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Berlin: Typisch Kreuzberg

Im Bezirk regiert das Prinzip Runder Tisch: Statt Konflikte zu lösen, wird moderiert ohne Ende. Weshalb es manchmal etwas länger dauert, bis Probleme geklärt sind.

Politik folgt in Kreuzberg seit langem einer besonderen Regel: Es gibt keinen Streit – es gibt nur Moderationsbedarf. Konflikte werden nicht durch politische Entscheidungen gelöst, sondern am runden Tischen weich geredet. Politiker sind dabei immer nur ein wenig zuständig. Weshalb es manchmal etwas länger dauert, bis Probleme geklärt sind. So könnte sich der freundliche Umgang mit den Roma-Familien, die sich als Besetzer gerierten, als Beginn einer längeren Besetzer-Geschichte erweisen. Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke) jedenfalls sagte am Freitagnachmittag, die 50 Roma in der Kirche seien nicht die einzigen, die sich in Berlin oder in der Umgebung aufhielten. Und für einen Teil der Gruppe hat sich die fordernde Haltung gegenüber den hilfreichen Behörden zumindest ein wenig gelohnt: Sie bekommen „unkompliziert“, wie Mildner-Spindler verspricht, Geld für Benzin oder ein Zugticket, um nach Rumänien zurückzukehren.

Wer als Besetzer auftritt, wird schon einen Grund dafür haben: Damit haben auch die Leute aus Bethanien das Bezirksamt lange unter Druck gesetzt. Deren im Juni 2005 begonnene Besetzer-Geschichte ist das beste Beispiel für den politischen Problemlösungsansatz nach Kreuzberger Manier – und seinen Preis. Darauf spielte Innensenator Erhart Körting in der Fragestunde des Abgeordnetenhauses am Donnerstag an. Gefragt, ob es denn ein Räumungsersuchen des Bezirksamts gegeben habe, als die Roma-Familien auf Einladung der Bethanien-Besetzer eine Nacht in der bezirkseigenen Liegenschaft am Mariannenplatz verbrachten, verneinte Körting. Dann sagte er: „Wir haben die Situation übrigens schon einmal gehabt. Ich erinnere daran, als seinerzeit Besetzer von der Yorckstraße 59 nach Bethanien gegangen sind und die Polizei sich bis in die Nacht bemüht hat, vom Bezirk grünes Licht für die Räumung zu bekommen. Das hat der damalige Baustadtrat nicht erteilt. Er war der Vertreter von Frau Reinauer, die im Urlaub war. Es ist uns damals nicht grünes Licht für eine Räumung gegeben worden, weshalb die Räumung später nicht mehr durchgeführt werden konnte.“

Der „damalige Baustadtrat“ ist der heutige Bürgermeister Franz Schulz (Grüne). Er hat sich über die Wahl 2006 hinaus das Bethanien-Problem sozusagen selbst vererbt. Bezirksamtsbefassungen, runde Tische, Moderationen haben in vier Jahren dazu geführt, dass nun die Gesellschaft für Stadtentwicklung im Auftrag des Bezirksamtes mit den Besetzern über tragbare Gewerbemieten verhandelt.

Vier Jahre hat der Bezirk gebraucht, um das Problem wegzumoderieren. Zwei Nebenwirkungen nahm er hin: Die Institution, die Bethanien über Jahre zu einem Namen in der Kunst- und Kulturszene gemacht hat, sah sich zum Aus- und Umzug gezwungen. Viele Male hatte der Leiter des Künstlerhauses, Christoph Tannert, auf den Ärger mit den Besetzern hingewiesen – in der Kreuzberger Politik, aber auch in der Öffentlichkeit. Die Politik vermittelte ihm das Gefühl, dass die Interessen der Besetzer – soziokulturelle Einrichtungen etwa – mindestens so viel galten wie die Interessen des Künstlerhauses. Irgendwann hatte Tannert genug – nun plant er den Umzug in eine Kreuzberger Immobilie, die zum Künstlerhaus besser passt. Die zweite Nebenwirkung des Besetzer-Langstreckenkonfliktes für den Bezirk besteht im Verlust von zigtausend Euro Miete.

Da machen die Rückkehrhilfen für die Roma-Familien vergleichsweise wenig her – falls es dabei bleibt. Doch Zweifel sind begründet. Stadtrat Mildner-Spindler weiß von Kollegen in anderen Bezirken, die ebenfalls mit hilfsbedürftigen Roma-Gruppen zu tun haben. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner betonte auf dem Höhepunkt des Kreuzberger Roma- Konfliktes ihre Zuständigkeit und verwies auf Unterbringungsmöglichkeiten „zur Behebung einer akuten Notsituation“. Dazu wird sie auch in Zukunft stehen müssen: Ein Gespräch mit Vertretern der rumänischen Botschaft endete mit dem Hinweis der Diplomaten, man sehe sich gegenüber den Roma-Familien nicht in der Pflicht und sei auch nicht in der Lage, deren Aufenthalt zu finanzieren. 

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