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Schwere Physiognomie, Freude am Austeilen. Würden sich Elefanten um innere Sicherheit kümmern? Frank Henkel wurde das Haudrauf-Image seiner Jahre als innenpolitischer Sprecher lange nicht los.

© Davids/Darmer

CDU-Spitzenkandidat: Frank Henkel: Der andere Berliner

Er hat die zerstrittene und in Verruf geratene Berliner CDU geeint, wird seither von der Kanzlerin mit einem Lächeln bedacht und will die Partei nun auf die Senatsbank zurückführen. Dafür wählt Frank Henkel einen leisen Weg.

Weißes Hemd, breites Kreuz: Da sitzt Frank Henkel, unten rechts in einem Doppeldeckerbus, ein Mikrofon in der Hand, und gibt den Reiseleiter. Er hat Notizen vor sich, es ist die vierte Wahlkampftour, die der CDU-Spitzenkandidat an einem lauen Spätsommerabend betreut. Der Bus bewegt sich langsam in Richtung Berliner Norden, 60 Passagiere mit CDU-Affinität sind an Bord: Charlottenburg, Siemensstadt, der Rohrdamm in Richtung Tegel.

Der Rohrdamm? Henkel blickt nicht mal von seinen Notizen auf, als der Bus das Holiday Inn Hotel passiert. Dabei ist dieser unprätentiöse Bau mit seinen Tagungsräumen für Henkel so etwas wie ein historischer Ort: Hier begann ziemlich genau drei Jahre zuvor Henkels Aufstieg zum Spitzenkandidaten. Eine elend lange Sonntagnacht lang berieten damals zwölf Kreischefs der Berliner Union, Henkel mittendrin, über das politische Schicksal des damaligen Fraktionschefs Friedbert Pflüger. Der hatte zur Überraschung seiner Parteifreunde verkündet, er wolle nun auch noch Landeschef der Berliner CDU werden – und somit automatisch auch Spitzenkandidat 2011. Was folgte, war das vorerst letzte Politdrama in der Berliner CDU: Pflüger verlor den Machtkampf – und aus dem damaligen Generalsekretär Frank Henkel wurde binnen weniger Wochen der neue Fraktionschef, der neue Landeschef, der Mann, der endlich alles besser machen sollte. In den folgenden drei Jahren wurde Henkel dann auch noch der Mann, den Angela Merkel auf Landesparteitagen mit einem wohlwollenden Lächeln bedachte, verbunden mit einem Kompliment für den streitfreien Dauerzustand der Berliner Union.

Ein Hoffnungsträger also. Ein Parteisoldat, 47 Jahre alt, als er Spitzenkandidat wird. Seit zehn Jahren der erste, der die ganze Partei hinter sich gebracht hat: Mit Henkel hat das halblaute Gerede aufgehört. Für seine Partei ist er „der Frank“. Für den Sonnenkönig der Berliner Politik, Klaus Wowereit, ist er seit zehn Jahren der Erste in der CDU, den er ernst nimmt. Wowereit hat über Henkel gesagt, der sei „authentisch“. Wenn einer wie Wowereit das sagt, der so genau weiß, wie wichtig das Echtsein im Politikbetrieb ist, dann trifft das zu. Das Handfeste geht bei Henkel, anders als bei Wowereit, bis zum Händedruck: Der Mann greift zu. Bei Wowereit hat man das Gefühl, vom Regieren bekomme man ganz weiche Hände.

Später, der Bus rollt von Wedding nach Mitte, stellt sich Henkel ganz ordentlich den Leuten vor. Der Spitzenkandidat erwartet nicht, dass die Leute viel von ihm wissen. Das, was sie nun erfahren, sind die Lebensdaten eines Ost-West-Berliners, mehr Berlin geht sozusagen gar nicht. 1963 ist er „in der Charité“ geboren, im Ostteil der Stadt also. Das dezente Berlinern hat er von dort mitgebracht. Man hört, woher er kommt. „Sowat“, sagt er und „ick“. Penetrant wird das nicht. 1977 haben seine Eltern einen Ausreiseantrag gestellt. Am 6. April 1981 ist die Familie „über den Tränenpalast übergesiedelt“.

