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Auffällige Kinder: Ein Platz für schwierige Fälle

Das Deutsche Rote Kreuz wird Schulträger: Am Klinikum Westend entsteht ein Zentrum für Schüler mit Entwicklungsstörungen

Berlin betritt schulisches Neuland: Am DRK-Klinikum Westend entsteht ein Zentrum für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen und psychischen Problemen. Es soll ihnen nach erfolgreicher Therapie in der Psychiatrie den Übergang in ihre frühere soziale und schulische Umgebung erleichtern, indem sie dort bis zu zwei Jahre lang betreut werden. Zum Gesamtkonzept gehört eine Schule mit der Spezialisierung auf Verhaltensstörungen sowie eine heilpädagogische Tagesgruppe, die eng mit der benachbarten Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie zusammenarbeitet. Träger des „Zentrums für Schulische und Psychosoziale Rehabilitation“ (ZSPR) ist die DRK-Schwesternschaft.

„Wir brauchen etwas für die schwierigsten Fälle“, begründet Professor Michael von Aster die Notwendigkeit des ambitionierten Vorhabens. Der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Westend hält das bisherige Angebot der drei staatlichen Klinikschulen für nicht ausreichend, die ausschließlich für die Zeit der stationären Unterbringung ausgelegt sind: Viele Kinder sind aber nach erfolgter Therapie noch nicht stabil genug, um wieder komplett in ihr Alltagsleben zurückkehren zu können.

Es geht um Kinder wie Mario K. (Name geändert). Der Viertklässler sitzt seit einem halben Jahr zu Hause, weil er in seiner Klasse nicht mehr zurechtkam: Er gehört zu dem Heer von Kindern, die unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) leiden. Hinzu kommt, dass er sich nicht unter Kontrolle hat, hochaggressiv ist und auch seine Klassenkameraden geschlagen hat. Seit dem Kita-Alter leidet er unter Sprachproblemen, und er lernt langsam. Auch der Versuch, ihn zu Hause zu unterrichten, scheiterte.

Für Kinder wie Mario gibt es kein Angebot in Berlin, denn Schulen für Verhaltensgestörte („Emotional soziale Entwicklung“) sind in Berlin nicht erwünscht, weil man die Kinder lieber in den Regelschulen integrieren möchte. Nur drei solcher Schulen sind übrig geblieben. Im Übrigen gibt es vereinzelt sogenannte Beobachtungsklassen oder „temporäre Lerngruppen“. Ganz schwierige Fälle werden von einer der drei staatlichen Klinikschulen nach der stationären Behandlung weiterbetreut – allerdings nur nach komplizierten Antragsprozeduren.

„Das Regelsystem ist nicht flexibel genug“, ist die Erfahrung, von Michael von Aster, der auch Sonderpädagoge ist. So passiert es immer wieder, dass Kinder, die aus der Psychiatrie längst entlassen waren, nach einiger Zeit zurück sind, weil sie in genau die Umgebung zurückkehren mussten, in der sie zuvor krank geworden waren: Bei Eltern, die mit den Problemen ihrer Kinder überfordert sind, und in Schulen, die an ihre Grenzen stoßen. Diesen „Drehtüreffekt“ müsse man abstellen – und stattdessen einen besseren Übergang schaffen, fordert von Aster, der Unterstützung vom Verband der Kinderärzte bekommt.

Wie dieser Übergang aussehen könnte, beschreibt die Leiterin der neuen Schule, Kerstin Schicke: „Erziehung, Bildung und Therapie sollen Hand in Hand gehen.“ Dies werde schon durch die räumliche Nähe ermöglicht: die behandelnden Ärzte, die Lehrer, Therapeuten und die Sozialarbeiter könnten sich ohne Probleme über die Fälle austauschen. Wenn die Kinder hingegen in eine Regelschule zurückkehrten, sei dieser Austausch ungleich schwerer, gibt Schicke zu bedenken, die zuvor Konrektorin der Klinikschule an der Charité war und daher die Probleme mit der Nachsorge für die ehemaligen Patienten genau kennt.

Die bereits fertiggestellten Räumlichkeiten für die neue Schule am Spandauer Damm bieten viel, von einem geräumigen Essensraum bis hin zu den PC-Arbeitsplätzen für die Schüler. Sie werden in erster Linie aus Wilmersdorf-Charlottenburg und Spandau kommen, damit sie nicht zu weite Wege haben, wenn sie morgens nach Westend fahren. Geplant sind langfristig maximal 40 Plätze für Schüler zwischen 6 und 16 Jahren. Die ersten können schon Anfang des Jahres aufgenommen werden, denn die Bildungsverwaltung hat das Konzept bereits genehmigt.

Für die Finanzierung kommt erst einmal die DRK-Schwesternschaft auf. Sie kann, wie jeder freie Träger, in den ersten drei Jahren kein Geld vom Land in Anspruch nehmen. Für die beantragte Tagesgruppe laufen derzeit die Trägerverhandlungen mit der Senatsverwaltung für Jugend. Michael von Aster hat keinen Zweifel, dass es sich lohnt, in die Schule zu investieren. Das sei allemal billiger als wenn das Land für eine teure Unterbringung in Heimen aufkommen müsse, die pro Tag leicht 200 Euro kosten könnten.

„Wenn man bei den Kindern jetzt nichts tut, entstehen in zehn Jahren viel höhere Kosten im Gesundheitswesen, wenn die Krankheitsbilder chronisch werden. Oder gar in der Justiz, wenn die Jugendlichen straffällig werden“, beschreibt der Psychiater die Folgen.

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