezialisten damit beschäftigt, die Berliner Immobilien Holding an ein britisches Konsortium zu verkaufen. Investmentberater von UBS, Wirtschaftsjuristen von Freshfields und der Berliner Staranwalt Karlheinz Knauthe waren maßgeblich beteiligt. Sieben Millionen Euro soll das bisher gekostet haben. Seit dem 14. Dezember 2010 liegt der Kaufvertrag vor. Am heutigen Dienstag muss Nußbaum nun dem Berliner Senat den Sachstand berichten. Aus der rot-roten Koalition hört man, das Geschäft sei so gut wie tot, aber es werde versucht, die Bruchlandung Nußbaums abzufedern. Denn im Wahljahr 2011 gehört politische Schadensbegrenzung in Berlin zum Pflichtprogramm.

Bei dem Verkauf, der jetzt zu scheitern droht, geht es um 39 289 Wohnungen und 3066 Gewerbegrundstücke, gelegen zwischen Duisburg und Dresden, Emden und Neu-Ulm, die von der landeseigenen BIH betreut werden. Vieles davon ist Immobilienschrott, das Erbe des Berliner Bankenskandals. Notleidende Immobilien, auf denen 4,75 Milliarden Euro Schulden lasten. Hübsch verpackt in 29 Immobilienfonds warten Tankstellen und Supermärkte, Wohnblocks, teilweise leer stehende Appartements und klamme Seniorenheime auf bessere Zeiten. Zum Beispiel in Schenefeld, vor den Toren Hamburgs. Das Einkaufszentrum, das zu den Berliner Fonds gehört, wird nun erweitert, nachdem jahrelang nichts geschah. Auf einmal rollen die Bagger, viele Parkplätze werden gesperrt, die Schenefelder sind sauer. In letzter Minute droht ein Baustopp, und dem Center-Manager Thomas Bleis wird nach 15 Jahren gekündigt. Er zieht vor Gericht.

An vielen Stellen der Republik, wo die Alt-Immobilien der Bankgesellschaft liegen, geht es drunter und drüber. Oder es passiert nichts. Am liebsten hätte Berlin mit alledem nichts zu tun. Aber mitgerissen von der Goldgräberstimmung auf dem Grundstücksmarkt hatte der landeseigene Bankenkonzern seit Mitte der achtziger Jahre einige Dutzend Fonds aufgelegt. Neun Milliarden Euro wurden eingesammelt, und jede Immobilie, der die öffentlichen Banker habhaft werden konnten, wurde in die Fonds gestopft. Zehntausende Kleinanleger ließen sich mit märchenhaften Zusagen locken: Mietgarantien, Höchstpreisgarantien, Andienungsgarantien, Konditionengarantien, Wertpapiergarantien, Schließungsgarantien, Ausschüttungssicherstellungen.

„Uns wurde versprochen: Hier steht eine Kuh, die goldene Eier legt“, sagt der Steuerberater Thomas Schmidt. Er wohnt in Essen und steuert die letzte Bastion derer, die noch in den Fondsgesellschaften sitzen. Zeichner zeigen Zähne, so heißt die Initiative. Inzwischen hat der Senat über 90 Prozent der privaten Anleger aus den Garantiefonds herausgekauft und dafür 1,8 Milliarden Euro ausgegeben. Jetzt sitzt die Hauptstadt auf dem weitgehend verstaatlichten Großgrundbesitz, dessen Marktwert geringer ist als die darauf lastenden Kredite. „Der Fluch der bösen Tat“, sagt Schmidt nicht ohne Schadenfreude. Es gibt nur noch einen, der die Dinge in rosigen Farben sieht.

Der frühere CDU-Fraktionschef und Bankdirektor Klaus Landowsky sagte der „Bild“-Zeitung: „Berlin wird einen gigantischen Gewinn machen aus der Sache.“

Wer diese Einschätzung nicht teilt, muss sich entscheiden: die Fonds sanieren oder abstoßen. Schon der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin versuchte, für die Alt-Immobilien der Bankgesellschaft einen Käufer zu finden. Er war nahe dran, der Vertrag unterschriftsreif, aber dann wechselte Sarrazin zur Bundesbank. „Lieber Herr Nußbaum“, sagte er dem designierten Nachfolger im April 2009 am Telefon, „um den Verkauf der BIH müssen Sie sich nicht mehr kümmern. Das ist erledigt.“ Der parteilose Fischgroßhändler aus Bremen, den Berlins Regierungschef Klaus Wowereit als neuen Finanzsenator eingekauft hatte, stoppte den Verkauf sofort.