Seite 2: Wie Frank Henkel das Berliner Bürgertum zurückgewinnen will

Wenn er ins Erzählen kommt, bezeichnet er den Tag der Ausreise als zusätzlichen Geburtstag. Und er beschreibt mit Sinn für Ironie, wie er, bewegt und begeistert vom Gefühl der Freiheit, gemeinsam mit seinen Eltern in der Hausbesetzermetropole Kreuzberg unterkam. Der junge Mann aus dem Osten bekam inmitten des nächtlichen Sirenengeheuls der Polizeiwagen einen Eindruck davon, was im freien Westen politisch alles möglich war. Ihn hat der abrupte Übergang von der Hauptstadt der DDR in die Metropole der Besetzer und Alternativen durchaus nicht sofort zur CDU getrieben, auch wenn ihn deren Festhalten an der Einheit gewogen gemacht hatte und der damals neue Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker ihn beeindruckte. Erst vier Jahre später trat Henkel der Partei bei, die er nun nach zehn Jahren in der Opposition wieder in den Senat führen will – raus aus jener Zone, in der ihr, bepackt auch noch mit dem Bankenskandal, der Zugang zum Berliner Bürgertum verloren gegangen war.

Henkel hat das verstanden und versucht, die Beziehung wiederherzustellen. Vor ein paar Tagen lud er zum Gespräch mit Hans Kollhoff, dem Architekten, der dem Potsdamer Platz mit eine Form gegeben hat. Kollhoff gehört der CDU nicht an, er hält zur Politik einen distinguierten Abstand. Doch an Henkels Seite im „Café Einstein“ an der Kurfürstenstraße erläuterte er ein paar Ideen zur Stadtgestaltung und zum Umgang mit innerstädtischen Brachen. Henkel hatte ihn mit der Bemerkung eingeführt, man habe im Gespräch ähnliche Vorstellungen von Stadtentwicklung festgestellt. Das ist Henkels Form der Bescheidenheit. Er hat die bei solchen Gelegenheiten angenehme Eigenschaft, sich nicht in den Vordergrund zu schieben. Er behauptet nicht plötzlich Nähe zu einem der großen Berliner Architekten, der dann ganz von alleine deutlich macht, dass er von der Stadtentwicklungssenatorin nicht viel hält. So entsteht von selbst der Eindruck: Kollhoff ist sich für die CDU nicht zu schade.

Oder Ronald Lauder. Der amerikanische Unternehmer, Erbe des Kosmetikkonzerns Estée Lauder, war in der vergangenen Woche in Berlin und hatte eine halbe Stunde für den Oppositionspolitiker Henkel übrig. Lauder wollte auf dem Tempelhofer Flughafengelände in ein angeblich hunderte Millionen Euro teures Gesundheitsprojekt investieren. Das scheiterte, weil der Senat auch privaten Flugbetrieb in Tempelhof nicht mehr zulassen wollte. Lauder sprach damals mit Wowereit und erinnert sich noch heute gut daran, vom Regierenden Bürgermeister als „reicher Onkel aus Amerika“ verspottet worden zu sein. Einstweilen, sagt der Investor im dunkelblauen Zweireiher, habe er dem Senat keine weiteren Projekte vorzuschlagen. Henkel steht daneben, weißes Hemd, keine Krawatte, dunkelblaues Sakko, leichtes Lächeln. Sagen muss er nichts, das Fernsehbild sagt alles.

Wie viel davon beim Publikum ankommt, ist schwer zu sagen. Immer noch halten manche Henkel für den typischen CDU-Haudrauf: innere Sicherheit über alles. War das nicht früher sein Lieblingsthema? Redet er nicht ständig von der Berliner Polizei? Als Henkel vor gerade mal zwei Legislaturperioden ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde, fiel ihm das Amt des innenpolitischen Sprechers fast von alleine zu. Alles passte: Henkels Freude am rhetorischen Austeilen, die breite, schwere Physiognomie, die respektlose Zwischenruferei in den Plenarsitzungen.

