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Die Grünen: Renate Künast: Eine für allerlei

Renate Künast tritt für die Grünen mit einem Wahlprogramm an, das inhaltlich wenig festlegt. Manche in der Partei wünschten sich deutlichere Ansagen. Vor allem Parteilinke fordern klare Bekenntnisse statt liberaler Beliebigkeit.

Von Sabine Beikler

Mannshoch steht der giftgrüne Kuschelbär in der Ecke und schaut nach vorne. Dort stellen sich die Kandidaten für den Kreisvorstand der Grünen in Mitte vor. „Ich bin der Andreas“, sagt einer, „habe ziemlich viel studiert, engagiere mich im Tierschutz und möchte aktiv mitarbeiten.“ 70 Mitglieder der Grünen in Mitte sind an diesem Sonnabend in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen erschienen, um zu wählen, zu diskutieren, Hirtensalat oder Salzökobrezeln zu essen und sich gemeinsam über den Mitgliederzuwachs zu freuen. Der hat sich in den letzten zwei Jahren in Mitte auf mehr als 620 Mitglieder verdoppelt. „Wir sind heiß auf Wahlkampf“, sagt ein Grüner, „wir wollen gestalten, während die SPD in Selbstbeschäftigungstherapie verharrt.“ Die grüne Basis in Berlin strotzt vor Selbstbewusstsein. Und sie erhebt Ansprüche. Auch an ihre Spitzenkandidatin Renate Künast.

Die hat es gerade nicht leicht mit ihrer Partei. Sie braucht die Basis hinter sich, die Pragmatiker und die Linken, die rund ein Drittel des knapp 5000 Mitglieder starken Landesverbands ausmachen. Aber da knirscht es mächtig im Gebälk. Die Linken stehen zwar geschlossen hinter ihrer Spitzenkandidatin. Sie verlangen aber klare Positionen, keine wachsweichen Formulierungen. Das haben die Kreuzberger Parteilinken und der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz in der Debatte um die Räumung der besetzten Liebigstraße sehr deutlich gemacht.

Die Parteilinke Canan Bayram brachte zu einer Innenausschuss-Sitzung Flugblätter der „Liebig 14“ mit, in denen das Land als „legitimes Angriffsziel direkter Aktionen“ bezeichnet wird. Drei Tage später beeilte sich Fraktionschef Volker Ratzmann während der Plenarsitzung zu erklären, die Grünen würden sich deutlich von Gewalt und Drohungen distanzieren. Die grünen Realos, die heute Pragmatiker heißen, verwiesen nach der Räumung auf den bestehenden Rechtstitel für die Räumung. Danach waren die Parteilinken „stinksauer“, wie sie sagen. Sie sind zwar auch gegen Gewalt. Es fehlte ihnen aber eine Aussage der Realos, dass eine politische Lösung möglich gewesen wäre, wenn sich der rot-rote Senat bemüht hätte. Dieser Konflikt gipfelte in einem Krisengespräch mit Schulz und einer gemeinsamen Erklärung der Fraktionsspitze mit dem Kreuzberger Bürgermeister, ein ehemaliger Hausbesetzer. In dem Papier wurden exakt die Kritikpunkte der Linken aufgenommen.

Der 62-jährige Franz Schulz ist nicht der Einzige, der klare Inhalte fordert, damit die Partei für den Wähler nicht beliebig wird. Schulz moniert zum Beispiel, dass im Entwurf des Wahlprogramms konkrete Aussagen fehlen, wie eine soziale Mietenpolitik aussehen könnte. Zu kurz sei der „Mietenteil“ gekommen, kritisiert auch ein Neuköllner Grüner. Parteilinke wie der Kreuzberger Abgeordnete Dirk Behrendt sehen das Parteiprogramm als „halb volles Glas“. Er fordert „mehr Mut“ zu klaren Aussagen statt nur von „Diskussionsbedarf“ zu sprechen. Es würden die „Ecken und Kanten fehlen, die den Markenkern der Grünen ausmachen“. Und die Grüne Jugend moniert, dass die Drogenpolitik nur ganze vier Zeilen ausmacht: Kein Wort zur alten Grünen-Forderung nach Legalisierung von Cannabis, stattdessen soll der Konsum illegaler Drogen eingedämmt werden, Drogenberatungsstellen bedarfsgerecht ausgebaut und auf Prävention statt Kriminalisierung gesetzt werden.

