zum Hauptinhalt

Berlins Integrationsbeauftragte: Dilek Kolat: Auf dem Weg nach oben

Sie blieb nie still, und ging es um etwas, dann stand sie auf. Ihr Lebensweg hat Dilek Kolat den Mut gegeben, Vorbild sein zu wollen – für Migranten, für Frauen, für alle. In der Berliner SPD hat sich die Senatorin so längst empfohlen. Auch für Höheres.

Als sie aufgeben wollte im Leistungskurs, weil sie das einzige Mädchen war und die Jungs scheinbar alles besser wussten, hat ihr Physiklehrer damals zu ihr gesagt: „Dilek, du bleibst.“

Bleiben, aushalten, auch wenn es hart ist, das hat Dilek Kolat fortan begleitet. Sie hat Wirtschaftsmathematik studiert und jahrelang bei der Deutschen Kreditanstalt gearbeitet, bevor sie in die Politik ging. Rechnen kann sie ziemlich gut. In der SPD ist das nicht unwichtig, wenn man vorankommen möchte.

Dass sie auch weiß, wie es zugeht in Unternehmen, kommt ihr ebenfalls gelegentlich zupass. So wie an diesem Oktobertag, als Kolat, die Berliner Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration, zum „Adlershofer Ladies Lunch“ geladen ist. Gemeinsam mit rund 20 Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen und Führungskräften sitzt sie in einem Adlershofer Kaminzimmer – ein Netzwerk erfolgreicher Frauen. Was das Netzwerken angeht, hat sie es zu einiger Fertigkeit gebracht, seit sie 1994 in die SPD eingetreten ist.

Ins Abgeordnetenhaus zog sie 2001 ein, nach einigen Jahren als Tempelhofer Bezirksverordnete. Sie konzentrierte sich auf die Finanzpolitik. Im mächtigen Hauptausschuss, der Herzkammer des Parlaments, hat sie jahrelang gesessen. Dort, wo einst auch Klaus Wowereit angefangen hat, den sie immer wieder für seine Unterstützung lobt. Im Hauptausschuss geht es um Finanzen und Zahlen. Die Zahlen eben, die man in der Politik nicht aus den Augen lassen darf, vor allem, wenn es um Mehrheiten geht. Wie man sich die zusammenzählt, hat Kolat verstanden. Wowereit kam nach der Wahl 2011 bei der Besetzung der Senatorenposten nicht an der einflussreichen Kreisvorsitzenden von Tempelhof-Schöneberg vorbei.

Im Kaminzimmer soll es darum gehen, wie die wirtschaftliche Dynamik Berlins genutzt werden kann, um die hohe Arbeitslosigkeit zu senken und vor allem auch alleinerziehende Mütter wieder in Arbeit zu bringen. Doch wie sich Frauen in der Arbeitswelt behaupten können, ist das eigentliche Thema dieser Runde. Wissend lachen die Unternehmerinnen, wenn es darum geht, wie sich Männer durchsetzen. Frauen seien oft zu zurückhaltend bei der Vermarktung ihrer eigenen guten Arbeit, sagt Kolat, und die erfolgreichen Frauen nicken. „An entscheidender Stelle stehen sie nicht auf und bleiben still.“

Sie blieb nie still, und aufgestanden, wenn es um etwas ging, ist sie auch. Ihr eigener Lebensweg hat ihr den Mut gegeben, zu ihrem Amtsantritt ausdrücklich zu sagen, sie wolle „Vorbild“ sein für die Migranten in Berlin.

Geboren ist die 45-jährige Sozialdemokratin in der Türkei. Als sie ein Kind war, zog ihre Familie nach Berlin, dorthin, wo Neukölln am türkischsten war. „Bildungsfern“ würde man die Verhältnisse, in denen sie aufwuchs, wohl heute nennen. Ohne Deutschkenntnisse wurde sie eingeschult. Mit Hilfe ihrer deutschen Nachbarn, Tante Trude und Onkel Schuppe, die mit ihr „Grimms Märchen“ lasen, hat sie sich die deutsche Sprache erschlossen. Und der Gesamtschule hat sie es zu verdanken, dass sie es zum anfangs unvorstellbaren Abitur brachte.