„Das Geschäft wäre zulasten Berlins gegangen“, behauptet Ulrich Nußbaum bis heute. Er suchte neue Käufer, aber im Mai 2010 sprang der südafrikanische Multimilliardär Nathan Kirsh ab. Selbst ihn schreckte der riesige Schuldenberg, den er mit übernehmen sollte. Weitere Interessenten kamen – und gingen. Nur ein Investor wollte den Berliner Immobilienschatz unbedingt heben, von dem der Grünen-Finanzexperte Jochen Esser sagt: „Das ist Blech, kein Gold.“ Ein britisches Konsortium um die Firma Altyon, geführt von alten Hasen, verhandelt seit Anfang 2010 mit dem Finanzsenator. Simon Holley und Lawrence McLaughlin sind seit Jahrzehnten im globalen Investmentgeschäft unterwegs und personell eng verflochten mit dem Branchenriesen CB Richard Ellis. McLaughlin, so berichten Mitarbeiter, gehe in der eleganten Unternehmenszentrale der BIH am Halleschen Ufer ein und aus, als wäre er schon der Eigentümer. Er wird dort Lary genannt. Aber die Fondshändler aus London müssen sich wohl darauf einstellen, dass außer Spesen am Ende nichts gewesen ist.

Nußbaum weiß das. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit auch. Spätestens in Dresden, wo die Berliner SPD- Fraktion Ende Januar in Klausur war, dämmerte es ihnen, dass der BIH-Verkauf keine parlamentarische Mehrheit finden wird. Im Hotel Saxa hinter verschlossenen Türen lagen die Nerven blank. Ein zorniger Regierungschef forderte vergeblich einen Sonderparteitag, um das innerparteilich hoch umstrittene Geschäft durchzudrücken. Vielleicht wieder mit einer Brandrede. Nach einer solchen auf einem Parteitag fand Wowereit im Juni 2010 eine knappe Mehrheit für die Verlängerung der Stadtautobahn A 100. Beide Großprojekte sind für ihn von einer Sach- zu einer Machtfrage geworden.

Aber nicht nur linke Sozialdemokraten halten den Verkauf der Fondsimmobilien für ausgesprochen risikoreich. Beim Koalitionspartner, der Linken, heißt es: Wir prüfen den Vertrag mit größter Skepsis. Fachleute in der Finanzverwaltung weinen dem Projekt schon keine Träne mehr nach. Die Opposition positioniert sich deutlich. Grünen-Mann Jochen Esser spricht von „Schauspiel und Chaos“. FDP-Chef Christoph Meyer wirft Nußbaum eine „unseriöse Verhandlungsführung“ vor. CDU-Politiker Michael Wegner hält den Senator für „angezählt“.

In der Beletage der BIH ist das Management hauptsächlich um das eigene Überleben besorgt. Einer, der den Konzern bestens kennt, sagt: „Die Bösen sitzen dort in der Führungsetage, und sie führen Nußbaum an der Nase herum.“

Seit dessen Amtsantritt im Mai 2009 hat sich das Bild vom jugendlich wirkenden, politisch interessierten, aber unabhängigen Millionär, der jovial Schultern klopft und mit strahlendem Lächeln Hände schüttelt, dramatisch verändert. Jetzt hört man überall in der SPD: „Ja, also der Thilo, der war immer drin im Stoff.“ Sarrazin sei ein unangenehmer, aber verlässlicher Partner gewesen. Und er habe viel bewirkt. Dagegen sei Nußbaum ein Januskopf, der hier dies und dort jenes sage. Zahlen und Fakten habe er selten parat. „Ein Ankündigungspolitiker“, spottet der Freidemokrat Meyer, und bei Rot-Rot hört man dazu selten Widerspruch.

Kein Wunder, dass Nußbaum dünnhäutig geworden ist. Als er in Dresden spätabends auf eine bierselige Runde der SPD-Linken traf, brach es aus ihm heraus: „Manchmal wäre eine aufgeklärte Diktatur ganz schön.“ Der überzeugte Demokrat wollte damit sagen, dass Parlament und Partei einem Regierungspolitiker lästig fallen. „In Berlin wird alles so oft durchdiskutiert, bis es alle verstanden haben“, spottet er. Stets davon überzeugt, dass nur Wowereit auf einer Augenhöhe mit ihm steht. Nußbaum ist stolz, in den Meinungsumfragen weit oben in der Beliebtheitsskala zu stehen. Bei den Kammern und Unternehmensverbänden ist er immer noch ein gern gesehener Gast. Ein Unternehmer ohne Parteibuch, der mit Pressefotografen im Schlepptau in den Zoo und auf Bezirksbesuche geht.