Um die Linken weiter zu befrieden, soll mit Daniel Wesener ein Parteilinker der Realo-Frau Bettina Jarasch an der Parteispitze zur Seite rücken. Und es vergeht jetzt keine Woche, in der Renate Künast nicht bei Mitgliederversammlungen auftritt und für den Entwurf des Wahlprogramms wirbt. Bildung, Arbeit, Klima sind die politischen Schlüsselaussagen in dem über 100 Seiten dicken Mammutwerk, das Anfang März verabschiedet werden soll. „Das Programm atmet einen guten Geist“, sagt die Spitzenkandidatin. Mit dem wolle man „die Stadt überzeugen“. Und es möglichst allen recht machen. Das Wahlprogramm heißt „Eine Stadt für alle“ – und zielt auf eine breite Wählerschaft ab: die „Bio-Berliner“, wie Künast kürzlich auf einem Kleinen Parteitag die in der Stadt Geborenen bezeichnet hat, die Zugezogenen, Junge, Alte, neue Wähler und Stammwähler. Die Partei formuliert kaum Essentials, um dem eigenen Wählermilieu nicht wehzutun. Das ist zweigeteilt: das neue libertäre Bildungsbürgertum, gut situierte Berliner, die Wert auf eine hohe Lebensqualität legen, denen soziale Gerechtigkeit wichtig ist und eine gute Wirtschaftspolitik wollen. Nicht umsonst umgarnen die Grünen zurzeit die Wirtschaft in Berlin und pflegen Kontakte mit Unternehmern. Und es gibt das „linkslibertäre Bürgertum“, das Wert auf soziale Gerechtigkeit legt, kiezorientiert lebt und durchaus „rebellisch“ sein kann wie die Kreuzberger Grünen.

Solche Auseinandersetzungen zerreißen die Partei zwar nicht. Aber die Realos sind um Schadensbegrenzung, innerparteiliche Harmonie und ein gemeinsames Auftreten nach außen in diesem Wahljahr äußerst bemüht. Und vor allem Künast ist mehr denn je auf die Unterstützung der Gesamtpartei angewiesen.

Als die Partei im vergangenen Jahr von Monat zu Monat um ein paar Prozentpunkte bei den Umfragen in der Wählergunst nach oben kletterte, war vielen Grünen angst und bange. „Das müssen wir schnell inhaltlich füllen“, sagte damals ein Spitzenpolitiker. Das Warten auf die Antrittsrede der Spitzenkandidatin Renate Künast Anfang November gehörte zur Strategie, das Schweigen vorher sollte Erwartungen wecken und die Parteibasis motivieren. Kurz vor Künasts Krönungszeremonie erreichten die Werte für die Berliner Grünen sogar astronomische 30 Prozent, acht Punkte vor der SPD. Und danach fielen sie kontinuierlich wieder ab. Heute liegen die Grünen in Berlin vier Punkte hinter der SPD bei 24 Prozent. „Das ist kein Beinbruch“, sagt ein Grünen-Mitglied aus Mitte. 13,1 Prozent hätten die Grünen 2006 bei der Abgeordnetenhauswahl erhalten. „Da müssen wir nicht jammern. Und auf Meinungsumfragen geben wir eh nicht viel.“

Das sagen zwar alle in der Partei. Doch die Nervosität nimmt zu. Seit dem Hype um Künast sind Fehler gemacht worden. Vor allem von Künast selbst, die durch Aussagen zur Einführung neuer Tempo- 30-Zonen, der Beibehaltung von Gymnasien oder das Infragestellen des Großflughafens für Verwirrung und Ärger bei Parteifreunden gesorgt hat. Die Kandidatin sei offenbar „nicht gut informiert“ gewesen, sticheln Grüne. Andere sagen offen: Künast habe nur mit ihren ausgewählten Vertrauten wie den Fraktionschefs Volker Ratzmann und Ramona Pop gesprochen. Künast selbst gesteht zu, die Kommunikation könne noch verbessert werden. Das erwartet auch die Basis von ihr.