Viele, zumal in der SPD und bei den Grünen, haben dieses Henkel-Profil gespeichert für die kommende Ewigkeit. Anders als Wowereit, der Henkels „Authentizität“ erkannt hat, unterschätzen sie den CDU-Kandidaten. Die innere Sicherheit war für Henkel so etwas wie eine Funktion: wichtig für die CDU, glaubwürdig darzustellen, aber weder der Anfang noch das Ende aller Politik.

Seite 3: Warum Frank Henkel regieren will

Immerhin hat Henkel in den vergangenen drei Jahren gezeigt, wie er Oppositionspolitik versteht: mit anderen zusammen Konzepte machen. Bei wichtigen Themen wie Schule und Integration mit neuen Konzepten kommen. Den Leuten zeigen, dass die CDU wieder gesellschaftsfähig geworden ist. Er machte Monika Grütters, die sich mit der Berliner Kultur auskennt wie wenig andere, zu seiner wichtigsten Stellvertreterin im Berliner CDU-Präsidium. Er holte den Unternehmer Thomas Heilmann, einen der Gründer der Werbeagentur Scholz & Friends, er brachte den Anwalt Burkard Dregger dazu, für die neue Integrationspolitik zu werben. Er sei ein Team-Spieler, sagte Henkel 2008. Eindeutig fühlt er sich am wohlsten, wenn er „wir“ sagen und damit seine CDU meinen kann. Henkel hat erlebt, wie die Partei 2000/2001 durch den Bankenskandal ihr Ansehen verlor. Die CDU – das war, so schien es, Bestechung und Bereicherung an der Stadt. Inzwischen geht es wieder um Politik für die Stadt.

Dafür hält Henkel nun sein Gesicht hin. Am Anfang des Wahlkampfs war er der unbekannte Dritte – es ging nur um Wowereit und Renate Künast. Inzwischen ist die CDU nach einigen Fehlern Künasts in den Umfragen an den Grünen vorbeigezogen. Henkels Porträt, freundliches Lächeln, weiche Züge, rahmenlose Brille, klebt auf 650 Großflächenplakaten in der ganzen Stadt. Ein unauffälliges Gesicht, da ist Henkel frei von Einbildung. Er neigt überhaupt nicht dazu, sich zu überschätzen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass er im Ostteil der Stadt groß geworden ist, unter nicht ganz angenehmen Umständen, weil seine Eltern mit ihm ausreisen wollten. Vielleicht macht so was bescheiden. Bei Interview-Terminen hat er die Foto-Session gern erledigt, bevor man ans Reden kommt. Leute, die es gut mit ihm meinen, haben ihm die früher gern vorgeführten Nadelstreifenanzüge ausgeredet. Mit denen wirkte der stattliche Mann mit dem leichten Bauch, der von einer gewissen Freude am Essen zeugt, als ginge ihm der robuste Auftritt über alles. Doch ein Poser ist er nicht. Nur nebenbei kam bei einem Medien-Termin mit dem Zehlendorfer Bundestagsabgeordneten, bei dem es um Boxtraining für irregeleitete Jugendliche ging, Henkels Vergangenheit als Boxsportler heraus. Er selbst war vorher offenbar nicht darauf gekommen, dass er in der Hauptstadt der Selbstdarsteller und -vermarkter daraus etwas hätte machen können.

Aber wenn er so bescheiden ist – warum will er dann regieren? Einerseits, versteht sich, denkt Henkel mit seinen Konzepten unter dem Arm, zehn Jahren Opposition hinter sich und einer Mannschaft um ihn herum, die Freude an der Politik hat, die CDU könne es besser als die SPD. Doch etwas kommt dazu. Man spürt es bei der Bustour, man sieht es Henkel an, wenn er durch die Stadt läuft. Er will nicht beweisen, dass er ein politisches Alphatier ist. Er will etwas tun für Berlin.

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