Netzwerke von Frauen zu fördern, sei ihr „Herzensangelegenheit“, sagt die Senatorin, die so einnehmend lächeln, aber auch energisch auftreten kann. „Wenn Frauen sich einig sind, kann das schon ein Machtfaktor sein – dann wird man anders wahrgenommen.“ Dass die Männer in der SPD sie 2006 nicht übergingen und sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende wurde, das hat Dilek Kolat auch den Frauen zu verdanken, die sich für sie starkmachten. Die Arbeitssenatorin ist der führende Kopf des „Branitzer Kreises“, in dem sich Frauen aus allen Strömungen der Berliner Sozialdemokratie finden. Die Männer hätten sich anfangs lustig gemacht, als sie hörten, dass sich der neue Kreis zum gemeinsamen Wellness verabredete, erzählt Kolat, während die Frauen beim „Ladies Lunch“ wieder wissend lachen. Sie muss nicht hinzufügen, dass die Männer in der SPD längst nicht mehr lachen.

Die kinderlose Senatorin, verheiratet mit Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der türkischen Gemeinde in Deutschland, hat seit ihrem Amtsantritt einiges richtig gemacht und auch Streit nicht vermieden. Die Lobbyisten der Migrantenverbände sollten nicht erwarten, dass nun mehr Geld fließen werde, hat sie gleich zu Beginn auf ihre uneitel-freundliche Weise klargestellt. Ihr Mann hat übrigens, um Spekulationen über Interessenkollisionen keinen Anlass zu bieten, bei ihrer Nominierung seinen Job als Geschäftsführer des türkischen Bundes in Berlin aufgegeben.

"Frauen präsentieren sich immer über Inhalte"

Das Lieblingsprojekt ihrer Vorgängerin, Carola Bluhm von der Linkspartei, Langzeitarbeitslose im „öffentlichen Beschäftigungssektor“ unterzubringen, hat Kolat ohne viel Federlesens beendet. Das Programm „Berlin Arbeit“ soll Menschen wieder dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt integrieren, nicht bei sozialen Nischenjobs ohne Perspektive parken. Den frei gewordenen Posten des Integrationsbeauftragten hat Kolat kurzerhand in die Verwaltung eingegliedert und ruckzuck nach ihrer Vorstellung besetzt – unbeirrt von Protesten des Integrationsbeirats, der sich übergangen fühlte.

Ausdrücklich will Kolat nicht nur als Integrationssenatorin wahrgenommen werden – wie sie es während ihrer gesamten politischen Karriere vermieden hat, nur als Fachfrau für Migranten zu gelten. Auch da musste sie manchmal kämpfen. Das habe sie „genervt, weil ich damit auf meine Herkunft reduziert wurde“. Sie will, so sagt sie, für alle Berliner die Voraussetzungen für erfolgreiche Lebenswege schaffen – auch mit Kopftuch. Es geht ihr um Respekt. „Wenn Teilhabe möglich und gewollt ist, löst sich ein Großteil der Integrationsprobleme von selbst“, sagt Kolat, die doch ohnehin den alten sozialdemokratischen Traum eines sozialen Aufstiegs durch staatliche Förderung und eigene Anstrengung verkörpert. Mit kostenlosen Kitas, Sprachförderung und der Möglichkeit, sowohl über die neue Sekundarschule als auch über Gymnasien zum Abitur zu kommen, habe Berlin gute Grundlagen für ähnliche Biografien geschaffen, meint sie.

„Frauen präsentieren sich immer über Inhalte“, sagt Dilek Kolat. „Männer denken mehr darüber nach, wie sie vorankommen.“ Da müssen die Frauen im Adlershofer Kaminzimmer wieder lachen. Mag sein, dass jemand, der viel darüber nachgedacht hat, auch ein wenig von den Männern gelernt hat. Kolat kann zurückgelehnt beobachten, wie es gegenwärtig in der Berliner SPD gärt. Das Debakel um die erneut verschobene Flughafeneröffnung hat den Regierenden Bürgermeister vom jahrelang behaupteten Platz des beliebtesten Politikers stürzen lassen. Was, wenn der BER-Aufsichtsratschef Klaus Wowereit im nun beginnenden Untersuchungsausschuss weiter unter Druck gerät, fragen sich schon einige Genossen. Wahnsinn, wie sich da welche in den Vordergrund schieben, sagt Kolat und zieht vielsagend die Augenbrauen hoch.

Aus dem Lager der Wowereit-Getreuen heißt es, dieser werde in keinem Fall in einer „Situation der Schmach“ abtreten, sondern das „Rathaus erst verlassen, wenn er wieder mehr Ansehen genießt“. Ein enger Wowereit-Mitarbeiter hält die ganze Debatte sowieso für Unsinn. „Ist doch aber gut, dass wir offenbar einige Personen haben, denen zugetraut wird, Wowereits Job zu machen“, kommentiert er die Spekulationen in diversen Zeitungen. So kann man es auch sehen.