„Wir sind ja nicht der Esel von den Bremer Stadtmusikanten, auf dem man alles abladen kann“, sagt ein 32-jähriger Gesundheitsökonom. Die Basis will von den Parteifunktionären mitgenommen und ernst genommen werden. Künast sei zwar das „Flaggschiff“ der Grünen, eine „gestandene Politikerin, die siegen will und kann“, sagt Jutta Schauer-Oldenburg. Die 73-Jährige war 29 Jahre lang SDP-Mitglied, seit sieben Jahren ist sie bei den Grünen. Sie mag die Partei, weil sie flachere Hierarchien hat, weil „noch über Inhalte diskutiert wird, weil die Grünen eine Basispartei sind“.

Diese Basis wird bis zum Wahltag am 18. September eine zunehmend größere Rolle spielen. Denn der Alpha-Tier-Wahlkampf zwischen der Bundespolitikerin Renate Künast und dem Landespolitiker mit bundespolitischen Ambitionen, Klaus Wowereit, funktioniert nicht so, wie sich das die grünen Parteistrategen ausgedacht haben. Künast fehlt das „Berlin-Gen“, das laut Umfragen über 60 Prozent der Berliner dem Regierenden Bürgermeister anheften.

Und Künast hat schnell gespürt, wie schwierig es ist, nach mehr als zehn Jahren Bundespolitik in den Niederungen der Landespolitik Fuß zu fassen. „Ein Präsidentinnenwahlkampf à la Obama hätte geklappt, wenn sich Künast optimal darauf vorbereitet hätte“, sagt ein bundesgrüner Spitzenpolitiker. „Eine für alle“ lautet ihr Motto, mit dem sie angetreten ist. Vieles sollte auf sie zugeschnitten werden. Ein personifizierter Wahlkampf ist für die Grünen jedoch ein absolutes Novum. Die Partei ist eine Programmpartei, vor allem der diskussionsfreudige Berliner Landesverband. Inhalte waren immer wichtiger als Personen. „Deshalb gerät die Partei zunehmend in Widerspruch zu sich selbst“, sagt Parteienforscher Richard Stöss, „grünes Selbstverständnis versus grüne Landesmutter“.

Das spüren nicht nur die Funktionäre, sondern auch die Basis-Leute. Sie agieren so, als ob sie das Künast-Motto „Eine für alle“ klammheimlich in „Alle für eine“ umgedreht hätten. Die Basis schließt zu Künast auf, gruppiert sich um sie und trägt gemeinsam mit ihr die politischen Inhalte nach vorne. Das ist stiller Konsens in den Kreisverbänden, in den Arbeitsgruppen. „Wir machen hier Kommunalpolitik und kämpfen für soziale Projekte“, sagt Stefan Schneider, Mitglied der Grünen-Fraktion in Pankow und Leiter der AG Soziales. An diesem Abend im Stadtteilzentrum Pankow diskutiert eine Handvoll Grüner mit Vertretern von Stadtteilzentren und überlegt, wie man künftig mit schrumpfenden Etats weiterarbeiten könne, wie niedrigschwellige Angebote aussehen sollten, und ob Nachbarschaftszentren separate Eingänge für Jugendliche und Senioren haben sollten. Die Pankower Grünen wollen im September stärkste Kraft werden und den Bezirksbürgermeister stellen. Sie kämpfen für den Sieg ihrer Partei im Bezirk. Und erst danach kommt ihre Kandidatin Renate Künast. „Wer kann es, wenn nicht sie?“, fragt ein Grüner. Und sie kann es nicht ohne die grünen Fußtruppen.

Auf der letzten Sitzung des Landesausschusses, dem Kleinen Parteitag, fragte ein Grünen-Mitglied, warum der grüne Bär auf dem Entwurf des Wahlprogramms nach rechts laufe. Der Berliner Bär würde doch nach links marschieren. Da tuschelte eine Linke: Die wollen nur nicht in Verbindung mit dem Igel der Alternativen Liste gebracht werden. Das Wappentier der Grünen-Vorgängerpartei in Berlin nahm deutlich Kurs nach links. Dabei hatten die Realos nichts Böses im Sinn: Sie hatten sich an der Schrittrichtung des grünen Ampelmännchens als Vorlage orientiert.

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