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Berlin als Programm. Renate Künast will in den kommenden Monaten um den Einzug ins Rote Rathaus kämpfen. Foto: dpa

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Grüne Spitzenkandidatin: Castor ohne Künast

Die neue grüne Spitzenkandidatin sagte ihre Demo-Teilnahme in Gorleben ab. Die Opposition geht zurückhaltend mit der neuen Konkurrentin um.

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Es gibt geschälte Grapefruit in der Plastikschale, „ansonsten ist aber alles bio“, versichert Daniela Billig und packt ihr Marschgepäck zurück in den Rucksack unter ihrem Sitz. Die Sudan-Archäologin aus Prenzlauer Berg ist eine von knapp 300 Grünen, die am frühen Samstagmorgen in fünf Bussen vom Berliner Hauptbahnhof Richtung Wendland zur großen Castor-Demo aufbrechen. Zugleich ist Billig eine perfekte Symbolfigur für den grünen Aufschwung in Berlin: Erst seit 2007 Grünen-Mitglied, ist sie, wie viele hier, „noch nie beim Castor“ gewesen, dafür aber bereits Vorsitzende des rasant wachsenden Kreisverbandes Pankow. Dortige Bilanz der letzten Woche: im Schnitt zwei neue Mitglieder pro Tag.

Fast alle im Bus haben ähnliche Erfolgsgeschichten zu erzählen, an der aktuellen grünen Hochstimmung ändert da auch die Tatsache nichts, dass die frisch gekürte Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, Renate Künast, den Termin im Wendland kurzfristig absagt. Offiziell aus Terminstress, vielleicht wäre der symbolträchtige Initiationsritus – ein Castor-Besuch im Kreis ihrer zukünftigen Wahlhelfer – auch etwas zu viel des Guten gewesen. Denn noch in Abwesenheit ist Künast omnipräsent. Billig berichtet all jenen, die die außerplanmäßige Mitgliederversammlung am Freitagabend verpasst haben, von „Renates“ Vorstellungsrede. Charismatisch sei sie gewesen, kämpferisch und – auch das findet Erwähnung – „sehr gut gekleidet, richtig kantig, nicht mit so ’nem Labberkragen“. Künast trug am Freitag schwarzen Hosenanzug und weiße Bluse.

Angst vor Personenkult ist bei den Neu-Funktionären nicht zu erwarten: „Die Grünen sind eine Inhaltspartei, aber manchmal brauchen Inhalte auch ein Gesicht“, sagt Billig. „Es geht jetzt endlich um was, das symbolisiert die Figur Renate Künast“, sekundiert Heiner von Marschall, seit Februar 2009 Kreisvorsitzender in Reinickendorf.

Künasts Rückfahrschein in die Bundespolitik im Falle einer Berliner Wahlschlappe ist im Bus nach Gorleben indes für niemanden ein Problem. Man brauche die besten Köpfe an den wichtigsten Stellen – das sei, „bei aller Liebe“, nicht die Oppositionsführerschaft im Berliner Senat, ist von einem Mitfahrer zu hören. „Wenn sie woanders mehr bewegen kann, soll sie dahin zurückkehren“, sagt auch Daniela Billig. Allerdings, so richtig kann hier keiner an eine Niederlage im kommenden September glauben. Doch davor liegt ein harter Wahlkampf. Künast nannte Bildung, Arbeit, Klima als inhaltliche Schwerpunkte. Die 40 000 Arbeitsplätze in der „Green Economy“ könnten verdoppelt und weitere 100 000 Stellen geschaffen werden.

Der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Eric Schweitzer, sprach von einem „guten Signal“, dass die Wirtschaft bei den Grünen einen Schwerpunkt bilde. Zurückhaltend bewerteten die anderen beiden Oppositionsparteien CDU und FDP die Äußerungen von Künast. Wer wie die Grünen-Politikerin „so hohe Erwartungen weckt, dürfte in den nächsten Monaten noch viele Enttäuschungen produzieren“, sagte der CDU-Partei- und Fraktionschef Frank Henkel. Sie sei viele Antworten schuldig geblieben. Klarheit über Inhalte vermisst auch FDP-Partei- und Fraktionschef Christoph Meyer. Die Schaffung von Arbeitsplätzen werde „blumig“ in den Raum gestellt. Wie die Einnahmen erhöht werden könnten, habe Künast auch offen gelassen. Sie positioniere sich da, sagte Meyer, „wo die Grünen seit Jahren sind: im Nebulösen“.

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