zum Hauptinhalt
Politik mit Biss. So spröde Wolf – hier zu Besuch bei Bahlsen – oft wirkt, so kämpferisch kann er gegen politische Gegner austeilen.

© ddp

Harald Wolf: Mit Marx auf dem Markt

Er ist kein Charismatiker, aber er hat seine Partei regierungsfähig gemacht. Jetzt kürt die Linke Harald Wolf erneut zum Spitzenkandidaten.

Wenn Harald Wolf vom Schreibtisch aufblickt, schaut ihn Karl Marx an, auf einem Gemälde vereint mit seinem philosophischen Lehrmeister und Gegenpart Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Dreht der Wirtschaftssenator sich um, sieht er das Gemälde „Himmel und Hölle“, eine Allegorie auf die Segnungen und Schattenseiten der kapitalistischen Warenwelt. Die beiden Kunstwerke aus den 1970ern, die das Büro von Harald Wolf in der Senatswirtschaftsverwaltung gegenüber dem Rathaus Schöneberg schmücken, symbolisieren die zwei Pole seiner politischen Biografie: Hier die materialistische Weltanschauung mit dem Fernziel der klassenlosen, gerechten Gesellschaft, der sich der Wahlberliner aus Hessen seit gut drei Jahrzehnten in diversen linken Gruppierungen gewidmet hat; dort die Realität von Kapitalismus und Demokratie, die der pragmatische Linke schneller zu akzeptieren gelernt hat als viele Weggefährten.

Seit mehr als acht Jahren nun versucht Wolf als Wirtschaftssenator, sozialistische Theorie und marktwirtschaftliche Praxis für sich in Einklang zu bringen. Am Sonntag will der Landesvorstand der Linkspartei den 54-Jährigen als Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl am 18. September vorschlagen.

Was war das für eine Aufregung, als Wolf das erste Mal ins Regierungsamt aufrückte, 2002, als in der Öffentlichkeit kaum bekannter Ersatzmann für den Charismatiker Gregor Gysi, welcher es nur ein halbes Jahr im Amt aushielt. Und nun Wolf, der bodenständig wirkende „Aktenfresser und Zahlenjongleur“, wie er in einem Porträt bezeichnet wurde? Ein ehemaliger Trotzkist, der über den Grünen-Vorläufer AL zum SED-Nachfolger PDS kam, als Wirtschaftssenator der deutschen Hauptstadt? Ja, hat denn der Wolf überhaupt eine Krawatte?, fragte damals der Unternehmer Peter Dussmann.

Acht Jahre später hat Harald Wolf bewiesen, dass er den Job ausfüllen kann. Der groß gewachsene Sohn eines kaufmännischen Angestellten und einer Rechtsanwaltsgehilfin hat als innerparteilicher Reformer, als Koarchitekt der rot-roten Koalition und als Senator viel dazu beigetragen, die einst als wirtschaftsfeindlich und undemokratisch verschrieene PDS, aus der die Linke wurde, gesellschaftsfähig zu machen – zumindest in Berlin. Auch wegen seiner ruhigen, vermittelnden, manchmal bieder wirkenden Art. Mit ideologischen Exkursen wie dem seiner Parteifreundin Gesine Lötzsch, die jüngst über die „Wege zum Kommunismus“ sinnierte, kann Wolf nicht viel anfangen. „Pragmatisch, ansprechbar, vertrauensvoll“ – so beschreibt Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, die Zusammenarbeit mit dem Senator. Gerade in der ersten Legislaturperiode habe Wolf eine gute Figur gemacht und viele wichtige Projekte angeschoben, zum Beispiel die Clusterpolitik, also die Konzentration auf zentrale Wirtschaftsfelder, oder die Neuordnung der Wirtschaftsförderung mit „Berlin Partner“ als Ansprechpartner für Unternehmen. In letzter Zeit habe sich das Bild allerdings gewandelt. Beim Ausbau der Autobahn A100 zum Beispiel, die aus Sicht der Berliner Wirtschaft besonders wichtig ist, aber von der Linkspartei abgelehnt wird, „ist Harald Wolf, wohl aus parteipolitischen Gründen, abgetaucht“. Insgesamt sei die Politik des Senators „ideologischer“ geworden. Das merke man besonders an Wolfs Engagement für die Rekommunalisierung, also den teilweisen Rückkauf von privatisierten Unternehmen wie der Wasserbetriebe. „Die Berührungspunkte mit unseren Positionen sind kleiner geworden“, sagt Eder. Kritik, die auch in der Opposition zu hören ist: „Als Senator hat er nichts geleistet“, lautet das Urteil von FDP-Chef Christoph Meyer.

