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Berliner Gefängnisskandal: Organisierte Quälereien und Prostitution in Plötzensee

Die Spitzen der Berliner Justiz sprechen bei einer Sondersitzung des Rechtsausschusses von "schrecklichen Zuständen" in der Jugendstrafanstalt Plötzensee. Im Berliner Abgeordnetenhaus nahmen sie zu den Sicherheitsmängeln Stellung.

Neben der Anstaltsführung sowie zahlreichen Abteilungsleitern äußerten sich im Ausschuss Vertreter der Staatsanwaltschaft, des Richterrates und des Justizsenats. Anlass war der Ende August publik gewordene Handy- und Drogenschmuggel in Plötzensee.

Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) warnte im Ausschuss davor, die Geschehnisse "zur Skandalisierung oder aus Profilsucht" zu nutzen. Entgegen der Kritik der Opposition aus CDU, FDP und Grünen sei beispielsweise keine Zunahme von Gewalttaten unter den Häftlingen registriert worden. Vorwürfe, das Vollzugspersonal schaue bei Gewalt in der Jugendstrafanstalt Plötzensee (JSA) weg, nannte sie "ehrabschneidend". Sie verwies darauf, dass durch 30 neue Vorsatzgitter das Einschmuggeln von Drogenpäckchen über Zellenfenster erschwert worden sei.

Oberstaatsanwältin: Zunahme der Gewalt, organisierte Quälereien

Demgegenüber sieht Oberstaatsanwältin Vera Junker "eine Zunahme der Gewalt in Plötzensee seit einem Jahr". Diese Erkenntnisse habe sie als Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Staatsanwälte aus Gesprächen mit Kollegen gewonnen. Danach hätte nicht nur die Anzahl, sondern auch die Intensität der Gewalttaten zugenommen. Junker: "Es gibt organisierte Quälereien." Schuld sei vor allem die Struktur der Gefangenen, da sich mittlerweile ein Drittel der jugendlichen Gefangenen aus Intensivtätern zusammensetze.

"Die typischen Opfer sind Deutsche ohne Migrationshintergrund. Die typischen Tätergruppen sind meist Zusammenschlüsse aus arabischen, türkischen und libanesischen Jugendlichen." Opfer müssten auch Einkäufe abgeben, Reinigungsarbeiten ausführen und sich den Berichten zufolge teilweise prostituieren. Zunehmend bäten Opfer sogar um eine Verlegung in die Haftanstalt Tegel. Junker führte zudem "eine fehlende einheitliche Linie zwischen Anweisungen von Vollzugsbeamten und Sozialarbeitern" an. Eine Lösung könnte im besseren Schutz für Opfer und der Auslagerung von Rädelsführern liegen.

Jugendrichter: Wer draußen regiert, regiert auch drinnen

Das Mitglied des Richterrates, Günter Räcke, sprach ebenfalls von "schrecklichen Zuständen" beim Jugendstrafvollzug. Als Jugendrichter werde er immer wieder mit Haft-Opfern von Gewalt konfrontiert, die aus Angst gar nicht oder nur spärlich aussagten. "Wer draußen regiert, regiert auch drinnen." Und obwohl die Klientel immer schwieriger werde, gebe es zu wenig Arbeits- und Schulangebote.

Räcke verwies darauf, dass die Probleme bereits bei einem Gespräch in der Justizführung Ende 2006 erörtert wurden, er und seine Kollegen danach aber nichts mehr gehört hätten. Er verwahrte sich gegen die Profilierungsvorwürfe der Senatorin: "Unsere Hinweise waren sachlich gemeint. Ich muss mich nicht profilieren, ich habe auch so genug zu tun."

Der Leiter der JSA, Marius Fiedler, relativierte die Zustände in seiner Einrichtung. Er räumte zwar Überbelegung und Drogenkonsum in der JSA ein, aber durch die Trennung zwischen Konsumenten von harten und weichen Drogen sei man "Herr der Lage". Bei Körperverletzungen werde den Fällen konsequent nachgegangen. Fieder betonte: "Das ist hier keine Drogen- und Gewalthölle".

Torsten Hilscher[ddp]

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