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Der Koalitionsvertrag und die Folgen für Berlin: Scharfe Kritik am Betreuungsgeld

Das von der schwarz-gelben Koalition geplante Betreuungsgeld wird von vielen Berliner Politikern scharf kritisiert. Experten sprechen von einem falschen Signal und sorgen sich um die frühkindliche Förderung. Selbst die Berliner CDU hat Bedenken.

Von Sandra Dassler

Neuköllns Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) hält das von der neuen schwarz-gelben Koalition geplante Elterngeld für integrationspolitisch katastrophal und einen gewaltigen Rückschritt: „Das macht vielleicht am Tegernsee einen gewissen Sinn, aber doch nicht in Wedding oder Neukölln“, sagt er. Schimmang befürchtet, dass die 150 Euro, die Eltern laut Koalitionsvertrag ab 2013 erhalten sollen, wenn sie ihre Kinder bis zum Alter von drei Jahren zu Hause betreuen, zweckentfremdet genutzt werden. Und damit steht er nicht allein.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) findet, dass das Betreuungsgeld dazu führen wird, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten im Milieu bleiben, statt integriert zu werden (Interview unten). Mittes Bildungsstadtrat Rainer-Maria Fritsch (Linke) ist der Ansicht, dass man das Geld lieber in den weiteren Ausbau des frühkindlichen Bildungssystems hätte investieren sollen. Auch Sibyll Klotz, grüne Bezirksstadträtin für Gesundheit und Soziales in Tempelhof-Schöneberg, hält das Betreuungsgeld für ein falsches Signal: „Wir brauchen Bildungseinrichtungen für alle Kinder und zwar so früh wie möglich.“ Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Regelung sei daher „eine Rolle rückwärts in die 50er Jahre, die auch noch viel Geld kostet“.

Die Senatsbildungsverwaltung steht dem von CDU und FDP geplanten Betreuungsgeld kritisch gegenüber. Durch die Einführung des beitragsfreien Kitabesuchs habe das Land bewusst Betreuungsangebote für alle Eltern attraktiver gemacht, sagt ein Sprecher. Wie viele Kinder unter drei Jahren in Berlin überhaupt eine Kita besuchen, war gestern von der Verwaltung nicht zu erfahren. Der Landeselternausschuss geht davon aus, dass es in ganz Berlin rund 34 000 sind.

Senatssprecher Richard Meng sagt, was die Bundesregierung jetzt anstrebe, sei der falsche Weg: „Alles, was wie eine Prämie fürs Zuhausebleiben aussieht, fördert nicht die frühe Integration unter Gleichaltrigen, sondern hemmt sie.“

Die FDP steht dagegen voll hinter dem Koalitionsvertrag, sagt der liberale Bundestagsabgeordnete Martin Lindner. Darin sei festgelegt, dass das Betreuungsgeld gegebenenfalls auch als Gutschein erhältlich sei, wenn Verdacht auf Zweckentfremdung bestehe. Allerdings kann Lindner nicht sagen, wie die Gutscheinregelung aussehen wird, wer die Entscheidung, ob Gutschein oder Geld, fällen soll und ob die CSU, die Bargeldauszahlung fordert, einverstanden ist. „Für uns zählt, was im Koalitionsvertrag steht“, sagt er.

Selbst die Berliner CDU hat Bedenken gegen das Betreuungsgeld. Hier habe man schon vor zwei Jahren darüber diskutiert, sagt Fraktionssprecher Michael Thiedemann: „Wir sind damals wie heute der Ansicht, dass die Situation in Großstädten nicht vergleichbar ist mit der auf dem Land. Und dass letztlich die Länder entscheiden sollten, welche Form der Unterstützung sie wählen.“

„Grundsätzlich müssen wir den Fokus auf eine gute finanzielle Ausstattung unserer Kitas und Schulen richten“, sagt auch der Fraktions- und Landesvorsitzende der Berliner Union, Frank Henkel: „Das Betreuungsgeld kann aber gerade in Berlins sozialen Brennpunkten als Gutscheinmodell Hilfestellung geben, den Kleinsten unserer Gesellschaft Bildungschancen zu wahren.“

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