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Dealende Kinder: Junge Kriminelle profitieren vom Datenschutz

Der Datenschutzbeauftragte Alexander Dix lehnt eine Weitergabe von Schüler-Informationen an die Polizei ab. Klaus Wowereit spricht sich unterdessen für geschlossene Heime aus.

Wecken ist 8 Uhr morgens. Nach dem gemeinsamen Frühstück um halb 9 ist Hausarbeit angesagt, die Tiere wollen gefüttert werden und am Abend bleibt vielleicht etwas Zeit zum Fußballspielen. Der Tagesablauf des elfjährigen Drogendealers, der Polizei und Behörden wochenlang beschäftigte, hat sich gehörig geändert. In der brandenburgischen Betreuungseinrichtung des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerkes (EJF), in dem er seit Montag untergebracht ist, gewöhne er sich „ganz langsam“ an einen Alltag ohne Heroinhandel, ohne Kriminalität, wie EJF-Sprecher Heiko Krebs mitteilte. Nur Einzelunterricht, wie die anderen Kinder, bekomme er derzeit wegen seiner geringen Deutschkenntnisse nicht. Ein Sozialarbeiter habe ständig ein Auge auf ihn, ein anderer sei immer in der Nähe. Geschlossen ist das Heim aber nicht. Das Konzept scheint trotzdem aufzugehen. Der Junge sei bemüht, sich zu integrieren, sagte Krebs. Und was viel wichtiger ist: Er ist noch dort.

Mit seiner Forderung, geschlossene Heime für schwer kriminelle Kinder einzurichten, greift der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit einen Vorschlag der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig auf. In ihrem Buch „Das Ende der Geduld“ beschreibt Heisig, wie verurteilte Jugendliche die Freiheiten offener Heime nutzen, um ihre kriminelle Karriere fortzusetzen. Mehrmals seien Jugendliche, die sie selbst verurteilt habe und die sich eigentlich in Einrichtungen weitab von Berlin aufhalten sollten, aus diesen verschwunden. „Die Mitarbeiter erklärten mir, dass man die Jugendlichen, die sich entfernen, als vermisst meldet, und das war es dann“, schreibt Heisig.

Heisig fordert neben geschlossenen Heimen auch einen besseren Datenaustausch zwischen Schulbehörde, Polizei und Justiz. Bereits vor zwei Jahren hatte sie dem Tagesspiegel gesagt: „Nahezu alle Intensivtäter hatten bereits eine Schwänzerkarriere hinter sich.“ Deshalb sei die „Zusammenarbeit mit der Schule fundamental. Die im Aufbau befindliche Schülerdatei sei dafür ein geeignetes Instrument. Besonders bei jugendlichen Straftätern, die von Schule zu Schule verwiesen werden, könne so rascher rekonstruiert werden, welche Schule er besuche.

Im November 2009 ging die Schülerdatei in die Erprobung. Von der Senatsverwaltung für Bildung war über die Erfahrungen mit dem Pilotprojekt keine Auskunft zu erhalten. Polizei, Jugendämter und Strafverfolgungsbehörden sollen anders als die Schulbehörden keinen Online-Zugriff auf die Daten haben. Sie sollen aber Antworten auf gezielt gestellte Fragen erhalten. Die wichtigsten Informationen der Datei sind Name, Anschrift und Telefonnummer des Schülers und Angaben über Erziehungsberechtigte. Dazu kommen Angaben über die Schule, die Klasse sowie auffälliges Schwänzen. Spezieller Förderbedarf ist ebenso vermerkt wie die Lernmittelbefreiung aus sozialen Gründen. Über die Herkunftssprache des Schülers wird indirekt auch der Migrationshintergrund erfasst.

Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Sascha Steuer sagte, es gebe einen Zusammenhang zwischen Schulschwänzen und krimineller Entwicklung. Insofern begrüße er die Datei. Für Heisig war sie ein nützliches Instrument, ihre Vorschläge reichen aber weiter: Eine Vernetzung von Kitas, Schulen, Jugendämtern und Polizei sei nötig. „Sämtliche vorhandenen Daten sind offenzulegen, damit endlich ein vollständiges Bild entsteht“, schreibt sie. Besonders Schulen und Jugendämter müssten miteinander verknüpft werden. Die Zusammenarbeit sollte systematisch und „nicht von Einzelfällen abhängig sein“. Von einem „Frühwarnsystem“ schreibt sie, weil sich „Gewalt begünstigende Lebensumstände häufig bereits in der Kindheit zeigen“. Angesichts von 13-Jährigen, die im Auftrag von Familienmitgliedern Drogen handeln, nennt Heisig es eine „Pflicht, diese Kinder vor ihren Eltern und älteren Geschwistern zu schützen“.

Als „unzeitgemäß“ bezeichnet Heisig die Zurückhaltung einiger Schulen und Jugendämter gegenüber einer Zusammenarbeit mit der Polizei. Ein Kind, das mehrfach bei der Polizei aufgefallen sei, habe mit großer Wahrscheinlichkeit auch schulische Probleme, die oft auch in strafbaren Handlungen in der Schule zum Ausdruck kommen.

Der Datenschutzbeauftragte Alexander Dix sagt, die „Schülerdatei“ sei in Abstimmung mit seiner Behörde entwickelt worden. „Ich warne davor, dass Daten etwa über Fehlzeiten in der Schule automatisiert, ungefragt und routinemäßig weitergeleitet werden.“ Kritisch sieht er eine zu enge Einbindung der Jugendämter in die Vernetzung der Behörden: „Das Sozialgeheimnis dient dem Kinderschutz“, sagt er und widerspricht Heisigs Klage, wonach der Datenschutz zum Täterschutz werde. Für Dix darf das Sozialgeheimnis nur in eng begrenzten Ausnahmefällen durchbrochen werden. Außerdem verstoße ein routinemäßiger Datenaustausch gegen Bundesrecht. Sonst werde die Vertrauensbasis des Jugendamtes zu Kindern und Jugendlichen erschüttert.

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