Von einem Plan für den Fall, dass der bis 2016 gewählte Klaus Wowereit vorzeitig abtritt, will keiner reden. Doch einige heben schon den Finger, um nicht übersehen zu werden. Das dienstälteste Regierungsmitglied, Finanzsenator Ulrich Nußbaum, immerhin jetzt beliebtester Politiker Berlins, hält sich für geeignet, hat aber die geringsten Chancen. Er besitzt keine Hausmacht, ist nicht einmal Parteimitglied – und hat es sich nachhaltig mit der mächtigen Parteilinken verscherzt. Deswegen hat er offiziell gesagt, er strebe dieses Amt nicht an. Der neue Landesparteichef Jan Stöß dagegen baut zwar seine Macht in der Parteizentrale aus, noch fehlt ihm aber die Regierungserfahrung.

Einer, der sich unausgesprochen eindeutig das Amt des Regierenden Bürgermeisters zutraut, ist SPD-Fraktionschef Raed Saleh. Saleh und Kolat, die Migrationserfahrungen und eine erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft teilen, sind als Mitglieder der Parteilinken politische Verbündete. Eine Sympathie aber verbindet die Tempelhoferin und den in Palästina geborenen Spandauer kaum. Für einige Parteifreunde, die genau hinschauen, sind Kolat und Saleh schon längst heimliche Konkurrenten. Auch Kolat hatte lange überlegt, ob sie Fraktionsvorsitzende werden möchte, bevor sie sich für ein Senatorenamt entschied.

Sie mache einen guten Job, loben Abgeordnete. Sehr geschickt baue sie ihre Position aus und genieße viel Ansehen in der Fraktion. Für manchen Genossen ist Kolat durchaus eine Alternative, wenn es irgendwann um eine Nachfolge für Wowereit gehen könnte: als erste Migrantin, als erste Frau. Eine, die patent ist und verbindlich, die Finanzen kann und Verwaltung auch; die neben dem Chef der Industrie- und Handelskammer einen guten Eindruck macht, aber auch Lehrstellen suchenden Jugendlichen zuhören kann. Das SPD-Bundesparteiratsmitglied Dilek Kolat wird längst auch in der SPD-Bundeszentrale als Talent wahrgenommen. Selbstbewusst hat sie kürzlich gesagt: „Ob Berlin seine Integrationserfolge bisher gut verkauft hat, kann man kritisch sehen.“ In der Bundespartei ist Wowereit als stellvertretender Vorsitzender verantwortlich für Integration.

Saleh betont bei jeder Gelegenheit, wie vertrauensvoll er mit dem Regierenden Bürgermeister zusammenarbeitet. Vergessen aber kann er nicht, dass Wowereit ihn vor Jahresfrist vor Genossen mit dem flapsigen Spruch bloßstellte, er solle das mit dem Fraktionsvorsitz lassen, „weil du das nicht kannst“. Dem „begnadeten Netzwerker“ – so ein langjähriges Fraktionsmitglied – werden durchaus Machtspielchen zugetraut, falls Wowereit weiter in Bedrängnis kommen sollte.

Verwiesen wird darauf, wie sich der macht- und statusbewusste Fraktionschef schon kurz nach seiner Wahl mit verschiedenen Senatoren stritt, um zu verdeutlichen, dass an ihm nichts vorbeigeht. „Wir hatten zu Beginn den einen oder anderen Konflikt“, sagt Saleh über die Zusammenarbeit mit dem Regierenden Bürgermeister. Nun arbeite man aber „gut und vertrauensvoll zusammen“. Mit Finanzsenator Nußbaum legte sich Saleh bei den Themen Wasserpreise und Neuausrichtung der Verkäufe von landeseigenen Grundstücken an und mit Stadtentwicklungssenator Michael Müller stritt er sich darum, wie der Mietenanstieg in Berlin begrenzt werden könne.

Womit wir wieder bei den Zahlen wären. Und bei dem, was Frauen manchmal anders machen. Dazu gehört auch Stärke zu zeigen und zu gewinnen, ohne aufzutrumpfen. Seine Muskelspiele hat Fraktionschef Saleh auch bei Kolat ausprobiert. Im März versuchte er durchzusetzen, dass Langzeitarbeitslose im Job-Programm 8,50 Euro pro Stunde erhalten. Kolat wollte nur 7,50 Euro zugestehen – worauf sich zuvor auch schon der Regierende Bürgermeister festgelegt hatte. Bei der Abstimmung bekam Saleh 19 Stimmen – bei 18 Gegenstimmen. Eine Niederlage blieb ihm nur erspart, weil Kolat und die ihr nahestehende Bildungssenatorin Scheeres sich an der Abstimmung nicht beteiligten. Das Signal aber war eindeutig. Es blieb bei 7,50 Euro.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false