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Helfende Hände. Die „Neuköllner Stadtteilmütter“ sind ein erfolgreiches Integrationsprojekt des vom Senat geförderten Beschäftigungssektors.

© ddp

Berliner Senat: Integration: Viel geschafft – mehr zu tun

Integration ist das Thema der Zeit, im Bildungssektor wie in der Wirtschaft. Der Berliner Senat gibt dafür immer mehr Geld aus. Eine Bilanz.

Niemand kann sagen, wie viel Geld in Berlin für die Integration von Einwanderern ausgegeben wird. Die Kosten verteilen sich auf die Bildungs- und Familienpolitik, auf Quartiersmanagement und den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Doch „Hilfen zur Erziehung“ kommen wie „Kosten der Unterkunft“ nicht nur migrantischen Problemfamilien zugute, sondern auch deutschen.

Und die Kosten steigen: Die Mietbeihilfen des Landes Berlin wuchsen von 832 Millionen Euro im Jahr 2005 auf rund eine Milliarde Euro im Jahr 2009. Die „Hilfen zur Erziehung“ – dazu gehört alles, was die Mitarbeiter der Jugendämter leisten – sind nach 2002 zunächst deutlich gesunken: von 452 Millionen Euro 2002 auf 318 Millionen Euro 2006. Seitdem jedoch sind die Kosten wieder gestiegen, was Fachleute mit der erhöhten Wachsamkeit für vernachlässigte Kinder und familiäre Probleme erklären. 2009 wurden 400 Millionen Euro für die Hilfen zur Erziehung ausgegeben, Tendenz: steigend.

KITAS UND SCHULE

Diese Summen sind „gesellschaftliche Reparaturkosten“, wie der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Raed Saleh sagt: notwendig, doch für das Gelingen der Integration weniger entscheidend als das Geld, das in die Bildung investiert wird. Und da ist Saleh stolz auf die Bilanz des rot-roten Senats: Mit dem kostenlosen letzten Kitajahr erreiche man genau die Migrantenfamilien, die morgen integriert sein können. Er habe gerade eine Spandauer Kita besucht, in der 45 Prozent der Kinder aus Zuwandererfamilien kämen, erzählt Saleh – türkische, arabische, russische Kinder. Sie sprächen deutsch miteinander, sie hätten die Möglichkeit, an einer weiterführenden Schule das Abitur zu machen – und zwar durch die für Saleh wichtigste integrationspolitische Maßnahme überhaupt, die Schulstrukturreform. Die werde „mehr Wirkung als das Integrationsgesetz und alles andere“ haben, sagt Saleh. Ohne die Hauptschule erhöhe sich die Chancengleichheit. Früher sei der Lebensweg vieler türkischer Kinder mit elf Jahren entschieden gewesen: Grundschule, Hauptschule, Arbeitsamt. Jetzt könne die Schule zu einem „Lebensmittelpunkt“ und „Erziehungsort“ besonders für Kinder werden, die zu Hause nicht gefördert werden.

Die Ausgaben für Bildungspolitik sind seit Jahren durchweg gestiegen: von fast fünf Milliarden Euro 2002 bis auf rund 5,5 Milliarden Euro im laufenden Jahr. Und die Bilanz? Der Sozialdemokrat Saleh sagt, in der Integrationspolitik sei dank dieser Maßnahmen jetzt „Halbzeit“: viel geschafft, noch viel zu tun.

Die Migrationspolitiker der Opposition, Kurt Wansner (CDU) und Mieke Senftleben (FDP) sind weniger zuversichtlich. Zwar hat auch die CDU in ihrem bildungspolitischen Konzept die Hauptschule aufgegeben. Doch Wansner sieht nach wie vor eine Kluft zwischen vielen Migranten und dem Berliner Schulsystem. Es müsse gerade in Sachen Schulpflicht viel mehr Druck aufgebaut werden, sagt der CDU-Mann. Staatliche Transferleistungen müssten gekürzt werden, wenn Kinder nicht in die Schule geschickt werden. Neu ist diese Forderung nicht, doch geschieht das offenbar selten.

Mieke Senftleben teilt Raed Salehs positive Sicht der Entwicklung nicht: Tausend Lehrer unterrichteten Kinder in Deutsch als Zweitsprache – das Ergebnis? „Eine Katastrophe“, sagt Senftleben. Frühkindliche Bildung? In der SPD rede man jetzt über die Kitapflicht – dabei habe die rot-rote Koalition vor Jahren die Vorklassen abgeschafft. Notwendig seien Startklassen, in denen die Kinder lernten, was sie zum Schulbeginn können sollen. Und was der Verzicht auf die Hauptschule bringe, meint die FDP-Politikerin, werde man erst in vier Jahren wissen, wenn der erste Jahrgang das reformierte System absolviert habe.

JUGENDPOLITIK

In diesem Feld sind sich mal alle einig: Dass in den vergangenen Jahren viel Geld an Jugendtreffs und Freizeiteinrichtungen gespart wurde, hat sich negativ ausgewirkt. Die Folgen seien „problematisch“, sagt CDU-Mann Wansner. Der Sozialdemokrat Saleh hofft, dass die Schulen – wenn sie denn zum „Lebensmittelpunkt“ werden – diesen Mangel mit Sport- und Freizeitangeboten am Nachmittag ausgleichen können. Wie groß der Mangel ist, hat der SPD-Mann aus Spandau längst gemerkt. Deshalb organisierte er ein Projekt namens „Stark ohne Gewalt“. Da gehen zum Beispiel junge Migranten zusammen mit Polizisten in ihrem Kiez auf Streife.

ARBEIT UND SOZIALES

Hier zeigen sich die Unterschiede in der Integrationspolitik deutlicher als in allen anderen Bereichen: Raed Saleh lobt die Tatsache, dass es überhaupt einen öffentlichen Beschäftigungssektor gibt. CDU-Mann Wansner vermisst beim Senat das Bemühen, die Wirtschaft in die Integrationspolitik einzubeziehen. Die Berufsverbände sagten: Kein Deutsch – keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Da müsse die Politik eine „konzertierte Aktion“ mit der Wirtschaft organisieren, um Schulabgängern von heute Chancen zu verschaffen. Bei einem Treffen mit türkischen Berlinern hätten diese ihm jüngst gesagt: „Ihr versaut unsere Kinder mit Hartz IV“. Anderswo, in Frankfurt am Main oder in Stuttgart, gebe es auch viele Migranten. Die hätten aber nicht so große Probleme auf dem Arbeitsmarkt.

Wansner wirft dem Senat vor, die Probleme mit den Einwanderern jahrelang ignoriert zu haben. So sei es höchste Zeit, mit den Wohnungsbaugesellschaften zu reden, um die entstehenden Parallelgesellschaften „aufzubrechen“. Dabei geht es auch um Religion. Saleh hat dazu ein Dialog- und Debattierforum gegründet. Mieke Senftleben fragt, wann der Senat endlich daran geht, einen Lehrstuhl zur Ausbildung von Islamlehrern zu schaffen. Islamischer Religionsunterricht in den Schulen solle auf Deutsch gegeben werden. Doch auch diese Aufgabe habe der Senat schlicht „verschlafen“.

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