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Arbeitsmarktpolitik: Jobs statt Zwangsmaßnahmen für Hartz IV-Empfänger

Berliner Politiker lehnen die von Roland Koch geforderte "strenge Arbeitspflicht" für Hartz-IV-Empfänger ab. SPD und Verdi halten den Vorwurf für unerträglich, dass Erwerbslose nicht arbeiten wollen.

Von Sandra Dassler

Die Forderung von Hessens Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) nach strenger Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger stößt in Berlin auf Ablehnung. „Das ist absurd“, sagt die Grünen-Stadträtin für Gesundheit und Soziales in Tempelhof-Schöneberg, Sibyll Klotz: „Solange es nicht genug Arbeitsplätze gibt, kann ich auch keinen Arbeitszwang aussprechen.“

Das meint auch Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) und gibt zu bedenken, dass nicht jeder Hartz-IV-Empfänger arbeitssuchend und arbeitsfähig ist. „Dazu gehören ja beispielsweise auch Kinder oder Auszubildende“, sagt er. Und rechnet für seinen Bezirk vor: Von den 77 500 Hartz-IV-Empfängern in Neukölln sind 56 000 erwerbsfähig. Von den 31700 Hartz-IV-Empfängern, die jünger als 26 sind, gelten zwar 12 000 als erwerbsfähig, aber nur 3500 als arbeitssuchend. „Der Rest macht Ausbildung oder Umschulung oder ist im Mütterurlaub“, sagt Buschkowsky: „Aber von den 3500 arbeitssuchenden jungen Neuköllnern sind 90 Prozent nicht in den Arbeitsmarkt vermittelbar. Sie können nicht lesen und rechnen oder sie haben nie gelernt, morgens aufzustehen, oder sie sprechen kein Deutsch.“

Statt auf Zwang setze die SPD ja genau deshalb auf Fordern und Fördern, sagt Buschkowsky. Und findet es ebenso wie die Berliner Verdi-Chefin Susanne Stumpenhusen „unerträglich“, dass Koch unterstellt, Hartz–IV-Empfänger wollten nur nicht arbeiten. Er kenne beispielsweise viele Pförtner und Wachschützer, die gingen jede Nacht in die Schicht, obwohl sie damit weniger verdienten als sie Hartz IV erhalten würden. Sie hätten ihm gesagt, warum: „Wenn man lange keine Arbeit hat, steht man irgendwann morgens nicht mehr auf. Oder sitzt mittags noch im Nachthemd am Fernseher. Oder wäscht sich nicht. Warum auch? Ist ja alles egal.“

Sibyll Klotz hat in Tempelhof-Schöneberg Ähnliches erlebt. Eine alkoholkranke Frau habe ihr erzählt, in den zwei Jahren, wo sie im Nachbarschaftstreff arbeiten konnte, sei sie glücklich gewesen. Und trocken. Weil ihr Leben einen Sinn hatte. Das sei bei vielen so, sagt Sibyll Klotz: „Da geht es eben nicht nur um Geld. Wir erleben oft, dass sich bei bestimmten Angeboten viele Freiwillige melden.“

Die Stadträtin meint damit unter anderem die rund 1200 Arbeitslosen, die derzeit im Winterdienst der Berliner Stadtreinigung (BSR) arbeiten – meist gern und freiwillig. Ein Tagesspiegel-Artikel darüber hatte im Internet zu Diskussionen geführt. Einige verurteilten diese Arbeit, weil sie „entwürdigend und unterbezahlt“ sei und „reguläre Jobs vernichte.“

„Das ist Quatsch“, sagt Heinz Buschkowsky: „Die BSR braucht die Leute ja nur, wenn wirklich Winter ist. Aber wenn Koch fordert, man müsse Arbeitslose in eine öffentliche Beschäftigung bringen, wird er viel Ärger mit den Arbeitgeberverbänden und den Industrie-, Handels- und Handwerkskammern bekommen: Es gibt inzwischen für jede öffentliche Dienstleistung Firmen, denen die Arbeitslosen dann die Aufträge wegnehmen würden.“

Berlins Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) sagt, die Massenarbeitslosigkeit könne man nicht durch Zwang abschaffen, sondern nur „mit regulärer Beschäftigung, die auch existenzsichernd ist.“

Nur der Landes- und Fraktionschef der Berliner CDU, Frank Henkel, kann die ganze Debatte und Aufregung nicht nachvollziehen. „Roland Koch hat doch überhaupt nichts Sensationelles gefordert“, sagt er, „sondern nur das angemahnt, was längst geltendes Recht ist: Wer ALG II erhält, ist zur Annahme jeder zumutbaren Arbeit verpflichtet.“

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