„Der macht seinen eigenen Wahlkampf“, frotzeln SPD-Genossen. Ob Nußbaum wirklich glaube, nach der Berlinwahl am 18. September noch etwas werden zu können? Mit einem kann er auf keinen Fall rechnen: dass ihm die Mehrheit der SPD beim Verkauf der BIH entgegenkommt. Denn der tiefere Sinn des Geschäfts liegt darin, dass sich Berlin von den horrenden Finanzrisiken trennt, die auf den staatlich garantierten Fonds liegen. Der Rettungsschirm, der 2002 aufgespannt wurde, um die Bankgesellschaft vor dem Untergang zu bewahren, hat schon über zwei Milliarden Euro gekostet. Bis Ende 2012 können die Garantien noch aus dem Verkauf der Bankgesellschaft finanziert werden, der 2007 rund 4,6 Milliarden Euro einbrachte. Danach müssen die Steuerzahler einspringen.

Deshalb lautet die bange Frage: Ist der Käufer der BIH willens und in der Lage, das Land Berlin von allen Risiken zu befreien? Gibt es einen klaren Schnitt? Wer bürgt für den Investor aus London, sollte dem die Puste ausgehen? Denn laut Vertrag würde Berlin frühestens im März 2014 vom Käufer von allen Kreditgarantien freigestellt, der bis dahin 4,15 Milliarden Euro umschulden müsste. Eine arabische Bank war angeblich bereit, für den Käufer die gesamtschuldnerische Haftung zugunsten des Landes Berlin zu übernehmen. Das hörte sich gut an, zumal die Al Hilal Bank in Abu Dhabi schon dem Nachbarn Dubai mit einer Milliardenanleihe aus der Patsche half. Hinter der Bank steht der Abu Dhabi Investment Council, der vom Kalifen Al Nahyan geleitet wird, dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate.

Insider gaben jedoch frühzeitig zu bedenken, dass Al Hilal nur eine „weiche Bürgschaft“ leiste. Wie solle es im Streitfall gelingen, ein Kreditinstitut im mittleren Osten in Haftung zu nehmen, das islamischem Recht unterliegt?

Trotzdem hätten solche Zweifel das Geschäft möglicherweise nicht zu Fall gebracht. Den Ausschlag gab, dass sich die Al Hilal aus dem Geschäft zurückzog. Zunächst durch ein anwaltliches Dementi, das den Tagesspiegel erreichte. Dann erfuhr auch der Finanzsenator, dass die arabischen Banker ausgestiegen sind. Sie sahen wohl die vereinbarte Vertraulichkeit gebrochen. Bis Ende November 2011 sollte die Bürgschaft, bei Androhung einer Konventionalstrafe von 30 Millionen Euro, nicht öffentlich bekannt werden. Am Persischen Golf mag das funktionieren, aber in einer parlamentarischen Demokratie mit Pressefreiheit?

Der Finanzsenator glaubte wohl, dass dies möglich sei. Jedenfalls wurde ein Informationspapier fürs Landesparlament, auf zwei Seiten die Al Hilal Bank betreffend, mit einem Stempel versehen: „Information nur für Mitglieder des Senats und die Fraktionsvorsitzenden. Diese Information darf auf Anfrage auch dem Abgeordnetenhaus offengelegt werden.“ Dass sie zügig an die Öffentlichkeit gelangte, war klar, wenn auch nicht für die arabischen Banker. Mit Friedrich Schiller hielten sie es offenbar nicht: „Ich lasse den Freund dir als Bürgen, ihn magst du, entrinn’ ich, erwürgen.“

Die Bürgschaft war der größte, aber nicht der einzige Stolperstein. Auch der niedrige Kaufpreis, die strittige Bewertung der Immobilien, der Umgang mit 20 000 Fonds-Wohnungen in Berlin, die Seriosität des Käufers, die Liquidität der BIH und ihrer Fondsgesellschaften … Fragen über Fragen, die den Experten graue Haare wachsen ließen. Nun sieht es so aus, als müsste der Senat passen – und sich nach einer Alternative zum BIH-Verkauf umsehen. Das Erste wird sein, die landeseigenen Unternehmen so umzubauen, dass die Immobilien ordentlich entwickelt und vermarktet werden. BIH- Vorstandschef Peter Hohlbein und sein Vize Werner Fürnkranz werden gehen müssen. Ihre Verträge laufen in Kürze aus. Das spart auch Geld, denn beide zusammen haben ein Jahresgehalt von fast einer Million Euro.

Nußbaum schmollt. Er wolle den Vertragsentwurf nach dem Scheitern des Verkaufs ins Internet stellen, um zu zeigen, dass er das Beste für Berlin herausgeholt habe, kündigt er an. Ein Branchenkenner, der den Verhandlungsprozess intensiv begleitete, sagt: „Das wäre sein politisches Todesurteil.“ Dieser Vertrag sei nicht vorzeigbar.

In jedem Fall muss sich Berlin in nächster Zeit besser um seinen Großgrundbesitz kümmern. Auch im Städtchen Schenefeld. Am Wochenende gab es dort die ersten Fortschritte. Der Baustopp ist abgewendet, und Busse pendeln zwischen einem Ersatzparkplatz und dem Einkaufszentrum.

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