Für seine Parteifreunde hingegen ist Wolf als Senator ein voller Erfolg und als Spitzenkandidat „die natürliche Wahl“, wie viele Genossen sagen. Auch wenn der Hobbysegler und Klassikfan als Wahlkämpfer zuletzt keine besonders glückliche Figur machte. 2006 erreichte die PDS unter seiner Führung berlinweit gerade mal 13,4 Prozent der Zweitstimmen – was viele Genossen Wolf persönlich vorwarfen. In letzter Zeit konnte er die Parteifreunde allerdings wieder begeistern, vor allem die Debatte über Rekommunalisierung, aber auch seine zunehmend kämpferischen Attacken gegen Renate Künast oder die Bundesregierung sicherten ihm auf Parteiveranstaltungen viel Beifall. Und Wolf steht auch in den Meinungsumfragen besser da als die meisten anderen Landespolitiker. Dass er jetzt wieder aufs Schild gehoben wird, hängt allerdings auch mit dem dünnen Angebot der Linken an politischem Personal zusammen. Wolfs Senatorenkolleginnen Carola Bluhm und Katrin Lompscher haben in der Partei einen guten Ruf als Fachpolitikerinnen, vermitteln aber bei öffentlichen Auftritten noch weniger Esprit als Wolf. Auch Parteichef Klaus Lederer, Jahrgang 1974, oder Wolfs Bruder Udo – sechs Jahre jünger als der Senator und Fraktionschef der Linken im Abgeordnetenhaus – können in Sachen öffentliches Profil und Erfahrung noch nicht mit dem seit Schülerzeiten politisch engagierten Senator mithalten. Der hat es aus Sicht seiner Mitstreiter geschafft, sich fachlich weit über Linken-Kreise zu profilieren und zugleich doch „politische Zeichen im Sinne der Partei“ zu setzen, wie es ein Weggefährte sagt – von Mindestlöhnen und sozialen Standards, die Wolf ins Vergabegesetz für öffentliche Aufträge geschrieben habe, bis hin zum Widerstand gegen die Hartz-IV-Reformen. Dazu kommt, dass Wolf politisch bestens vernetzt ist – im eigenen Lager und bei der Konkurrenz. Mit Renate Künast zum Beispiel, die als Spitzenkandidatin der Grünen am 18. September die Linke als Regierungspartei ablösen will, hat er einst in den späten 80er Jahren die rot-grüne Koalition schmieden geholfen.

Dass ihr Spitzenkandidat „kein Dampfplauderer“ ist, wie es ein Genosse ausdrückt, hat die Partei inzwischen akzeptiert. Manche versuchen das gar als Vorteil im Wahlkampf gegen Künast und Wowereit zu deuten: „Politik ist für ihn kein Eloquenzwettbewerb, es geht ihm um Inhalte“, sagt ein langjähriger politischer Freund. Manche nehmen Wolfs spröde, wortkarge Art auch mit Humor: Als im vergangenen Wahlkampf ums Abgeordnetenhaus ein Slogan  für den Spitzenkandidaten Wolf gesucht wurde, kursierte in der Parteiführung  der Spruch „Ein Mann, ein Wort“. Den haben sie dann aber doch nicht genommen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false